„Notprogramm“ für Kongo: Freiheit und Arbeit
Kongos neuer Präsident Felix Tshisekedi verkündet die Freilassung politischer Gefangener. Und ein umfassendes Straßenbauprogramm.
Die Menge umjubelte Staatschef Felix Tshisekedi, als er am Samstag in seiner Rede am Autobahnkreuz Limete in der Hauptstadt Kinshasa versprach, innerhalb von zehn Tagen alle politischen Gefangenen zu begnadigen, alle „Gesinnungshäftlinge“ freizulassen sowie die „schnelle Rückkehr“ von Exilpolitikern einzuleiten.
Die Ehrengäste aus Politik und Militär lauschten mit versteinerten Mienen oder flüsterten untereinander, als Tshisekedi sich angesichts des Jubels ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte und diese Schlüsselsätze wiederholte.
Die Szenen, von Fernsehkameras festgehalten, markieren den bisher deutlichsten Bruch des neuen Präsidenten von Kongos historisch größter Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) mit dem alten Regime seines Vorgängers Joseph Kabila, der Kongo von 2001 bis Januar 2019 regiert hatte.
Tshisekedis komplexe Beziehung zu Kabila
Erst vor wenigen Tagen hatte Tshisekedi auf einem Staatsbesuch in Namibia zugeben müssen, dass er tatsächlich ein geheimes Abkommen mit Kabila geschlossen habe, das ihm den Weg an die Macht ebnete. Nach allen unabhängig kalkulierten Wahlergebnissen war Tshisekedi nämlich nicht der wahre Sieger.
Während Anhänger des mutmaßlichen Wahlsiegers, dem Oppositionellen Martin Fayulu, auf eine Veröffentlichung dieses Deals drängten, hatte der unterlegene Kabila-treue Präsidentschaftskandidat Emmanuel Shadary den Anspruch seines politischen Lagers auf die Posten des Premierministers und des Parlamentspräsidenten bekräftigt. Das alte Kabila-Regime will Tshisekedi keineswegs die Schalthebel der Macht überlassen.
Gemessen daran sind Tshisekedis Worte mutig, wenn auch die Einzelheiten seines Programms eher bescheiden sind. Auf rund 488 Millionen US-Dollar – etwa ein Zehntel des Staatshaushalts – belaufen sich die Maßnahmen, die der neue Präsident als ersten Impuls zum Wiederaufbau des von Staatszerfall, Korruption und Bürgerkrieg gebeutelten 90-Millionen-Einwohner-Landes verspricht.
Neues Geld ist es offensichtlich nicht. Etwa die Hälfte des Geldes soll in den Straßenbau fließen – Kongos Straßennetz ist seit Jahrzehnten weitgehend zerfallen.
Trotz zahlreicher Einzelmaßnahmen ist es bis heute unmöglich, von einem Ende des weitgehend von Urwald bedeckten Landes von der Größe Westeuropas auf dem Landweg ans andere zu fahren.
5.000 Kilometer neue Straßen in fünf Jahren versprach jetzt der neue Präsident und zog am Ende seines Auftritts einen weißen Overall der Straßenbaubehörde und einen weißen Arbeitshelm an, um einen Bagger zu besteigen und symbolisch die Bauarbeiten an Kinshasas maroder Stadtautobahn zu beginnen. Allein für die Straßen von Limete am Rande des Zentrums der Hauptstadt bis zum internationalen Flughafens sind über zehn Millionen US-Dollar veranschlagt.
Keine Schonfrist
Der Schönheitsfehler ist, dass Kabilas Regierungsminister und seine alten Provinzregierungen noch immer geschäftsführend im Amt sind, und sie sollen Tshisekedis Notprogramm umsetzen.
Eine neue Regierung kann erst gebildet werden, wenn im Laufe dieses Monats das neugewählte Parlament erstmals zusammentritt, was wiederum voraussetzt, dass alle Einzelergebnisse der Parlamentswahl rechtskräftig bestätigt sind.
Tshisekedi hat aber offensichtlich begriffen, dass er keine Schonfrist hat. Schon direkt nach seiner Amtseinführung am 24. Januar gab es an mehreren Orten Streiks von Arbeitern und Angestellten, die endlich menschenwürdige Löhne forderten. Auch in den Reihen der Polizei und der Armee herrscht Unmut über zu geringe Löhne.
Hoffnungsvolle Schritte zur Befriedung des Landes, wie der Gewaltverzicht Tshisekedi-treuer Milizen in der Bürgerkriegsregion Kasai, drohen am Mangel an Geld für eine Reintegration bewaffneter Kämpfer in die Gesellschaft zu scheitern. In den letzten Tagen wurden aus Kasai neue Kämpfe gemeldet, ebenso im Osten des Landes, wo Kabila-treue Generäle das Sagen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“