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Staatsministerin über Griechenlands Krise„Wir werden nicht sterben ohne Euro“

Solidaritätsministerin Theano Fotiou über Soziales in Zeiten der Krise, die Folgen eines möglichen Grexit und was der Staat von armen Menschen lernen kann.

Märkte ohne Mittler, auch da kann Solidarität beginnen – Markt in Athen. Foto: ap
Interview von Margarita Tsomou

taz: Sie stehen dem Ministerium für „Soziale Solidarität“ vor. Was kann man sich drunter vorstellen?

Theano Fotiou: Das Ministerium versucht, der Privatisierung des sozialen Lebens und der Zerstörung des Sozialstaats entgegenzutreten. Dafür versuchen wir, von den Initiativen der „Sozialen Solidarität“ der Bevölkerung in den letzten sechs Krisenjahren zu lernen. Dort ist etwas bemerkenswertes passiert: Menschen haben sich selbst organisiert, um sich im Alltag gegenseitig zu helfen.

Was meinen Sie?

Soziale Küchen, Kliniken und Apotheken, Lehrerkollektive, die Umsonstunterricht anbieten, Zeitbanken, Märkte ohne Mittler, die neue Vertriebsstrukturen erfinden. Da verkaufen die Bauern direkt an selbstorganisierte Konsumentenkollektive und die Preise bleiben realistisch an die Produktkosten gekoppelt, werden nicht vom Markt manipuliert und sind somit ethisch. Mit diesen Initiativen zur solidarischen Selbsthilfe hat sich eine neue Idee von Gesellschaft verbreitet. Auch wenn es nicht die Mehrheit der Gesellschaft ist, diese Initiativen sind in den letzten Jahren wie kleine Inseln überall im Land aus dem Boden geschossen.

Aber das sind Graswurzelbewegungen, können sie eine Grundlage für ein Sozialstaatsmodell sein?

Es geht darum, aus dem Wissen und dem Erfindungsreichtum der Armen zu lernen. Denn sie haben Lösungen gefunden, wie man spart, wie man aus einem Euro so viel machen kann, wofür der Staat 100 Euro gebraucht hätte. Es geht auch um das Wissen, darum, was man alles ohne Geld machen kann, indem man intelligente Lösungsansätze anwendet. Wir sind kein philanthropisches Programm, wir geben den Menschen kein Geld, sondern helfen nur mit Waren und erfinden neue Distributionsformen. Denn wenn du jemandem nur Geld gibst, machst du ihn zu einem passiven Empfänger und aktivierst ihn nicht. Wie können die Menschen aktiviert werden durch zentrale Maßnahmen der Regierung?

Aber ihr Gesetz zur humanitären Krise ist doch ein klares Hilfsprogramm des Staates für die Ärmsten.

Das erste Prinzip ist, dass wir kein Geld verteilen. Eine humanitäre Krise ist definiert als der Mangel überlebenswichtiger Basisgüter bei einer großen Mehrheit der Bevölkerung: Lebensmittel, Elektrizität, Gesundheit. Das Ministerium versucht günstige Lösungen zu finden, um diese Güter an die Armen zu verteilen. Das ist die zentrale Idee des Gesetzes zur humanitären Krise, das wir im März 2015 verabschiedet haben. Wir haben von jedem Ministerium Mittel zusammengekratzt, um dann insgesamt 200 Millionen für das Programm zur Verfügung zu haben.

Bild: dpa
Im Interview: Theano Fotiou

69, ist seit Januar 2015 Staatsministerin für Solidarität in der Regierung von Alexis Tsipras. Die Syriza-Politikerin ist gelernte Architektin und sitzt seit 2012 als Abgeordnete im griechischen Parlament.

Aber Sie geben auch Lebensmittel-Voucher aus?

Nein, Voucher sind wie Geld, passivierend. Außerdem gibt es dabei die Gefahr der Stigmatisierung aber auch der Korruption. Wir haben stattdessen die „Solidarity Card“ eingeführt, eine Art soziale Kreditkarte in Kooperation mit unserer Staatsbank. Wir überweisen am Anfang des Monats 16 Millionen an die Bank, wobei jedem Kartenbesitzer 70 bis 220 Euro zustehen, je nach Größe der Familie. Die anderen Banken haben gemerkt, dass da frisches Geld fließt und machen nun entsprechende Angebote für die „Solidarity Card“-Besitzer, wie zum Beispiel einen Haircut für hochverschuldete Kunden. Und jetzt machen sogar Mobilfunkunternehmen, kleine Läden und Supermärkte neue Angebote für die Kartenbesitzer, da sie in ihnen neue Kundschaft sehen.

Das klingt beindruckend, aber wie wollen Sie weiter darin investieren, der Staat hat doch kein Geld?

Das wichtigste ist, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten und mit jedem potentiellen Opfer der Krise ehrenvoll umgehen. Das ändert die Menschen selbst. Dann planen wir natürlich die Reichen zu besteuern, wir sind für die Ausweitung eines Steuersystems, das die Lasten gerecht verteilt.

Und wir haben viele Möglichkeiten zu agieren, ohne Geld in die Hand nehmen zu müssen. Ein Teil unserer Agrarproduktion wird aufgrund von EU-Regulationen sofort zerstört. Es ist aber Gesetz, dass 17 Prozent dieser Produkte zu Solidaritätszwecken verwendet werden – das Land hat diese Möglichkeit nie genutzt. Für deren Vertrieb kann ich das Militär verwenden oder andere freiwillige Gruppen. Wir können sparen und klug wirtschaften, weil wir nicht für alles Geld brauchen. Was wir brauchen ist die Mobilisierung der Gesellschaft. Und so werden wir Wege finden zu überleben. Wir werden nicht sterben mit oder ohne Euro.

Die EU will im Falle eines Grexit humanitäre Hilfe anbieten. Wie stehen Sie dazu?

Wir werden sehen, ob sie meinen, was sie sagen oder nicht. Sicherlich werden sie nicht aus Flugzeugen Essen und Medizin schmeißen. Jedenfalls könnte ich mit den fünf Milliarden Euro an humanitärer Hilfe, die immer genannt werden, ein ganzes neues Griechenland aufbauen. Wir werden diese Mittel nicht einfach an die Bevölkerung verfüttern, sondern Arbeitsplätze schaffen, in denen die Menschen selbst die Produkte, die wir brauchen, herstellen können.

Was würde die Fortsetzung der Hilfsprogramme für ihr Ministerium bedeuten? Und was ein Grexit?

Ich bereite mich auf das Gute und das Schlechte vor. Beide Optionen sind sehr nah beieinander. Ich öffne deshalb die Augen für die Lösungen, die die Gesellschaft gibt. Ich war zum Beispiel in einer Schule in einem sehr armen Viertel, die ein sehr kluges System gefunden hat, um die Schüler zu ernähren. Die Schüler bringen Tupperdosen mit, Lehrer und Eltern spenden Lebensmittel und eine banachbarte Institution für Waisenkinder kocht daraus 1.500 Mahlzeiten, die die Kinder essen. Warum kann ich das nicht auch als Ministerium organisieren, ich müsste nur die Lebensmittel zur Verfügung stellen. Das ist eine andere Haltung zu Politik, die den Menschen Mut und Hoffnung macht.

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18 Kommentare

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  • Da sollte Frau Fotiou mal nach Kuba o. ä. reisen und schauen, wie das geht. Ob es für Griechen auf die Dauer befriedigend ist, bezweifle ich allerdings.

  • Wenn Griechenland es hinbekommen würde, seine Selbstversorgung wesentlich zu erhöhen, wäre dies ein durchaus gangbarer Weg. Sie müssten natürlich die EU verlassen, damit die qualifizierten Kräfte nicht dorthin abgeworben werden können.

    Wenn man dann den Außenhandel auf das absolut notwendige konzentrieren kann, dann könnten diese dafür notwendigen Ausgaben durch den Tourismus kommen.

     

    Das wird ein langer Weg sein, der mindestens 10 bis 20 Jahre dauern wird. Und es wäre wichtig, dass die Griechen auch das Bewusstsein dafür entwickeln, dass dies erstrebenswert ist.

    In Deutschland, wo der Staat so perfektioniert sein muss, dass alles von oben verordnet werden muss, sei es Solidarität oder auch mal der Befehl Mio seiner Mitmenschen zu vergasen, würde das nie klappen.

    • @Age Krüger:

      Der Tourismus ist für die griechische Volkswirtschaft wichtig, aber eben auch sehr fluktuativ.

  • Also der Ausstieg aus dem Euro würde nicht nur eine weitere Verarmungswelle lostreten, weil Griechenland mit eine No-Confidence-Währung am Start wäre, es würde auch zu sehr schlechten, schlecht-bezahlten Arbeitsplätzen führen, weil Griechenland die konkurrenzfähigen Produkte fehlen. Das Land und sein Binnenmarkt sind zu klein, es gibt ja nur eine Großstadt Piräus/Athen - kaum Industrie. Die Textilindustrie ist schon vor 20-25 Jahren weg. Ich glaube, mit Solidaritätsideen alleine wird das nicht gehen, auch wenn es etwas mildern würde, aber wir reden ja hier von einer Volkswirtschaft jenseits von Wahlen - so eine Entwicklung könnte das Land ohne weiteres 10 oder 15 Jahre zurück werfen. Bis dahin ist Syriza vielleicht selber schon vergeßen oder abgewählt.

    • @Andreas_2020:

      wie bitte: wenn Griechenland keine konkurrenzfähigen Produkte hat, wird es mit dem Euro doch noch weniger auf einen grünen Zweig kommen, weil sie die Produkte dann auch noch sehr teuer verkaufen müssen, während sie mit einer abgewerteten Parallelwährung billiger würde. Der Ausstieg aus dem Euro würde IMPORTE verteuern und Exporte erleichtern. Wichtige Importe sind vor allem Medikamente, hier müsste die EU helfen. Lebensmittel werden auch in Griechenland selbst hergestellt und es würde der dortigen Produktion daher sogar helfen, wenn Importe teurer würden.

      • @Dr. McSchreck:

        Nein. Das ist Unsinn. Griechenland hat kaum Bodenschätze und eine Drachme würde die wichtigen Tourismuseinnahmen nach Unten drücken. Außerdem sind griechische Produkte bereits sehr günstig - auch mit Euro. Dazu kommt noch, dass so ein Staat praktisch alles sofort bezahlen müsste, wer will denen nach eine Grexit schon was leihen. Eine Drachme könnte langfristig schon Exporte erleichtern, aber was soll das denn sein? Die Textilindustrie ist seit 25 Jahren bereits aus Griechenland abgehauen.

        • @Andreas_2020:

          Die Tourismuseinnahmen würden doch nicht sinken müssen, wenn die Währung abgewertet wird. Der Deutsche rechnet weiter in Euro und zahlt dann so viel, dass es ihm günstig vorkommt, egal wie die Währung heißt. Bodenschätze hat Griechenland tatsächlich wenig, aber ich sprach von landwirtschaftlichen Produkten. Wenn Griechenland zB Olivenöl importiert, dann hilft eine Parallelwährung.

          Das schlechtste Argument ist aber das der Kreditwürdigkeit: diese hat gar nix mit dem Euro zu tun, kein Mensch und keine Bank leiht Griechenland noch Geld, das ist ja der Grund für die jetzige Situation. Der einzige, von dem sie noch Geld bekommen, sind die EZB und andere staatl. Stellen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    "Wir werden nicht sterben ohne den Euro" wird die Ministerin Fotiou zitiert. Dieser Satz bedarf einer Korrektur. Richtig muß es heißen: "Wir werden auf alle Fälle sterben. Einerlei, ob mit oder ohne Euro. Die Frage ist nur, wie wir bis dahin leben."

  • Was die Frau Ministerin Fotiu beschreibt, hat auch in Argentinien schon gut funktioniert.

    Ich hoffe, dass sobald wieder etwas Ruhe und der Wille Lösungen zu finden eingekehrt ist - und zwar bei allen Beteiligten - insgesamt genauer hingeguckt wird, wo das Geld der europäischen Bürger eigentlich bleibt.

     

    Subventionsbetrug war in der Vergangenheit viel zu einfach. Geradezu eine Einladung an allerlei Strauchdiebe. Ein Beispiel von sehr vielen: http://issuu.com/smde/docs/grs_ms_20141007

     

    Und: wir Deutschen schulden den Griechen noch ziemlich viel Geld http://www.welt.de/politik/ausland/article115121884/Es-geht-nicht-um-Geld-sondern-um-Gerechtigkeit.html

  • Ist der Mensch nicht von Natur aus faul? Man denke mal an all die Erben, zB Paris Hilton.

    Dann braucht Griechenland sofort zB Insulin-Import. Da hilft keine grass roots Wirtschaft.

    • @Gabriel Renoir:

      Nachdem die EU-Institutionen nun wirklich alles verbockt haben, was man menschlich und ökonomisch verbocken kann, ist die medizinische Hilfe wohl das mindeste und ansonsten würde ich als Grieche von der EU eh nichts mehr wissen wollen. Ein Staatenbund, der nur die Interessen einzelner bedient, versucht eine Regierung eines Mitgliedslandes zu stürzen und jegliche Solidarität vermissen lässt hat sowieso seine Aufgabe verfehlt. Dieses Exempel, welches die EU in Griechenland durchdrücken will, zerstört die EU.

      • @Jochen Rohwer:

        DIe Massnahmen in Griechenland sind nicht verschieden von Massnahmen in anderen vergleichbaren Laendern.

  • Es wäre sogar über ein bedingungsloses Grundeinkommen für die Griechen nachzudenken. Jetzt wo nichts mehr zu verlieren ist, könnte diese Idee in der breiten Mehrheit Akzeptanz finden und beweisen dass sie funktioniert.

    • @robby:

      Sagenwirmal 1000 Euro pro Nase, das mal 10 Millionen - da haben wir 1 Milliarde pro Monat.

      Der griechische Staat ist pleite, die Reichen im Land haben nicht mal den armen Rentner auf der Strasse unterstütz, das macht nun ein Australier, wo also soll das Geld für ihre super Idee? herkommen?

  • Eine Gesellschaft, die sich selber hilft, ihren Markt selber gestaltet und unabhängig vom Finanztropf wird: DER HORROR für die Kapitaldiktatur EU & Co!

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Und wo funkt das bitteschoen? Ich war mal auf der Longo mai Kommune, auch bei Otto Muehl damals .......