Sozial-ökologische Bauwende: Nichts als Abriss in der Birne
Die Volksinitiative „Bauwende für Berlin“ will Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammendenken. Im Senat stößt das jedoch auf taube Ohren.
![Demonstration mit Schildern und Plakaten. Demonstration mit Schildern und Plakaten.](https://taz.de/picture/7539047/14/37703473-1.jpeg)
Einen Tag später zeigen sich die Vertreter*innen aus der Mieter*innen- und Umweltbewegung sowie der Architektenkammer ernüchtert: Trotz der breiten gesellschaftlichen Unterstützung für eine Bau- und Wohnungspolitik, die Klima schützt, bezahlbaren Wohnraum sichert und Spekulation eindämmt, habe es von „Abrisssenator“ Christian Gaebler (SPD) wenig Entgegenkommen gegeben, so die Präsidentin der Berliner Architektenkammer Theresa Keilhacker am Dienstag.
Stattdessen habe er die bisherige Politik des Senats schöngeredet und sie vertröstet. „Je mehr Initiativen sich bilden, desto schneller reißt Gaebler ab, um Tatsachen zu schaffen“, schimpft Keilhacker.
Dabei ist das genau jene „Politik von vorgestern“, die die Initiative überwinden will. Während sich die Kanzlerkandidaten von SPD und CDU, Olaf Scholz und Friedrich Merz, in Wahlkampfveranstaltungen dafür aussprechen, gegen den Willen der Berliner Bevölkerung das Tempelhofer Feld zu bebauen, hat die Initiative mit Zehntausenden Berliner*innen über deren Sorgen gesprochen.
Gerrit Naber, Bauwende für Berlin
„Immer mehr Menschen in dieser Stadt spüren, dass Neubau ihre Wohnungsprobleme nicht löst, sondern oft zu noch teurerem Wohnraum führt“, sagt Gerrit Naber, Sprecher der Volksinitiative. „Wir bauen und reißen ab, als wäre es Lego und nicht Lebensraum.“
Bestand nutzen statt abreißen
Dabei gibt es in Berlin rund 40.000 leer stehende Wohnungen und mehr als eine Million Quadratmeter ungenutzte Bürofläche. „Statt weiter Flächen zu versiegeln und das Klima durch unnötigen Neubau zu belasten, müssen wir endlich den Bestand intelligent nutzen“, so Naber.
Dafür stellt die Initiative sechs Forderungen, die sie mit konkreten Maßnahmen unterlegt und den Abgeordneten präsentiert hat. Zentrales Anliegen ist die Einführung eines digitalen Wohnraumkatasters, das Leerstand systematisch erfasst und verhindert. Das sei bei den Abgeordneten aller Parteien auch auf großes Interesse gestoßen, heißt es am Dienstag.
Obwohl der Aufbau eines Gebäudekatasters im Koalitionsvertrag von CDU und SPD vereinbart ist, wolle Bausenator Gaebler hier jedoch auf ein entsprechendes Vorhaben vom Bund warten – auch aus datenschutzrechtlichen Gründen. „Die Dringlichkeit wird nicht verstanden“, kritisiert der Sprecher des Bauwende-Bündnisses.
„Berlin benötigt das Kataster, um verwahrloste, aber noch nutzbare Gebäude zu erfassen“, sagt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels. Neben bereits zugänglichen Daten könnten dafür auch Hinweise durch Nachbar*innen oder auch die Müllabfuhr genutzt werden.
Das sei schon jetzt datenschutzkonform möglich, meint Bartels und fordert hierfür eine Taskforce. „Es gibt keine Ausrede, das nicht zu tun“, sagt auch Architektin Keilhacker. Es gebe bereits Firmen, die aus öffentlich zugänglichen Daten mit künstlicher Intelligenz so ein Bestandsregister erstellen könnten. „Warum schafft es dann die öffentliche Hand nicht?“
Immer mehr Mieter*innen von Abriss betroffen
Auch mit einem weiteren zentralen Anliegen stieß die Initiative bei Gaebler auf taube Ohren: Durch eine verpflichtende Prüfung der Nutzungsmöglichkeiten von Gebäuden vor jeder Abrissgenehmigung soll Abriss vermieden werden. Das hat gleich zwei Vorteile: Zum einen kann dadurch sehr viel Energie gespart werden – schließlich ist der Gebäudesektor ist für 40 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich.
Zum anderen ist dies auch finanziell für die Berliner*innen von Vorteil, von denen immerhin zwei Drittel Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Denn viele der Bauten aus den 1960er, 70er und 80er Jahren, die zur Profitmaximierung abgerissen werden, haben im Vergleich eher günstige Mieten. „Diese abzureißen, ist fatal“, so Bartels vom Mieterverein. „Immer mehr Menschen sind von Abriss bedroht.“ Dabei hätten sie vor Gericht meist gute Chancen, weil ihre Rechte höher wiegen als Verwertungsinteressen.
Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Habersaathstraße 40–48 in Mitte. Der erst in den 1980er Jahren errichtete Gebäudekomplex mit mehr als 100 Wohnungen ist noch bewohnbar, trotzdem hat der Bezirk dem Eigentümer eine Abrissgenehmigung erteilt. Vor Gericht scheiterte er jedoch mit dem Versuch, Mieter*innen herauszuklagen, um noch mehr Gewinn machen zu können. Dieser Grundsatz müsse sich in der Politik niederschlagen, verlangt Bartels: „Wirtschaftliche Verwertung darf nicht mehr dazu führen, dass man Gebäude abreißen darf.“
Für eine bessere Nutzung des Bestands fordert die Initiative zudem eine Sanktionierung von dauerhaftem Leerstand durch eine Anhebung der Grundsteuer, eine Genehmigungspflicht für möblierte Apartments, CO₂-Budgets für Neubauprojekte sowie ein Zusammendenken von Stadtgrün, Infrastruktur, Wohnen und Freizeit bei der Entwicklung neuer Quartiere.
Mitte März werde im Plenum des Abgeordnetenhauses über ihre Vorschläge beraten, so Keilhacker. Um bis dahin mehr Druck aufzubauen, hat sich nun das Bündnis „Unsere Stadt – Klimagerecht Bauen und bezahlbar Wohnen“ gegründet. Insgesamt 45 Initiativen haben sich in der Antiabrissallianz zusammengetan, um eine sozial-ökologische Bauwende einzuleiten. „Wir müssen jetzt handeln“, so Gerrit Naber.
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