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Sommer, Putin, SelbstbestimmungsgesetzDie Freiheit von Körpern

Im Sommer wird's körperlich: Männerfantasien über entblößte Politiker in Elmau und Moskau und von Bürokratie befreite trans Körper in Berlin.

Wir sind ja so frei Foto: Friso Gentsch/dpa

N a, auch schon dran gedacht, bei der Hitze alle Klamotten abzuwerfen und die Büroarbeit im Schlüpper, mit den Füßen im wassergefüllten Papierkorb zu verrichten? Das mit dem Papierkorb hat eine Kollegin neulich, als draußen die 35-Grad-Marke geknackt wurde, tatsächlich gemacht. Ansonsten, da kann ich Sie beruhigen, wurden im taz-Haus die Konventionen gewahrt.

Auch die G7-Politiker:innen im bayerischen Elmau haben sich dann doch nicht entblättert – obwohl Boris Johnson damit gedroht hatte, sein (schlecht sitzendes) Sakko auszuziehen, und Jacques Trudeau sich, Fotos eines gewissen russischen Präsidenten veräppelnd, ausmalte, wie es wäre, mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd zu posieren.

Vielleicht ist es dem zugeknöpften Hanseaten Olaf Scholz zu verdanken, dass es in Elmau nicht zum Äußersten kam. Vielleicht hatten aber auch die in züchtige Gebirglertracht gehüllten Bajuwar:innen, die Gastgeber Markus Söder dem Gipfelvolk vorführte, eine disziplinierende Wirkung.

Die Retourkutsche aus Moskau folgte jedenfalls auf dem Fuß: Putin ließ wissen, dass er den bloßen Gedanken entblößter Körper westlicher Staatenlenker, ob „oben oder unten“, nachgerade „widerlich“ finde. Er, Putin, empfehle den Herren in Elmau eine gesunde Lebensführung, mit wenig Alkohol und viel körperlicher Ertüchtigung.

Ex-Glamourgirl im orangefarbenen Ganzkörperoverall

Ähnlich wie einst im Ferienlager des Komsomol. Vielleicht wurmte es den Kriegsherrn Putin, dass er in seiner heutigen körperlichen Verfassung nur noch auf das verbale Zurschaustellen seiner Männlichkeit bauen kann, die man wohl als toxisch bezeichen darf.

Textilbefreite Körper, das ist eine schöne Vorstellung, aber nicht immer ein schöner Anblick, wie mir erst heute Morgen wieder ein Mann im Park bewusst machte, der auf einer Bank schnarchte, die nackte, behaarte Bierplauze halb auf die Joggingstrecke hängend. Vollends hässlich aber wird es da, wo Männer mit Macht und Geld über junge Frauenkörper verfügen, sie manipulieren und missbrauchen – einfach, weil sie es können.

Der Multimillionär Jeffrey Epstein soll rund 200 Mädchen vergewaltigt und zum Teil an einflussreiche Freunde „weitergereicht“ haben. Seine Komplizin Ghislaine Maxwell, die gezielt minderjährige Mädchen aus prekären Verhältnissen anwarb, ist dafür diese Woche zu zwanzig Jahren Haft verurteilt worden. Die restlichen 18 davon darf sie jetzt, nach zwei harten Jahren in einem New Yorker Frauenknast, in einem vergleichsweise komfortablen Promi-Gefängnis in Connecticut absitzen, das als Vorbild für die Serie „Orange Is the New Black“ gilt.

In Zukunft wird das Ex-Glamourgirl wohl im orangefarbenen Ganzkörperoverall herumlaufen. Doch das ist nebensächlich. Wirklich deprimierend ist, dass Maxwell im Prozess eisern schwieg zu den prominenten Kunden ihres Mädchenhändler-Rings und zu den Namen in Epsteins berüchtigtem Adressbuch.

Spießrutenlaufen durchs Freibad

Diese Männer leben weiterhin als geachtete Mitglieder der Gesellschaft, die meisten von ihnen in Machtpositionen. Während die wenigen der sexuell ausgebeuteten jungen Frauen von damals, die sich wehrten, zusätzlich zum Trauma des Missbrauchs auch noch die Demütigung erfolgloser Anzeigen und öffentlicher Schmähungen davontragen.

Gerechtigkeit für Körper, die es lange offiziell gar nicht geben durfte, gibt es jetzt bald in Deutschland. Zumindest auf dem Papier: Am Donnerstag präsentierten das Justiz- und das Familienministerium die Eckpunkte des neuen Selbstbestimmungsgesetzes, das das alte Transsexuellengesetz (TSG) ablösen soll. Bald soll jeder Mensch ab 14 mit einem einfachen Gang zum Amt Vornamen und Geschlechtseintrag ändern lassen können.

Keine demütigenden psychologischen Gutachten mehr, keine ärztlichen Beurteilungen, ob der betreffende Körper mehr einer Hanna gleicht oder einem Gustav – oder offiziell als „divers“ gelten darf. Es zählt allein die selbst empfundene Identität. Befreit ist so ein que(e)r in der Gesellschaft stehender Körper allerdings erst dann, wenn ein Besuch des nächsten Freibads kein Spießrutenlaufen mehr darstellt. Das allerdings dürfte noch ein paar Sommer dauern.

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die einen im Burkini, andere im Bikini, wiederum andere oben ohne. Ob mit Glied oder ohne. Gibt ganz andere Gründe, Freibädern fern zu bleiben. Vermassung und kollektives Brutzeln im Sonnenöl, einmal gewälzt in Chlortunke, muss gemocht sein.

  • "Wirklich deprimierend ist, dass Maxwell im Prozess eisern schwieg zu den prominenten Kunden ihres Mädchenhändler-Rings und zu den Namen in Epsteins berüchtigtem Adressbuch."



    Wer schweigt,lebt länger.

  • 1/3



    Das ist halt schon ein ärgerlich oberflächlicher Artikel, der sein ernstes Thema „die Freiheit von Körpern“ damit fast schon vergageiert. Dabei hätte ich gewarnt sein können, das muss ich zugeben. Denn dem Namen der Kolumne verpflichtet, benennen die Überschiften, über welche Unterthematiken die Sache abgehandelt werden soll: Sommer, Putin, einem Selbstbestimmungsgesetz, sowie über Männerphantasien von Politikern. Die letztgenannte Thematik leuchtet noch am unmittelbarsten ein, auch wenn die gewählte Formulierung sich liest wie ein Referatstitel auf dem Deutschen Soziologentag: „Von Bürokratie befreite Transkörper in Berlin“ –„Ergebnisse einer qualitativen empirischen Untersuchung auf der Mikroebene“, möchte man ergänzen. Ja doch, da könnte was dran sein, das so zu betrachten. Beobachtet man doch medial gerade, wie um in Freibädern vom Bikini-Oberteil befreite weiblich gelesene Körper „gerungen“ wird. Was könnte es also auf sich haben, mit der Freiheit von Körpern?



    Bei allem Ernst beginnt dann die Abhandlung erst mal, weil Sommer, humoristisch, mit einem tatsächlich aber einleuchtenden Beispiel zur Freiheit von Körpern und ob sie so sein könnte. Da haben alle was zu lachen, da haben alle was davon. Die Männer dürfen, man(n) staune, ausnahmsweise mal männerphantasieren und die Frauen dürfen kichern, ob die Kolleginn vielleicht doch….Der Artikel verspricht plötzlich bei allem Ernst so fruchtig-süffig zu werden wie eine leichte, kühle Bowle, gerade recht in einer Sommernacht. Warum auch nicht?



    Dann hat es sich aber was mit den Männerphantasien. Man erfährt, dass solche Politiker haben und dass sie die auf ihre Männerpolitikerkollegen projizieren, sogar mitten oder gerade mitten im Krieg. Nur in welchem Zusammenhang dass z. B. mit der Freiheit bzw. Unfreiheit ihrer Körper stehen könnte, davon erfährt man – nichts. Thema verfehlt.

  • 2/3



    Und so geht es weiter. Da liegt ein unansehnlicher Männerkörper langestreckt auf einer Bank im Park und zeigt eine nackige behaarte Bierplauze. Igitt. Dürfen Körper ihre Freiheit auf Sichtbarkeit behalten, wenn sie zwar ihr gesetzl. verbrieftes Recht auf Aufenthalt in der Öffentlichkeit wahrnehmen (der Körper bedroht ja keinen) sie aber gegen die ästhetischen Empfindungen anderer Körper, jedoch längst nicht aller, die sich in dieser Öffentlichkeit befinden, verstoßen? Auch zu diesem Aspekt der Freiheit der Körper – nichts. Nicht mal dazu, ober der Körper überhaupt männlich gelesen werden will. Schon gut, ich würde den auch nicht fragen. Doch Körper anderer sexueller Identitäten können durchaus Bierplautzen haben – und sich Pudel wohl damit fühlen. Zur Freiheit – wieder nichts.



    Dann fängt es zweifellos richtig an, um so sofort ganz unstimmig und unklar zu werden: „hässlich aber wird es da, wo Männer mit Macht und Geld über junge Frauenkörper verfügen, sie manipulieren und missbrauchen – einfach, weil sie es können.“ Ja. Da ist nichts daran zu rütteln. Umso wichtiger, da genauer darauf zu schauen. Körper können manipuliert werden. Frauenkörper können von Männern manipuliert werden und umgekehrt. Aber mal wird von Körpern gesprochen, mal von Menschen, Menschen als Männer und Frauen. Pardon, folgendes kann leicht als schon ins Obszöne gehendes verstanden werden, was mir nicht passieren darf. Können im genannten schrecklichen Zusammenhang Männerkörper Frauenkörper manipulieren? Körper mit Geld und Macht manipulieren? Jedenfalls mit K.O-Tropfen, Drogen, Medikamenten, den psychosozialen Normen, die existieren und unsere Körper tatsächlich als solche manipulieren können. Und das sowieso: Das so genannte „schwache Geschlecht“ „sinkt nicht dahin“. Es wird brutal vergewaltigt. Einmal gewendet, was geschieht im erotischen Spiel? DA sind auch zwei – freie - Körper, die miteinander interagieren. Was wäre dann Manipulation? Dieses eigentlich schöne „dahin sinken“, Männer k

    • @Moon:

      Vervollständigung des letzten Satzes:

      Dieses eigentlich schöne „dahin sinken“, Männer kennen das auch, dürfte doch wohl ein anderes sein.

  • 3/3



    Will sagen, da tauchen hinter dem Text so viele Fragen und Aspekte auf, die durchaus mit den niedergeschriebenen Inhalten in Verbindung stehen. Aber der Text wirft alles nur auf und beantwortet, sorry, muss ich leider so sagen, nichts davon. Die Erläuterungen zu Ghislaine Maxwell mögen richtig sein, sind mit dem Thema aber gar nicht verbunden. Sie sind nicht mal Exkurs.



    Eine Analyse muss schon bei den gewählten Begrifflichkeiten bleiben. Man merkt aber, das greift hier nicht mehr. Diese Manipulationsvorgänge finden zwischen Menschen statt. Doch ganz unhinterfragt wird da ein Begriffswechsel vollzogen im Text, der seinem Verständnis und vor allem der Sache um die er sich dreht, schadet. Und „Gerechtigkeit für Körper“, die Transsexuellen und das neue Gesetz, dann lieber gleich einen eigenen Artikel zu eben dieser Gerechtigkeitsfrage. Hier wird das doch im Grunde auch nur genannt aber eben nicht erläutert.