Sogenannte „Judensau“ an Stadtkirche: Zur Not bis nach Straßburg

Der Kläger im Verfahren um ein antisemitisches Relief in Wittenberg gibt nicht auf: In der taz kündigt er Revision vor dem Bundesgerichtshof an.

Seitenansicht der St Marienkirche in Wittenberg mit Relief

Seitenansicht der St. Marien Kirche in Wittenberg mit dem Relief aus dem 13. Jahrhundert Foto: Annegret Hilse/reuters

NAUMBURG/BERLIN taz | Der Prozess um ein antisemitisches Relief an der Fassade der Stadtkirche von Wittenberg geht in die nächste Runde. Kläger Michael Düllmann aus Bonn will das Urteil des Naumburger Oberlandesgerichts vom Dienstag, nach dem das mittelalterliche Schandmal hängen bleiben darf, nicht akzeptieren. Der 77-jährige Düllmann, der Mitglied der Berliner jüdischen Gemeinde ist, kündigte eine Revision vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe an. „Ich werde alle juristischen Mittel ausschöpfen und notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gehen“, sagte Düllmann der taz.

Das Naumburger Gericht hatte in der Berufungsverhandlung zugunsten der Stadtkirche entschieden, wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls aber die Möglichkeit zu einer Revision zugelassen. Düllmann hatte von der Kirchengemeinde verlangt, das Relief zu entfernen, da er sich durch die mittelalterliche Darstellung von Juden beleidigt sieht. Die gut 700 Jahre alte Darstellung zeigt eine Sau, an deren Zitzen an ihren spitzen Hüten erkenntliche Juden saugen, sowie einen Rabbiner, der dem Tier in den Anus schaut.

Das Relief ist nur eines von etwa 20 antisemitischen Darstellungen aus dem Mittelalter, die bis heute an oder in Kirchen in Deutschland gezeigt werden. In einigen Fällen wurde in den letzten Jahren eine den Kontext erklärende Tafel angebracht, in anderen Fällen sind „Judensauen“, so die Bezeichnung der Darstellungen, weiterhin unkommentiert sichtbar.

Das Verfahren um die Kirche, an der einst Martin Luther seine Predigten hielt, hat zu einer teils hitzigen Debatte in- und außerhalb der evangelischen Kirche geführt. Der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer empfahl eine Entfernung des Reliefs.

Ein Fall fürs Museum?

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, wiederholte am Mittwoch seine Forderung, dass die Darstellung in ein Museum gehöre. Das Naumburger Urteil mache einmal mehr klar, dass das Problem politisch gelöst werden müsse, sagte Klein. „Ich würde mich freuen, wenn die beiden großen Kirchen in Deutschland sowie die betroffenen evangelischen und katholischen Kirchengemeinden das Urteil zum Anlass für eine proaktive Debatte nähmen, um diese unselige Kirchentradition zu überwinden“, sagte Klein.

Jürgen Kohtz, Pfarrer in Calbe, Sachsen-Anhalt

„Diese Figur beleidigt auch heute noch permanent“

Entsprechende Konsequenzen gezogen hat bereits die evangelische Kirchengemeinde in der rund 8.000 Einwohner zählenden Stadt Calbe in Sachsen-Anhalt. An der Sankt-Stephanie-Kirche befanden sich bis vor Kurzem 14 unechte Wasserspeier aus dem 15. Jahrhundert, darunter eine „Judensau“. Diese sogenannten Chimären wurden im Zuge einer Restaurierung abgenommen. Einzig die antisemitische Skulptur soll nicht wieder angebracht werden, sagte Pfarrer Jürgen Kohzt der taz. Den entsprechenden Beschluss habe der Gemeindekirchenrat schon im November einmütig gefasst.

„Diese Figur „beleidigt auch heute noch permanent“, sagte Kohtz zur Begründung. Dahinter stünde die Auffassung, dass Juden dort unerwünscht seien. Die Gemeinde werde einen angemessenen Platz für die Figur finden, dazu gebe es bereits konkrete Vorstellungen sagte Kohtz.

Dagegen hatte das Gericht in Naumburg im Falle der Wittenberger Stadtkirche erklärt, dass das Relief heute keine Beleidigung mehr darstelle. Es habe durch das Hinzufügen einer Erklärtafel und eines Mahnmals einen anderen Charakter erhalten. So sei die „Judensau“ zu einem Teil von „Gedenk- und Erinnerungskultur“ geworden. Dadurch habe die antisemitische Figur ihren ursprünglich ehrverletzenden Charakter verloren.

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