Sozialproteste in Berlin: Gesucht: Linke Krisen-Antwort

Mehrere linke Akteure wollen derzeit Protestangebote für mehr soziale Gerechtigkeit schaffen. Eine Aufgabe dabei: die Abgrenzung nach rechts.

Eine Grupe von Demonstrant:innen, zwei haben sich Protestschilder umgehängt, einer hat ein T-Shirt von Die Basis

Vor der Parteizentrale der Grünen, gegen ihre Politik – und teils in unliebsamer Gesellschaft Foto: dpa

BERLIN taz | Wie sieht eine linke Antwort auf die Energie- und soziale Krise aus? Eine mögliche Antwort lieferte Politaktivist Marcus Staiger am Montag vor der Parteizentrale der Grünen: „Weg mit der Gasumlage! Für die Vergesellschaftung der Energiekon­zerne!“, rief er ins Mikro. Etwa 600 Teil­neh­me­r:in­nen waren gekommen, um gegen die unsoziale Krisenpolitik der Regierungskoalition zu protestieren.

Organisiert wurde die Kundgebung vom neuen Bündnis „Heizung, Brot und Frieden“ um eine Riege linker Polit-Haudegen wie Staiger, Uwe Hiksch von den Naturfreunden und Ex-Enteignungs-Aktivist Michael Prütz.

Es ist nur eines von mindestens drei Krisenbündnissen, die derzeit in Berlin versuchen Sozialproteste von links auf die Straße zu tragen. Zwei weitere arbeiten noch an ihren öffentlichen Auftritten und planen jeweils Demonstrationen im November. Einer der Akteure hier ist die Gruppe „Wer hat, der gibt“, die bereits Mitte August zusammen mit der anarchistischen Gruppe Perspektive Selbstverwaltung mit einer Kundgebung vor der FDP-Zentrale den Rückritt von Finanzminister Christian Lindner gefordert hatte.

Ein weiterer Akteur, vor einer Woche als Online-Kampagne gestartet, nennt sich „Genug ist genug“ – und stammt aus den Reihen der sozialistischen Zeitschrift Jacobin um deren Chefredakteurin Ines Schwerdtner. Im Gespräch mit der taz spricht sie vom Ziel einer „bundesweiten längerfristigen Kampagne“, die mithilfe von Materialien und Inhalten „eine Klammer für verschiedene lokale Sozialproteste“ sein will.

Womöglich könnte das sogar gelingen: Die Social-Media-Kanäle von „Genug ist genug“ wachsen rasant; auch die Organisatoren der Kundgebung vor den Grünen bedienten sich bereits dieses Labels. Prinzipiell „ist es gut“, wenn sich darauf bezogen wird, sagt Schwerdtner – gibt sich angesichts dort geführter Debatten über Russland und eine Nord-Stream-2-Öffnung aber auch kritisch: „Ich finde es sinnvoll, sich ausschließlich auf soziale Forderungen zu konzentrieren und nicht alle strategischen Widersprüche der gesellschaftlichen Linken mitzuverhandeln.“ Eine Distanzierung von rechts sei in den Fragen, die das Verhältnis zu Russland betreffen, „besonders schwer zu erreichen“, so Schwerdtner.

Immer wieder Russland

Wie schwierig diese innerlinke Aushandlung sein kann, wurde bei der Kundgebung deutlich: Während die Forderungen des offiziellen Aufrufs sich auf die Abschaffung der Gasumlage und die Vergesellschaftung von Energiekonzernen konzentrierten, wurde etwa in Redebeiträgen der Naturfreunde und der von Sahra Wagenknecht gegründeten Aufstehen-Bewegung wiederholt das Ende der Sanktionen gegen Russland gefordert. Nicht wenige Teil­neh­me­r:in­nen quittierten solche Forderungen sichtlich unwohl mit einem Raunen.

„Lebenslänglich für Habeck – Nordstream 2 öffnen!“ stand auf einem Schild, das ein älteres Paar mit sich trug. Andere verteilten Flyer mit dem Aufdruck „Verräter“ und den Porträts von Habeck und Baerbock – eine Rhetorik, die stark an Querdenken-Demos erinnert. „Das ist eine linke Demo, was soll dieser Quatsch?“, reagierte ein Teilnehmer empört. Mitorganisator Prütz resümierte: „Wir haben heute stark unterschiedliche Meinungen gesehen, aber wenn wir diese Unterschiede aushalten, wird das die Stärke unserer Bewegung“.

Noch allerdings ist diese Bewegung vor allem ein Wunsch. Bislang sind es nicht die von den steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen besonders Betroffenen, die auf die Straße drängen. Stattdessen sind es überwiegend bereits politisch Aktive, die nach einer langen, auch Corona-bedingten Protestflaute wieder sichtbarer werden und um die Deutungshoheit über die zu erwartende Protestwelle ringen.

Keine Querfront

Eine wirkliche Querfront mit rechten und verschwörungsideologischen Akteuren ist dabei nicht zu erwarten. Am Montag lieferten sich Antifa-Aktivist:innen mit den aus dem Querdenken-Umfeld zuzuordnenden Mitgliedern der Partei „Die Basis“ und der Gruppe der „Freien Linken“ zunächst heftige Wortgefechte; später gelang es ihnen, die Quer­den­ke­r:in­nen von der Demo auszuschließen.

Auch in Leipzig ließ sich am Montag eine Arbeitsteilung zwischen linken De­mons­tran­t:in­nen und An­ti­fa­schis­t:in­nen beobachten. Eine Kundgebung der Partei Die Linke auf dem Augustusplatz wurde von Antifas gegen die parallel stattfindende Veranstaltung der Nazi-Kleinstpartei Freie Sachsen abgeschirmt. Später blockierten sie die Demo der Rechten, während der Linke-Aufzug ungehindert seine Runde drehen konnte.

Eine Probe, wie auf rechte Sozialproteste zu reagieren ist, wird Berlin vermutlich erstmals am 8. Oktober erleben. Dann will die AfD ihre Sozialkampagne starten. Der Parteivorstand hat eine Demo unter dem Titel „Energiesicherheit und Schutz vor Inflation – unser Land zuerst!“ für 4.000 Teil­neh­me­r:in­nen im Regierungsviertel angemeldet. Für Linke stellt sich dann die Frage, ob sie dagegen protestieren oder auf einer parallel stattfindende Demo zum bundesweiten Aktionstag des Bündnisses Mietenstopp.

Schwerdtner sagt, es brauche sowohl „sozialen Protest als auch Antifa-Blockaden“. Nach den Ereignissen von Montag zeigt sie sich „hoffnungsvoll“, dass der Linken die Abgrenzung nach rechts gelingt. Oft sei die Zuspitzung auf die Frage links-rechts „ein Mediending“. Sie sagt: „Menschen, die unter ihrer Gasrechnung leiden, interessiert das nicht so sehr.“ Für diese gelte es ein Angebot zu schaffen, denn: „Sie haben ein Recht zu demonstrieren.“

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