Sommerpause Theater und Oper: Pause!
Die Theater und Opern sollen im Sommer durchspielen? Bloß nicht! Kluge Schauspielerinnen wissen, wie gut wohlgesetzte Pausen wirken.
Im Sommerloch ist in einigen Feuilletons eine kleine Debatte darüber ausgebrochen, ob die Spielzeitpause wegrationalisiert werden sollte. Sind Theater und Opern in Zukunft auch im Hochsommer für die theatralische Grundversorgung zuständig? Nicht nur aus Sympathie für die Kunst des gepflegten Nichtstuns ist das eine erschreckende Vorstellung. Nicht erst im Sommerloch, sondern in jeder Theatervorstellung, in jedem Konzert gilt: Ohne Pausen geht gar nichts.
Ein intensiver Moment in klassischen Konzerten ist oft die Generalpause, wenn das ganze Orchester für einige Takte innehält. Im Augenblick der Stille klingt das eben Gehörte nach. Und diese Stille vibriert in jeder Generalpause anders.
Manfred Eicher, der legendäre Gründer des Jazzlabels ECM, wusste das, als er für sein Label das Versprechen formuliert hat, die Musik auf den ECM-Alben sei „the most beautiful sound next to silence“ – fast so schön wie Stille.
Das gilt natürlich besonders für die wilden Freejazz-Exkursionen vom Art Ensemble of Chicago bis zu Evan Parker auf ECM-Aufnahmen: Diese Sound-Explosionen brauchen und schaffen um sich herum sehr viel freien Raum, um so richtig zu knallen und zu blühen. Danach und davor kann man nicht nur nichts anderes, sondern für längere Zeit eigentlich gar nichts hören. Kann man über außergewöhnlich tolle Musik etwas Besseres sagen? Musik, die keine Unterbrechung braucht, taugt nur als Klangtapete im Durchhör- und Weghörradio.
Lärmendes Theater
Und das lärmende Theater? Jede kluge Schauspielerin, jeder metiersichere Schauspieler weiß, dass es auf die wohlgesetzten Pausen ankommt: Sollen die Sätze wirken, brauchen sie den Raum, die Gelegenheit, im Zuhörer nachzuwirken und sich beim Dialogpartner auf der Bühne zu verhaken. Ohne Pausen sind Worte nur Geräusche, ohne Leerzeichen ist Schrift nur Buchstabensalat.
Für Heiner Müller kam es im Theater sowieso vor allem auf den Schrecken und die Schönheit der Stille an: „Wenn die Diskotheken verlassen und die Akademien verödet sind, wird das Schweigen des Theaters wieder gehört werden, das der Grund seiner Sprache ist“, lautet einer seiner Rätselsätze. Ohne Schweigen gibt es für Müller kein Theater, sondern nur die Dauerbeschallung der Kulturindustrie. Was für die Bühnenkunst selbst gilt, gilt auch bei ihrer Verfügbarkeit für das Publikum: Sie braucht Pausen.
Um wirklich zu wissen, wozu die Menschen das Theater brauchen, müsste man alle Theater für genau ein Jahr schließen, hat der alte Apokalyptiker und Katastrophenliebhaber Heiner Müller schon vor Jahrzehnten vorgeschlagen. Vermisst niemanden etwas, kann man sich die Mühe sparen und aus den Theatern Partyzonen der Clubkultur machen. Bespielen muss man die Theater erst wieder, wenn sie ihrem alten Publikum so sehr fehlen, dass es nicht auf sie verzichten will.
Zwangspause in der Pandemie
Wenn die Zwangspause der Pandemie für die Theater irgendetwas Gutes hatte, dann genau das: Sie wurden zum Realtest für Müllers Gedankenspiel. Spätestens im zweiten Coronajahr merkten viele Menschen, was ihnen mit dem Theater fehlt. Ihr Leben war ohne diese seltsame Kunst deutlich ärmer und grauer geworden.
Ist das Theater stets verfügbar, entfällt der Sehnsuchtsmoment. Was immer verfügbar ist, kann nichts Besonderes sein und verzichtet auf größere Wertschätzung. Es wird zur jederzeit abrufbaren Servicedienstleistung. Das ist das Gegenteil des kostbaren Geschenks und der Vorstellung, die etwa der Regisseur Max Reinhardt vom Theater als „Fest“ hatte: exterritoriales Gelände, eine Art gemeinsamer Ausnahmezustand, keine Alltäglichkeit.
Wenn sich das Theater in seiner Überproduktionsbetriebsamkeit noch einen Rest von Aura gerettet haben sollte, ist die Idee, ihm nicht mal im Sommer eine Pause zu gönnen, der beste Weg, diese Aura auszuradieren. Wie bei jeder starken Droge empfiehlt es sich auch beim Theater dringend, die Einnahme regelmäßig zu unterbrechen, schon um die Gewöhnungsabstumpfung zu vermeiden: Dann wirkt es nach der Theaterentziehungskur nach der Sommerabstinenz wieder um so intensiver.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!