Antijudaistisches Kirchenrelief in Calbe: Diskret verhüllt
Viele deutsche Kirchen tragen antisemitische Reliefs. Auch an der Kirche in Calbe ist eine sogenannte „Judensau“ zu sehen. Wie soll man damit umgehen?
Der Fall im 35 km südlich von Magdeburg gelegenen Calbe erinnert an den Streit um ein ähnliches Relief an der Stadtkirche Wittenberg, der noch vor dem Bundesgerichtshof anhängig ist. An etwa 30 Kirchen in Deutschland finden sich solche beleidigenden Darstellungen.
Aus Sicht von Gemeindepfarrer Kohtz stellt die Stephani-Kirche in Calbe insofern einen Sonderfall dar, als alle Chimären für die Restaurierung zwischendurch bereits abgenommen waren. Man hätte also die sogenannte „Judensau“ einfach nicht wieder anbringen oder gleich an Ort und Stelle verwittern lassen können. „Es geht nicht darum, Geschichte zu leugnen und Bilderstürmerei zu betreiben“, betont der Pfarrer aber.
Die Plastik in Calbe ist eine von 14 unechten Wasserspeiern unterhalb des Dachsimses, den so genannten Chimären. Sie stellen allgemein menschliche Verwerflichkeiten dar, darunter eine weibliche Satansfigur und einen „hinterhältigen Modenarren“. Die antisemitische Szene aus dem 15.Jahrhundert ist besonders perfide, weil ein Jude einer Sau das Hinterteil küsst. Die Plastik sei „ein Schandmal und eine exorbitante Beleidigung“, sagt Pfarrer Kohtz.
Er findet, es müsse mehr über Antisemitismus gesprochen werden, viele Einwohner von Calbe hätten jahrzehntelang nichts von der sogenannten „Judensau“ gewusst.
Wie mit der Plastik umgehen?
Zwar ist die Plastik nun wieder an der Kirche angebracht, es ist aber doch nicht alles wie vor Beginn der Sanierung. Kompromissweise wird die Figur inzwischen verhüllt. Nicht mit edlen Stoffen wie beim Aktionskünstler Christo, sondern grob und mit Panzerband umwickelt.
In der Landeskirche begrüßt man den zwischen Denkmalschutz und Gemeinde gefundenen Verhüllungskompromiss. Oberkirchenrat Christian Fuhrmann, Gemeindedezernent der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sagt: „Weder kann es darum gehen, judenfeindliche Kunstwerke unreflektiert weiter zu tradieren, noch kann es das Ziel sein, sie verschämt vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen.“
Pfarrer Jürgen Kohtz ist aber spürbar unzufrieden mit der verhüllten Statue. Die Verhüllung mache erst recht auf die Plastik aufmerksam, wenn die Baugerüste fallen werden, glaubt er.
Von einer angemessenen Form des Umgang mit solchen Zeitzeugen hat der Pfarrer jedoch eigene Vorstellungen. Sie entsprechen dem, was er seit Jahrenin der Stephani-Kirche praktiziert. An Wänden und Pfeilern der imposanten, aber karg ausgestatteten Kirche kann man Texte aus allen Religionen lesen. Nun schwebt dem Pfarrer eine kommentierende Ausstellung zu jüdischem Leben und zur „Judensau“ im großen Turmzimmer zwischen den 57 Meter hohen Doppeltürmen vor, sozusagen auf Höhe der Skulptur. Mit der Denkmalbehörde soll noch einmal gesprochen werden, ob die Plastik dann in diesem Raum platziert werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier