Sozialträger kritisieren fehlende Notunterkünfte für Frauen: Mordopfer lebte im Wollepark
Der gewaltsame Tod einer obdachlosen 51-jährigen Polin in Delmenhorst wirft Fragen auf. Sie war Bewohnerin der mittlerweile geschlossenen Wolleparksiedlung.
![](https://taz.de/picture/2376621/14/N1_wollepark_dpa.jpeg)
HAMBURG taz | Ihr Tod löst viele Fragen aus. Am Sonnabend war der leblose Körper einer 51-jährigen Obdachlosen in der Garage auf dem Gelände eines früheren Rangierbahnhofs in Delmenhorst entdeckt worden. Die aus Polen stammende Frau war ermordet und zuvor schwer misshandelt worden. Hinweise auf ein Sexualverbrechen gibt es nicht.
Brisant daran: Die getötete Frau lebte erst seit Anfang November schutzlos in der Garage, in der sie zu Tode kam. Das behauptet jedenfalls ihr 29-jähriger Lebensgefährte, der die Tote auch fand. Zuvor habe sie in der Großwohnsiedlung Wollepark im Nordosten Delmenhorsts gewohnt, in einem der beiden Häuser, die die Stadt am 1. November geräumt und verriegelt hatte.
Die Gebäude waren zuvor wegen schwerer baulicher Mängel für unbewohnbar erklärt worden. Stadtsprecher Timo Frers hingegen teilte am Mittwoch mit, dass die Frau zumindest seit Mai 2016 nicht mehr im Wollepark gewohnt und die Stadt sie deshalb von Amts wegen dort abgemeldet habe.
Die Eigentümer hatten die Häuser systematisch verkommen lassen, wegen schwerer baulicher und sicherheitstechnischer Mängel hatte die Stadt die Häuser im Herbst für unbewohnbar erklärt. Strom und Wasser waren längst abgestellt. Nach der Räumung hatte die Stadt Notunterkünfte für die ehemaligen BewohnerInnen bereitgestellt. Rund 30 ehemalige BewohnerInnen nutzten laut Stadtverwaltung das Angebot.
Warum die Getötete davon keinen Gebrauch machte, sondern es vorzog auf der Straße zu leben, ist unklar. „Frauen haben in Notunterkünften, die mehrheitlich von Männern belegt sind, einen schweren Stand“, liefert Werena Rosenke, Vize-Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe eine mögliche Erklärung. Im Gegensatz zu Männern würden sie oft Opfer von versteckter Gewalt in solchen Einrichtungen. Deshalb würden wohnungslose Frauen männerlastige Unterkünfte meiden.
Frerk Hinrichs, Diakonie Oldenburg
Frerk Hinrichs, Sprecher des Diakonischen Werks in Oldenburg, ergänzt: „Jede vierte Wohnungslose ist eine Frau, doch es gibt nicht die entsprechenden Möglichkeiten einer Unterbringung.“ Die Notunterkünfte böten fast nur „größere Schlafsäle für Männer“, seien damit für Frauen „kaum zumutbar“. Die Stadt Delmenhorst habe sich zwar auch mit der Möglichkeit beschäftigt, separate Wohncontainer für obdachlose Frauen aufzustellen, wie es in Hamburg etwa die Caritas mache, geschehen sei dies aber nicht.
„Frauen brauchen einen abgeschlossenen, männerfreien Raum“, fordert auch Katrin Kriesche-Radtke vom Tagesaufenthalt der Diakonie für Wohnungslose in Delmenhorst. Doch in der 80.000-Einwohner-Stadt gibt es nur Unterkunfts-Angebote, die sich schwerpunktmäßig an wohnungslose Männer richten.
Immer wieder werden Obdachlose in Deutschland Opfer von Gewaltverbrechen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe dokumentiert seit den 90er-Jahren die Zahl der Gewalttaten gegen Obdachlose. Nach der Statistik des Vereins wurden im vergangenen Jahr 18 Obdachlose in Deutschland umgebracht, in elf Fällen kamen die Täter aus demselben Milieu. 2013 wurden sogar 29 Obdachlose getötet. In diesem Jahr wurden bisher 14 Opfer gezählt.
Man müsse unterscheiden zwischen der Gewalt Obdachloser untereinander und Überfällen auf Menschen, die auf der Straße leben. „Es gibt da sehr unterschiedliche Motivlagen“, sagt Werena Rosenke. So beobachtet der Verein seit vielen Jahren, dass es sich bei nicht wohnungslosen Tätern um kleine Gruppen jüngerer Männer handele, die sich schwächere, wehrlose Opfer suchten. „Da steht im Hintergrund oft ein menschenverachtendes Bild“, sagt Rosenke. Den Gewalttaten unter Obdachlosen gehe dagegen in der Regel ein Streit um Schlafplätze oder Habseligkeiten voraus, der oft eskaliere, weil die Beteiligten betrunken seien.
Bei der Frage welchen Hintergrund das Delmenhorster Tötungsdelikt hat, tappt die eingerichtete Mordkommission noch im Dunkeln. Ein Mann der als Tatverdächtiger festgenommen worden war, wurde schon nach wenigen Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt und hat offenbar mit dem Gewaltverbrechen nichts zu tun. Der Tatverlauf ist noch unklar, klar ist hingegen: Mit einem vernünftigen Angebot für wohnungslose Frauen und Paare könnte die getötete Polin womöglich noch am Leben sein.
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