Späterer Unterrichtsbeginn: Niemand möchte aufgeweckte Schüler

In Niedersachsen wird mal wieder ein späterer Schulbeginn diskutiert. Der wäre zwar vernünftig, kommt aber bestimmt trotzdem nicht.

Eine Lehrerin steht an einer Tafel und blickt auf die Schüler hinter ihren Tischen.

Ausschlafen ist nicht: Das gilt auch für diese Vorbereitungsklasse mit ukrainischen Schülern Foto: Marijan Murat/dpa

Malte Kern heißt der neue Vorsitzende des Landesschülerrates in Niedersachsen. In den letzten zwei Tagen trabte er vor allem mit einer Forderung durch die regionale Medienlandschaft: Unterrichtsbeginn erst um 9 Uhr. Wobei das ein bisschen unfair ist. Gesagt hat Malte Kern nämlich noch ganz andere bedenkenswerte Dinge in einem großen Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ). Aber das lief dann so, wie es halt öfter geht: Die hübsche plakative Forderung landete in der Überschrift und machte großes Aufsehen.

Am Ende musste sogar das Kultusministerium reagieren und schob den Schwarzen Peter wie gewohnt weiter an die Schulen und Schulträger. Grundsätzlich gäbe es ja keinen Erlass, der den Unterrichtsbeginn auf 8 Uhr festlegt, die Schulen könnten das anders regeln, heißt es da. Mit den organisatorischen Problemen beim Schulbusverkehr und in der Tagesplanung von berufstätigen Eltern sollten sie sich dann aber auch auseinander setzen, findet das Ministerium.

Besonders neu ist diese Debatte natürlich nicht: Dutzende Studien und Modellversuche haben belegt, dass ein zu früher Unterrichtsbeginn sich ab der Frühpubertät ungünstig auswirkt. Die Kinder sind unkonzentriert und weniger leistungsfähig, weil sich ihr zirkadianer Rhythmus in diesen Jahren von der Lerche zur Nachteule verschiebt. So weit, so bekannt.

Geändert wird trotzdem nichts. Warum nicht? Meine These ist: Weil hier die Aversion gegen Veränderungen besonders hoch ist. Und weil in Wirklichkeit niemand aufgeweckte Schüler haben möchte.

Schule muss ja freudlos sein

Das Argument, da hätten berufstätige Eltern ein Problem, führt nämlich in die Irre. Um die Bedürfnisse berufstätiger Eltern kümmert sich dieses Schulsystem sonst nie: Es gibt in Niedersachsen kaum Schulen mit zuverlässiger Betreuung, die sich über einen ganzen Arbeitstag erstreckt, dafür aber dauernd Ausfälle und eine ausufernde Anzahl an Ferientagen.

Auch die Befürchtung, ein späterer Schulbeginn würde den Schultag zu weit in den Nachmittag verschieben, betrifft bei genauerem Hinsehen ja vor allem eine Gruppe: Die Kinder, die von Mutti zu ihren diversen, teuren Freizeitaktivitäten gefahren werden und möglichst ungehindert ihre privilegierte Kindheit genießen sollen. Wo kämen wir denn da hin, wenn an einer richtigen Ganztagsschule plötzlich jeder Ballett- und Klavierunterricht oder Schwimmtraining haben könnte?

Vor allem aber müssen die Schüler frühzeitig mit den dümmsten Auswüchsen unserer Arbeitskultur bekannt gemacht werden: dem Kult ums Frühaufstehertum zum Beispiel. Frühaufsteher gelten grundsätzlich als fleißiger, selbst wenn sie die ersten Arbeitsstunden nur mit Kaffeekochen und Blumengießen verbringen – und dabei jeden hereinkommenden Kollegen mit „Na? Auch schon da?“ begrüßen.

Das passt hervorragend zu einer Arbeitskultur, in der Anwesenheit oft wichtiger ist als Ergebnisse – in der es öfter darum geht, Fleiß zu simulieren und möglichst gestresst auszusehen, als tatsächlich etwas zu leisten. Wenn es nicht freudlos, anstrengend und ermüdend ist, dann darf man das nicht Arbeit nennen. Und auch nicht Schule. Früh übt sich, wer später klaglos Würmer fressen soll.

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Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020

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