Soziale Bewegungen in Berlin: Die Qual der Wahl

Für außerparlementarische Bewegungen findet Demokratie vor allem jenseits der Wahlen statt. Auf die Stimmabgabe sollte man dennoch nicht verzichten.

Friedrich Merz (l, CDU), Bundesvorsitzender, und Kai Wegner (CDU), Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl, stehen im Konrad-Adenauer-Haus und präsentieren die Plakatkampagne zur Wahl mit dem Motto: "Berlin feiern. Senat feuern." In drei Wochen steht die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl an. Die Parteien stehen diesmal unter besonderem ...

Schlimmeres zu verhindern ist der wichtigste Grund wählen zu gehen Foto: dpa

Es gehört zum guten Ton unter radikalen Linken, sich nicht besonders für Wahlen zu interessieren. „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten“, fasst das wahlweise Mark Twain, Kurt Tucholsky oder Emma Goldman zugeschriebene Zitat die linke Skepsis gegenüber Wahlen auf den Punkt. Tatsächlich wurde der neoliberale Ausverkauf der Stadt in den letzten Jahrzehnten von allen Parteien in unterschiedlichen Koalitionen erstaunlich konsequent fortgeführt. Hausprojekte wurden geräumt, landeseigene Flächen verscherbelt und In­ves­to­r:in­nen hofiert. Diese Politik alle fünf Jahre mit seiner eigenen Stimme zu legitimieren, fühlt sich für viele verständlicherweise nicht nach politischem Empowerment an.

Auch die für Sonntag angesetzte Wahlwiederholung dürfte nicht dazu beigetragen haben, die Begeisterung für die parlamentarische Demokratie wiederzuentzünden. Dennoch sprechen einige Gründe dafür, am Sonntag wählen zu gehen.

Betrachtet man die politische Entwicklung in Berlin in den vergangenen Jahren, so fällt auf, dass langsam eine Abkehr vom neoliberalen Ausverkauf hin zu einer gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung stattfindet. Vorangetrieben wird diese Entwicklung vor allem von Berlins starken sozialen Bewegungen, die immer effektiver Politik jenseits der Wahlen mitgestalten.

Besonders durch Volksentscheide konnten einige der visionärsten politische Projekte der Stadt auf den Weg gebracht werden. Der Volksentscheid Fahrrad hat die Verkehrswende in Gesetzesform gegossen, Deutsche Wohnen und Co enteignen bietet als einziger politischer Akteur einen realistischen Ansatz, der Mietenkrise zu begegnen, und Berlin 2030 Klimaneutral ist auf dem Weg, die Politik dazu zu bringen, ernsthaften Klimaschutz zu betreiben.

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Offen für Veränderung

Da trotz aller linker Folklore keine Revolution in Sicht ist, heißt es jede Chance für politischen Wandel zu nutzen, die da ist. Und da gehören Wahlen dazu. So macht es schon einen Unterschied, ob Kan­di­da­t:in­nen und Parteien im Amt sind, die Volksentscheide umsetzen wollen und sich auch sonst gegenüber Forderungen der Bewegung offen zeigen.

Der Forderung nach einem sozialgerechten und klimaneutralen Umbau Berlins will das Bündnis #BerlinWillKlima am Freitag vor der Wahl mit einem Klimastreik Nachdruck verleihen. Beteiligt sind nicht nur Fridays for Future, sondern auch DW enteignen, die Bürgerinitiative A100 stoppen und der Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral (Freitag. 10. Februar, 12 Uhr, Rotes Rathaus).

Auch die erst vor wenigen Wochen stattgefundene Räumung Lützeraths dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, das Vertrauen vieler Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen in die Parteienpolitik zu erschüttern. Schließlich wurden die Apologeten der Räumung nicht müde zu erwähnen, dass die Entscheidung, Lützerath abzubaggern und Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen krankenhausreif knüppeln zu lassen, das Ergebnis einwandfreier demokratischer Entscheidungsprozesse war. Wie es nach Lützerath mit der Klimabewegung weitergeht, soll bei einer Podiumsveranstaltung mit Vertretern von Ende Gelände und dem BUND diskutiert werden (Mittwoch, 8. Februar, 18 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1).

Während Lützerath dem Erdboden gleichgemacht ist, steht den Wald­be­set­ze­r:in­nen von „Heibo Bleibt“ im sächsischen Würschnitz die Räumung noch bevor. Sie wollen die Erweiterung einer Kiesgrube verhindern, deren Rodung die empfindlichen Moore in der Umgebung bedroht. Gerüchten zufolge soll wohl schon am Mittwoch geräumt werden, deswegen gibt es am Dienstagabend eine gemeinsame Busanreise aus Berlin (Dienstag, 7. Februar, 18 Uhr, Oranienplatz. Anmeldung hier).

Am Ende stellt sich die Frage: Wenn nicht parlamentarische Demokratie, was dann? Ökodiktatur oder Stalinismus? Wieso nicht mal etwas mehr Basisdemokratie wagen, auf lokaler Ebene in selbstverwalteten Kiezversammlungen? Da Konsens-Entscheidungsfindungen geübt sein wollen, kann man sich am Sonntag vor oder nach der Wahl schonmal in der Kiezversammlung 44 im Neuköllner Jugendklub Manege üben. Alle zwei Wochen wird dort nach gemeinsamen Antworten auf die grassierende Verdrängung im Kiez gesucht (Sonntag, 12. Februar, 12 Uhr Rütlistraße 1–3).

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Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.

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