Staatskrise im Kongo: Feldzug gegen das Korruptionsvirus
Eine Verhaftungswelle wegen Korruption erschüttert die Demokratische Republik Kongo. Der Corona-Notstand führt das Land in die Staatskrise.
Prominentestes Opfer bisher: Vital Kamerhe, der mächtige Kabinettschef von Staatspräsident Felix Tshisekedi. Kamerhe sitzt seit dem 8. April im Zentralgefängnis der Hauptstadt Kinshasa. Der Vorwurf: Veruntreuung der Gelder für das 100-Tage-Programm, mit dem Tshisekedi im März 2019 kurz nach seiner Amtseinführung kurzfristige Verbesserungen im Leben der 80 Millionen Kongolesen erreichen wollte.
Kern des Programms mit einem Budget von 497 Millionen US-Dollar waren Straßen und Sozialwohnungen. Kamerhe war zuständig für die Umsetzung. Aber von sieben großen Straßenüberführungen an zentralen Verkehrsknotenpunkten in Kinshasa ist keine einzige fertiggestellt, stattdessen gibt es Dauerbaustellen und Dauerstau.
Zum Bau von 4.500 Sozialwohnungen, wofür erst 17, dann 57 Millionen US-Dollar bereitstanden, floss Geld an eine Firma, deren Chef Jamal Sammih nicht nur Vorsitzender der Gemeinschaft der Libanesen im Kongo ist, sondern auch ein Freund von Kamerhes Neffe Daniel Massaro. Wohnungen entstanden nicht, aber die beiden waren plötzlich sehr reich, berichten Medien in Kinshasa.
Sammih sitzt seit dem 25. Februar in Haft, Massaro wird seit zwei Tagen mit Haftbefehl gesucht und ist untergetaucht. Der belgische Direktor der größten kongolesischen Bank, „Rawbank“, über die das Geld verschwand, saß im März tagelang hinter Gittern, vor ihm der belgischstämmige Direktor der Straßenbaufirma Safricas. Festgenommen wurden auch Leiter von Straßenbaubehörden.
Während Antikorruptionsaktivisten applaudieren, wurden in Kamerhes Heimatstadt Bukavu, einer Millionenstadt im Osten des Landes, Proteste gewaltsam niedergeschlagen. Denn all dies geschieht mitten im Coronavirus-Ausnahmezustand, den Präsident Tshisekedi am 24. März verfügte.
U-Haft auf unbestimmte Zeit
Der Ausnahmezustand verbietet alle Demonstrationen und Zusammenkünfte von mehr als zwanzig Personen, Kinshasa ist vom Rest des Landes abgeriegelt. Es gibt auch keine Gerichtsverhandlungen – Untersuchungshäftlinge wie Kamerhe schmoren auf unbestimmte Zeit.
Kamerhe ist einer der erfahrensten Strippenzieher des Kongo. Der Ostkongolese war einst ein Vertrauter des früheren Staatschefs Joseph Kabila, mit deren Ehefrau Olive Lembe zusammen er Kabilas erfolgreichen Wahlkampf bei Kongos ersten freien Wahlen 2006 leitete. Danach entzweiten sie sich. 2011 kandidierte Kamerhe selbst, erfolglos. Vor den nächsten Wahlen 2018 schmiedete er erst eine gemeinsame Oppositionsfront – und dann sabotierte er sie, gemeinsam mit Tshisekedi.
Als Dank ließ Kabila, dessen eigener Wunschkandidat Emmanuel Shadary chancenlos war, Tshisekedi die Wahlen gewinnen, statt den nach Meinung unabhängiger Beobachter eigentlich siegreichen Oppositionskandidaten Martin Fayulu anzuerkennen. Tshisekedi wurde Präsident und machte Kamerhe zu seinem wichtigsten Mitarbeiter.
Tshisekedis Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) traut Kamerhe nicht über den Weg und will ihn seit jeher loswerden. All das freut das Lager von Expräsident Kabila, der weiterhin in der Präsidentenresidenz wohnt, die Loyalität des Militärs genießt und dessen Parteigänger in Regierung und im Parlament die Mehrheit stellen, während Tshisekedi nur über das Präsidialamt und mittlerweile über die Justiz Macht ausübt.
Damit Tshisekedi in seinem Feldzug gegen Korruption nicht zu weit geht und sogar wichtige Kabila-Größen angreift, setzt das Kabila-Lager ihm jetzt einen Schuss vor den Bug. Die Präsidenten der beiden Parlamentskammern setzten vergangene Woche eine Sondersitzung an, um den Corona-Ausnahmezustand auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen – sonst müsse man gegen Tshisekedi ein Amtsenthebungsverfahren wegen Kompetenzüberschreitung einleiten, hieß es.
Der Vorstoß ist so überflüssig wie illegal, denn Kongos Verfassungsgericht hat die Rechtmäßigkeit von Tshisekedis Ausnahmeverfügung bestätigt. Tshisekedis Parteigänger drohen nun, das Parlament aufzulösen, sollte es trotzdem tagen – denn Zusammenkünfte von mehr als 20 Personen seien schließlich verboten.
Medien in Kinshasa malen bereits das Szenario einer Staatskrise an die Wand, in der Präsident und Parlament sich gegenseitig absetzen. Dann müssten wohl die Waffen entscheiden, wer die Macht hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen