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Skandal um FlüchtlingsunterkunftNeuer Betreiber in Burbach

Jetzt wird auch gegen den Chef von European Homecare und den Leiter der Einrichtung ermittelt. Ab sofort betreut das DRK die Flüchtlinge.

European Homecare – steht hier zwar noch draußen auf dem Schild der Burbacher Notunterkunft, ist aber ab sofort nicht mehr drin Bild: Pascal Beucker

KÖLN taz | European Homecare (EHC) darf ab sofort die Flüchtlingseinrichtung in Burbach nicht mehr betreiben. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat das Essener Unternehmen am Dienstag von allen Aufgaben entbunden und das Deutsche Rote Kreuz mit der Betreuung der Notunterkunft beauftragt. Damit zieht er die Konsequenzen aus neuen Vorwürfen.

„Angesichts der massiven Verdachtsmomente gegen den Leiter der Einrichtung und weitere Mitarbeiter ist das Vertrauen für eine zuverlässige Zusammenarbeit mit diesem Dienstleister in Burbach nicht mehr gegeben“, sagte Jäger. Hintergrund ist, dass die Staatsanwaltschaft den Verdächtigenkreis wegen des Misshandlungsskandals in der ehemaligen Siegerlandkaserne ausgeweitet hat.

Die Ermittlungen richten sich nicht mehr nur gegen mehrere Sicherheitskräfte, sondern auch gegen den EHC-Chef Sascha Korte und den Leiter der Burbacher Einrichtung, einen 34-Jährigen gelernten Versicherungskaufmann.

„In ihrem Fall wird dem Vorwurf nachgegangen, sie hätten zumindest von der Existenz von ‚Problemzimmern‘ und deren strafrechtlich relevanter Nutzung gewusst und diese nicht unterbunden“, erklärte der Siegener Oberstaatsanwalt Johannes Daheim. „In Betracht kommen insoweit Freiheitsberaubung und Nötigung in mittelbarer Täterschaft oder durch Unterlassen sowie Körperverletzungsdelikte.“

Am Montag ließ die Staatsanwaltschaft die Wohnungen der beiden durchsuchen, ebenso die Unternehmenszentrale in Essen sowie Verwaltungsräume in der Burbacher Notunterkunft. Die Auswertung der dabei sichergestellten Unterlagen dauert an. „Es könnte sein, dass noch weitere Beschuldigte dazukommen“, sagte Daheim.

Höchste Zeit für kritische Fragen

Nach dem Entzug von Burbach betreibt EHC nun mehr noch fünf Landesflüchtlingsunterkünfte in Nordrhein-Westfalen. Sie würden sich einer umfassenden Überprüfung stellen müssen, kündigte Innenminister Jäger an. „Wir brauchen jetzt Gewissheit, dass derartige Vorwürfe nicht auch andere Landeseinrichtungen betreffen.“ Er sei sich sicher, dass auch seine Kollegen aus anderen Bundesländern „mehr als kritische Fragen an EHC stellen werden“. Höchste Zeit wäre es jedenfalls.

„Wir verbinden wirtschaftliches Handeln mit sozialer Kompetenz!“, wirbt EHC zwar für sich. Menschenrechtsorganisationen klagen jedoch seit Jahren schon über die schlechten Zustände in den Heimen des Familienunternehmens. So soll EHC die vertraglich vereinbarten Betreuungsstandards systematisch ignorieren, es würden zu wenige Psychologen, Sozialpädagogen und Erzieher beschäftigt, hygienische Bedingungen sollen vielfach ebenso unzumutbar sein wie die Verpflegung. Auch andernorts soll es zu Misshandlungen gekommen sein.

Gegründet wurde EHC 1989 unter dem Namen „Korte & Mrosek“. Auf dem Höhepunkt der hysterischen Diskussion über die „Asylantenschwemme“ entdeckte Firmengründer Rudolf Korte, der zuvor mit Baubeschlägen gehandelt und einen Schlüsseldienst betrieben hatte, die Flüchtlingsbetreuung als lukratives Geschäftsfeld. Er startete mit vier Wohnheimen in Hessen.

Anfang der 1990er Jahre expandierte Korte gen Ostdeutschland. Ein Traummarkt: Die Ex-DDR war noch nicht unter den Wohlfahrtsverbänden aufgeteilt und die Verantwortlichen hatten damals schon keinerlei Skrupel, profitorientierte Privatfirmen zu beauftragen. Korte baute eine 750 Plätze fassende Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz auf, dann Unterkünfte in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. 2001 folgte die Umbenennung in European Homecare. Im selben Jahr übernahm der „soziale Dienstleister“ in NRW drei Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes sowie zwei Wohnheime. Auch die Betreuung von Flüchtlingen im Transferbereich des Flughafens Düsseldorf und im Abschiebegefängnis Büren fiel an EHC.

Tagespauschale von 12,90 Euro

Das Erfolgsrezept: mit Dumpingpreisen die Konkurrenz unterbieten. Das bewährte sich auch in Österreich, wo die Firma 2003 den Betrieb der vier größten Bundesbetreuungseinrichtungen übernahm. Eine Tagespauschale von 12,90 Euro hatte EHC dem Innenministerium angeboten. Ein Konsortium aus Caritas, Diakonie, Volkshilfe und Rotem Kreuz sah sich nicht in der Lage, unter 15 Euro zu gehen. Zuvor hatte der Satz bei 17 Euro gelegen. Das österreichische Engagement ist allerdings inzwischen beendet. 2010 kündigte EHC die Verträge. Da pro Fall abgerechnet würde, rentiere sich angesichts sinkender Asylbewerberzahlen das Geschäft nicht mehr, so die Begründung.

In Deutschland betreibt EHC mittlerweile rund 40 Einrichtungen. Über die Übergriffe in der ehemaligen Siegerlandkaserne zeigte sich Geschäftsführer Sascha Korte „betroffen und schockiert“. Er sei jedoch „sicher, dass die polizeiliche Ermittlungsarbeit ergeben wird, dass EHC im Vorfeld keine Informationen über die Vorfälle in Burbach hatte“, ließ der Sohn des Firmengründers mitteilen.

Nach der Aufdeckung des Misshandlungsskandals hatte sich Jäger zunächst auf die Sicherheitsdienste konzentriert und Konsequenzen für den Betreiber nicht in Betracht gezogen. Der Rausschmiss von EHC aus der Burbacher Flüchtlingsunterkunft kann nun als der Versuch eines Befreiungsschlags des Innenministers gesehen werden, der in den vergangenen Tagen zunehmend unter Druck geraten ist. Angesichts immer neuer Enthüllungen fordern CDU und FDP mittlerweile seinen Rücktritt. Einen „Morast an organisierter Verantwortungslosigkeit“ warf ihm FDP-Fraktionsvize Joachim Stamp vor.

Die Piratenfraktion verlangt eine Sondersitzung des Innenausschusses, „in der vollumfänglich über die Misshandlungen und Vernachlässigungen in den NRW-Einrichtungen aufgeklärt wird“. Es müsse „jetzt Schluss sein mit der Salami-Taktik des Innenministers“, forderte ihr flüchtlingspolitischer Sprecher Frank Herrmann.

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5 Kommentare

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    • @stadtlandmensch:

      "Wenig später zeigt eine Frau aus Kamerun in Traiskirchen einen Wachmann wegen Vergewaltigung an. Dieser gab zu, er sei "scharf auf die Negerin" gewesen und habe sich mit ihr in einen Büroraum eingesperrt, um Sex zu haben. Der Wächter wurde dennoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen, der Frau drohte dagegen vorübergehend eine Verleumdungsklage."

  • Mein erster Gedanke beim Lesen der Überschrift :..."Warum war das bei der Haasenburg damals nicht möglich" ?

  • "Die Ex-DDR war noch nicht unter den Wohlfahrtsverbänden aufgeteilt und die Verantwortlichen hatten damals schon keinerlei Skrupel, profitorientierte Privatfirmen zu beauftragen."

     

    Sorry, auch NRW ist Beitrittsland?

    • @Heinrich Ebbers:

      Es geht whl eher den Hauptsitz der Betreiberfirma.

      Die Behauptung das Wohlfahrsverbände nicht profitorientiert wären, ist ja wohl ein Brüller. Da muß man sich ja mal nur die Dienstwagen und Büroräume der Leitenden Angestellten und Vorstände anschauen.