Sparkurs in Berlin: Queere Kids allein gelassen
Wegen der geplanten Haushaltskürzungen drohen Räume für queere junge Menschen berlinweit wegzubrechen. Dabei haben einige erst 2023 eröffnet.
Die selbsternannte Regenbogenhauptstadt lässt queere Jugendliche im Regen stehen. Jedenfalls aus Sicht des Arbeitskreises queere Jugendhilfe: Mit einem offenen Brief kritisierten mehrere Initiativen, dass wegen der geplanten Kürzungen mehrere queere Jugendzentren schließen oder ihre Angebote für queere Jugendarbeit einstellen müssen.
Denn der entsprechende Haushaltstitel von rund 1,6 Millionen Euro soll komplett gestrichen werden. Ohne diese Förderung seien Berlins queeren Jugendzentren – etwa das qu:alle in Spandau, das Q*ube in Neukölln und das Queere Jugendzentrum Lambda Berlin-Brandenburg in Pankow von Schließungen bedroht – und das schon ab dem 1. Januar 2025. Die Einsparungen seien außerdem sehr gering. „Diese Entwicklung macht uns fassungslos“, schreibt der Arbeitskreis in seinem offenen Brief, den Mitglieder des Netzwerks am Donnerstag bei einer Pressekonferenz vorstellten.
Fassungslos sind die Mitarbeiter*innen der queeren Jugendzentren aus drei Gründen. „Unsere Arbeit ist kein nettes Add-on, das der Senat beliebig auf- und abbauen kann“, sagt Nora Scharffenberg vom Jugendnetzwerk Lambda. „Wir machen das nicht, damit die Stadt sich damit schmücken kann, bunt zu sein, das ist nicht für den Regenbogen über der Hauptstadt oder für Debatten über das Gendersternchen und Wokeness“, sagt sie. „Das interessiert uns eher nebenbei. Denn für die Jugendlichen ist unsere Arbeit unverzichtbar.“
Queere Jugendliche würden vergleichsweise öfter zu selbstverletzendem Verhalten neigen und vergleichsweise öfter einen Suizidversuch machen. Deshalb seien die Jugendzentren und Räume, in denen sich queere Jugendliche nicht erklären müssten oder sich unsichtbar machen müssten, so wichtig. Leonie Hafemeister von Q*ube zitiert einen dortigen Besucher, der ein Gedicht dazu geschrieben habe. „Da gibt es diesen Ort, wenn ich da bin, will ich nicht mehr fort“, liest sie daraus vor. „Wenn du komisch bist, juckt es keinen, denn wir sind alle Außenseiter“, fährt sie fort.
Wichtige Rückzugsorte
Einstimmig berichten die anwesenden Vertreter*innen der Jugendzentren, wie wichtig solche niedrigschwelligen Rückzugsorte für queere junge Menschen seien. Denn die Jugendlichen seien oft psychisch belastet und hätten schon früh in Schule, Familie, Peergroup oder eben auch in „normalen“ Jugendzentren Diskriminierung und Herabsetzung erfahren. „Jugendliche nehmen teils lange Fahrtwege in Kauf, einige kommen täglich“, erzählt Hafemeister. Einige kämen auch aus Brandenburg.
Die Sozialarbeiter*innen seien wichtige Bezugspersonen für die Jugendlichen, die in sogenannten Entlastungsgesprächen einiges auffangen könnten und auch umfassend beraten würden. Die Zentren seien wichtig, um junge Menschen „auch in psychosozialen Notsituationen“ zu unterstützen – auch weil es, gemessen am Bedarf, viel zu wenige Plätze in der Kinder- und Jugendpsychotherapie gäbe.
Fassungslos macht die Mitarbeiter*innen aber auch das kurzfristige Agieren des Senats. Denn einige der Jugendzentren haben überhaupt erst vor knapp zwei Jahren ihre Arbeit aufgenommen. „Die Zusage hatten wir ab Anfang 2023. Und so richtig loslegen konnten wir im Juli 2023“, berichtet Malte Mühlsteff von der qu:alle in Spandau. „Und dieses Jahr haben wir uns schon vergrößert.“ Die qu:alle bekomme rund 100.000 Euro vom Senat, wenn die Förderung wegfällt, müssten sie komplett schließen. Ähnlich sieht es auch für das Jukuz in Treptow-Köpenick aus, das ebenfalls erst seit 2023 auch queere Jugendarbeit anbietet, und dafür ebenfalls mit 100.000 Euro gefördert wird. „Als Jugendzentrum werden wir nicht schließen, aber der queere Teil unserer Arbeit fällt weg, das können wir dann nicht mehr leisten“, sagt die dortige Abteilungsleiterin Dorina Thomas.
Auch das allererste queere Jugendzentrum, Lambda, gibt es noch nicht lange. 2018 haben sie in Pankow mit ihrer Arbeit begonnen. Und sie hatten es sehr begrüßt, als es dann 2021 mit dem Q*ube in Neukölln losging und in der Folge weitere Bezirke nachzogen, darunter auch das Queer Base in Schöneberg. „Wenn die Kürzung wie beschlossen durchkommt, müssen wir ab Januar komplett schließen“, sagt Scharffenberg von Lambda.
Beratungen für Angehörige
Damit würden in Berlin einmalige Angebote wegfallen, etwa ihre Beratungen für Angehörige. „Wir bieten Gespräche mit Fachkräften an, in denen die Jugendlichen nicht allen Beteiligten erst mal erklären müssen, was queer überhaupt bedeutet“, sagt Scharffenberg. „Für die Jugendlichen ist es auch deshalb erleichternd, bei uns zu sein, weil sie hier ganz selbstverständlich sie selbst sein können, ohne dass sie dauernd ihr Aussehen, ihren Namen oder ihr Pronomen erklären müssen.“
Fassungslos seien sie schließlich auch, weil der Senat mit dieser Kürzung seine eigenen politischen Vorgaben missachte. Im Koalitionsvertrag sei „unter dem Begriff Regenbogenhauptstadt“ ja gerade „die Stärkung und der Ausbau queerer Projekte sowie die Sicherung von Safer Spaces festgehalten“, schreiben die Autor*innen des offenen Briefs. Vor knapp einem Jahr hatte der Senat seinen LSBTIQ+-Aktionsplan zum dritten Mal erweitert und aktualisiert. Damit „stärkt der Senat die Regenbogenhauptstadt Berlin als weltoffene Metropole und pulsierende Großstadt weiter“, hieß es damals zu dessen Veröffentlichung.
Jetzt hörten sie aus der Verwaltung nur, dass die „Liste ja noch nicht endgültig sei“. Der Senat habe sich im Aktionsplan das Ziel gesetzt, „Selbstbestimmung und Teilhabe von LSBTI-Menschen in der Gesellschaft zu ermöglichen“ und einen „Prozess der Auseinandersetzung mit LSBTI-Feindlichkeit in der Gesellschaft“ anzuregen, und außerdem „Toleranz, Akzeptanz und Respekt vor geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und unterschiedlichen Lebensentwürfen und Erfahrungen zu erwirken“.
„Auch dafür sind queere Jugendzentren und queere Jugendarbeit zentral“, sagt Scharffenberg. „Wir fordern die Landesregierung auf, dass sie sich an ihre eigenen Ziele hält, dass sie sich für den Erhalt und Ausbau queerer Jugendorte stark macht – und zwar flächendeckend, und dass sie deren Bestehen in ganz Berlin sichert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert