Sportboykotte gegen Israel: Der immerwährende Kampf ums Dabeisein
Der Fußballverband Uefa diskutiert, ob er Israel ausschließen soll. Solche Forderungen gibt es seit 1948. Ist das Land jetzt auch Europa unerwünscht?

Abgesagt hat die Uefa die ganze Sache, oder zumindest verschoben. Jedenfalls teilte der europäische Fußballdachverband Mitte der vergangenen Woche mit, dass es zunächst einmal keine Abstimmung geben wird, ob Israel vom europäischen Fußball ausgeschlossen wird. Dass die Sitzung anberaumt war, hatte die Uefa vorher nicht bestätigen wollen.
Grund für den Eiertanz ist, dass US-Präsident Donald Trump einen Friedensplan für den Gazakonflikt vorgelegt hat. Wenn die Uefa Sanktionen gegen Israel beschlösse und zeitgleich die Kriegsparteien sich einigten, stünde der Sportverband blöd da.
Das ist aber nur ein Grund, warum die Uefa sich des Themas am liebsten entledigen möchte. Seit 1994 gehört Israel zum europäischen Fußballdachverband. Von 1956 bis 1974 war es Teil des asiatischen Verbandes AFC – durchaus mit Erfolgen: 1964 wurde die Nationalelf Asienmeister, zuvor war sie zweimal Vizemeister, und 1968 belegte das Team den dritten Platz. Doch 1974 wurde Israel auf Initiative Kuwaits rausgeworfen.
Unmittelbar vor dem Ausschluss hatten schon in Teheran die Asienspiele begonnen – mit Israel, aber im Fußballwettbewerb weigerten sich Nordkorea und Kuwait, gegen die jüdischen Kicker anzutreten. Diesem sportpolitischen Affront war das Massaker bei den Olympischen Spielen 1972 vorausgegangen, bei dem elf israelische Sportler getötet wurden.
In Europa aufgenommen wurde das kleine Mittelmeerland erst in den 1990ern, nach dem Ende der Sowjetunion. Ganz aktuell geht die Initiative, Israel aus einem Kontinentalverband zu werfen, wieder von einem arabischen Staat aus. Nach Recherchen israelischer Medien war es Katar, das Druck auf die Uefa gemacht hat und macht. Das Emirat gehört zu den wichtigsten Finanziers der Uefa: Es ist Partner der Europameisterschaften 2020 und 2024 der Männer und der Nations League. Dem Katarer Nasser al-Khelaifi gehört der Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain, und er sitzt in der Exekutive der Uefa.
Katar ist allerdings nicht der einzige Big Player in der Uefa, den man sich noch vor wenigen Jahren nicht vorstellen konnte. Der andere sind die USA. Der Hauptgastgeber der anstehenden WM 2026 ließ durch einen Sprecher des Außenministeriums erklären, man setze sich mit aller Kraft dafür ein, „alle Versuche, Israels Fußball-Nationalteam von der WM auszuschließen, vollständig zu unterbinden“.
USA oder Katar: das Dilemma das Fußballs
Die sehr unterschiedliche Haltung Katars und der USA bringt den Fußball in Probleme. Fifa-Präsident Gianni Infantino präsentiert sich einerseits als großer Freund und Fan von Donald Trump. Andererseits gilt er seit der WM 2022 in Katar als enger Vertrauter des Regimes in Doha.
Noch greifbarer ist das Dilemma des europäischen Verbandes. Wenn die Uefa Israel ausschlösse, flöge Maccabi Tel Aviv aus der laufenden Europa League; die Spiele gegen den VfB Stuttgart (11. Dezember) und den SC Freiburg (22. Januar) wären geplatzt. Zugleich würde aber die Fifa verlangen, dass die anstehenden WM-Qualifikationsspiele in Norwegen (11. Oktober) und in Italien (14. Oktober) stattfinden – obwohl die europäische WM-Qualifikation von der Uefa organisiert wird. Kurz gesagt: ein Proficlub aus Tel Aviv würde als Repräsentant Israels gesperrt werden, die Nationalelf hingegen dürfte das Land auf der Weltbühne vertreten.
Nationalmannschaften sind für Nationalstaaten von enormer Bedeutung. Der französische Politologe Pascal Boniface sagt: „Die klassische Definition eines Staates beruht auf drei traditionellen Kriterien: ein Territorium, eine Bevölkerung und eine Regierung. Wir könnten noch ein viertes Kriterium hinzufügen: eine Fußballnationalmannschaft.“
Was spleenig klingt, hat die Empirie für sich: Sehr häufig geht der Unabhängigkeitserklärung eines Staates die Aufstellung einer Männernationalmannschaft voraus. Nicht durch Zufall sind im Weltverband Fifa 211 Länder Mitglied, in der UNO nur 193. Palästina, um dessen staatliche Anerkennung aktuell gestritten wird, lässt seit 1993 eine Auswahl kicken. Das geschah währen des sogenannten Oslo-Friedensprozesses. Ihr erstes Spiel trug das Team 1993 gegen eine französische Prominentenelf mit Michel Platini aus. 1998 nahm die Fifa Palästina auf.
Auch Israel hatte schon vor der Staatsgründung 1948 eine Nationalmannschaft. An der Qualifikation zu den WMs 1934 und 1938 beteiligte sich das britische Mandatsgebiet Palästina mit seinen jüdischen Spielern. Für 1934 verlor es gegen Ägypten zweimal. Für 1938 verlor es zweimal gegen Griechenland. Den einzigen Sieg gab es 1940 bei einem Freundschaftsspiel gegen Libanon: 5:1.
Boykottforderungen, die ganze Geschichte lang
Aktuell sind in der Qualifikation zur WM 2026 in Nordamerika beide Verbände, Israel und Palästina, vertreten. Palästina ist in der Gruppe 2 der Asien-Qualifikation mit 9 Punkten hinter Gruppensieger Südkorea (22 Punkte) abgeschlagen. Israel liegt in der Gruppe I der Europa-Qualifikation auf Platz drei – punktgleich mit Italien, gegen das die Auswahl zuletzt 4:5 spielte.
Israel war immer Boykotten und Boykottforderungen ausgesetzt. Für die Qualifikation zur WM 1950 in Brasilien ließ die Fifa Israel nicht in der Asiengruppe spielen, sondern gegen ein europäisches Team: Zwei Niederlagen gegen Jugoslawien beendeten die WM-Ambitionen. Vier Jahre später scheiterte es erneut an Jugoslawien – und nahm nicht an der WM in der Schweiz teil.
Besonders absurd wurde die Qualifikation für die WM 1958 in Schweden: In der Vorrunde weigerte sich die Türkei, gegen Israel zu spiele – Israel kam weiter. In der Zwischenrunde trat Indonesien nicht an – Israel kam weiter. Im Finale der Ausscheidungsspiele boykottierte Sudan – Israel wäre damit für die WM qualifiziert gewesen, doch das wollte die Fifa nicht akzeptieren. Sie loste unter den europäischen Gruppenzweiten ein Team aus, das gegen Israel antreten sollte: Wales siegte.
In den 1960er-Jahren änderte sich einiges: Erfolge stellten sich ein. 1964 richtete Israel die Fußball-Asienmeisterschaft aus und gewann. Seine U19 siegte bei der asiatischen Juniorenmeisterschaft sogar viermal hintereinander, von 1964 bis 1967. Trainer war der legendäre Emanuel „Eddy“ Schaffer, Holocaust-Überlebender, der in Recklinghausen aufgewachsen war. Unter Schaffer spielte Israels Männer-Nationalmannschaft nicht nur 1968 beim olympischen Turnier in Mexiko, wo sie das Viertelfinale erreichte, sondern sie qualifizierte sich auch für die WM 1970 in Mexiko.
Sportliche Erfolge, aber keine Sicherheit
Die Konsolidierung blieb aber prekär. Zur Asienmeisterschaft 1972 in Thailand wurden die Fußballer nicht eingeladen. Bei den als mediterrane Olympiade geltenden Mittelmeerspielen durften sie gar noch nie mitmachen. In den 1970er-Jahren wurden die israelischen Fußballer sogar von Kontinent zu Kontinent herumgeschubst. Nach dem Rauswurf aus der asiatischen Föderation 1974 steckte die Fifa das Team für die WM-Qualifikation 1978 in die Ozeaniengruppe, für die WM 1982 war es in der Europagruppe, für 1986 und 1990 wieder bei Ozeanien.
Bei einer WM dabei war Israel nur einmal: 1970 in Mexiko. Seither waren alle Anläufe vergeblich – überwiegend aus sportlichen Gründen. Einen politisch begründeten Ausschluss hat das Land bislang nicht hinnehmen müssen.
Aktuell werden die Forderungen meist mit Israels Kriegsführung im Gazastreifen begründet. Ein beim UN-Menschenrechtsrat angesiedeltes Expertengremium forderte die Fifa zum Ausschluss auf. „Nationalmannschaften, die Staaten repräsentieren, die massive Menschenrechtsverletzungen begehen, können und sollten ausgeschlossen werden, wie es in der Vergangenheit geschehen ist“, heißt es in einer Erklärung. Oft wird der Vergleich mit Russland bemüht, das noch gesperrt ist. Allerdings wurden dessen Nationalelf und Klubs nicht wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine gesperrt, sondern „aus Sicherheitsgründen“.
Kritiker weisen zudem darauf hin, dass der aktuelle Gazakrieg nicht von Israel begonnen wurde, sondern am 7. Oktober 2023 von der Hamas, die Gaza regiert. Forderungen, daher Palästina vom Weltsport auszuschließen, wurden freilich nicht erhoben, auch nicht von Israel.
Die Fifa hat auf die Forderungen bislang nicht reagiert. Die Uefa hingegen schien sich zuletzt von ihrem Mitglied Israel abzusetzen. Als Mitte August in Italien der Supercup zwischen Paris Saint-Germain und Tottenham Hotspur ausgetragen wurde, war es die Uefa selbst, die ein Transparent mit der Aufschrift „Hört auf, Kinder zu töten! Hört auf, Zivilisten zu töten!“ entrollen ließ, und um zu zeigen, wer gemeint ist, trat Uefa-Präsident Aleksander Čeferin zur Siegerehrung mit zwei aus Gaza geflüchteten Kindern auf.
Aktuell hoffen die Verbände, Fifa wie Uefa, dass der von Donald Trump vorgelegte Friedensplan funktioniert.
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