Spionage und Paranoia: Pegasus und andere Schnüffler
Das Ausgespähtwerden war mal eine kollektive Angst. Heute nutzen Regierungen wie die polnische Pegasus, und viele zucken nur mit den Schultern.
A ls wir 2019 ein halbes Jahr in Berlin verbrachten, passierten plötzlich seltsame Dinge mit unseren polnischen Mobiltelefonen. Wenn wir einander anriefen, schien das Handy manchmal in einer Schleife festzuhängen und wiederholte, was wir ein paar Minuten zuvor gesagt hatten.
Damals wurde bekannt, dass die polnische Regierung in Israel das Pegasus-Programm gekauft hatte, eine Spionagesoftware für zielgerichtete Überwachung. Wir wurden darauf hingewiesen, dass infizierte Handys sich wie unsere verhielten. Die Verbindungsprobleme hörten allerdings schnell wieder auf, und wir vergaßen die Sache.
Pegasus glitt unterdessen, gleich dem mythologischen geflügelten Pferd, über den Himmel vieler Länder hinweg. In Frankreich wurden Minister abgehört, in Ungarn oppositionelle Journalisten. Erst vor einigen Tagen gab Jarosław Kaczyński, der inoffizielle Kopf der polnischen Politik, zu, dass auch Polen Pegasus hatte.
Es kam heraus, dass die polnische Regierung die Spyware benutzte, um Informationen über den Chef des oppositionellen Wahlkampfteams zu sammeln sowie über einen Rechtsanwalt und einen Staatsanwalt. Das Geld für die Anschaffung von Pegasus kam aus dem Fonds des Justizministeriums für Kriminalitätsopfer. Der Bericht des Citizen Lab an der Universität Toronto, der die Anwendung von Pegasus in 45 Ländern belegt, wirft Fragen auf. Allein die Möglichkeit, bespitzelt zu werden, war einmal eine kollektive Angst. Warum zucken heute so viele Menschen bloß mit den Schultern?
Opfer einer Zähmung durch Überwachung
1960 drehte Fritz Lang den Film „Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse“. Der teuflische Kriminelle, bekannt aus den Meisterwerken der Weimarer Republik, saß im Luxor Hotel und nutzte Überwachungsvorrichtungen der Nazis, um Hotelgäste zu bespitzeln. In der Ära von „Big Brother“ blieb Langs Film als prophetisches Memento in Erinnerung, sein Echo klang noch in „Das Leben der Anderen“ nach.
1976 drehte der amerikanische Regisseur Alan J. Pakula „All the President’s Men“, eine brillant-verstörende Verfilmung des Watergate-Skandals, der Präsident Nixon zu Fall brachte. Verglichen mit dem Ausmaß der Pegasus-Überwachung erscheint dieser Skandal geradezu retro. Und doch lässt das neue Spionagetool keine Regierungen kollabieren. Man könnte denken, es sei normalen Bürgern egal.
Wir sind wohl Opfer einer Zähmung durch Überwachung geworden. Die sozialen Medien sammeln schon so lange Informationen über uns, dass wir vergessen haben, wie gefährlich das sein kann. Doch der Preis fürs Schnüffeln ist nicht immer nur zielgenauere Werbung. Wie der große Alexander Solschenizyn erklärt hat, sind es gerade die Unschuldigsten und Arglosesten, die in die Falle tappen und sagen: „Ich habe nichts falsch gemacht, also lass sie ruhig zusehen und zuhören.“ Gegenüber raffinierter Überwachungstechnik sind solche Menschen wehrlos.
In der griechischen Mythologie wird das geflügelte Pferd von einem Helden gezähmt. Seine Hybris erzürnt die Götter, und Pegasus wirft ihn von seinem Rücken. Da wir uns an die permanente Überwachung durch Internetkonzerne gewöhnen, wird unser Pegasus wohl leider niemanden abwerfen.
In der Coronakrise vergessen wir manchmal, dass Gesellschaften auch der „Pandemie“ des Misstrauens und der Paranoia anheimfallen können und Überwachung genutzt wird, um politische Gegner zu bespitzeln. Auch dieses Virus kann Grenzen überwinden und uns noch lange erhalten bleiben.
Aus dem Englischen: Nina Apin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen