Skandal auf Schalke: Rassismus als Sommergrippe
Alles nur Blabla: Nach dem Urteil im Fall Tönnies wirken die antirassistischen Bekenntnisse in der Vereinssatzung nur noch wie hohle Phrasen.
![Tönnies geht über ein Fußballfeld Tönnies geht über ein Fußballfeld](https://taz.de/picture/3600529/14/23514825.jpeg)
E s gibt viele Menschen in diesem Lande, die hätten sich von Schalke 04 eine kurze wie klare und wichtige Botschaft erwartet: Rassismus geht gar nicht. Stattdessen teilte der fünfköpfige Ehrenrat des Vereins am sehr späten Dienstagabend mit: „Das Gremium ist nach mehrstündiger Sitzung zu dem Ergebnis gelangt, dass der gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden des S04, Clemens Tönnies, erhobene Vorwurf des Rassismus unbegründet ist.“
Es gibt eben immer mehr Menschen in diesem Lande und leider sitzen sie auch in den Führungsgremien von Schalke 04, die sich weniger um den Rassismus und ihre Opfer sorgen als um die Täter und den Rassismusverdacht. So als könne von ihm jeder jederzeit zufällig geplagt werden wie von einer Sommergrippe. Deshalb haben die Schalker Ehrenratsmitglieder bis in die Nacht hinein lange am Begriff Rassismus herumgeschnitzt, bis nichts Substanzielles übrig blieb und nahezu alle Deutschen als Antirassisten durchgegangen wären. Denn Nichtrassisten gibt es nicht – nur Rassisten und Antirassisten.
Aufgrund des immensen Empörung, die Tönnies Klimarettungsvorschlag bei einem Vortrag in Paderborn ausgelöst hatte, Afrika gratis mit 20 Kohlekraftwerke zu versorgen, „dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren“, mussten sich die Schalker allerdings einen Kniff einfallen lassen. Tönnies wurde zwar vom Rassismus freigesprochen, wegen der Verletzung des Diskriminierungsverbots jedoch, das sowohl in der Vereinssatzung als auch im Leitbild verankert sei, für schuldig befunden. Aber selbst dieser Verstoß wurde irrsinnigerweise nicht sanktioniert. Tönnies hat sich sein Strafmaß selbst ausgesucht, indem er sein Vergehen eingestand und eine temporäre dreimonatige Niederlegung seines Amts anbot. Eine Art Sabbatical sozusagen, das vor allem dazu dient, die Öffentlichkeit zu beruhigen. Der Ehrenrat fand die Idee prima.
Die Unterscheidung zwischen Rassismus und Diskriminierung ist an Dämlichkeit kaum zu überbieten. Denn Diskriminierung ist nichts weiter als ein Überbegriff und Rassismus wiederum eine Form von Diskriminierung. Die Antidiskriminierungstelle des Bundes unterscheidet Diskriminierung aus Gründen von Alter, Behinderung, Geschlecht, Religion, sexueller Identität und eben von Rassismus. Zumindest nach dem Ausschlussverfahren hätte man bei Schalke 04 darauf kommen können, dass Tönnies' Äußerungen rassistisch diskriminierend waren, eine Herabwürdigung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft.
Das Problem ist: Man wollte partout nicht darauf kommen. Natürlich spielt bei den Verrenkungen des Schalker Gremiums die persönliche Nähe zum Kreditgeber und Großunternehmer Tönnies eine Rolle. Nicht umsonst wird von Vereinen oft das Bild der Familie, die zusammenhält, beschworen.
Die Dimension des Falls ist allerdings zu groß, als dass sie mit vereinsmeierischen Winkelzügen aus der Welt zu schaffen wäre. Nach dem Urteil im Fall Tönnies wirken die antirassistischen Bekenntnisse in der Vereinssatzung nur noch wie hohle Phrasen. Statt Tönnies auszugrenzen, grenzt der Verein nun diejenigen aus, die sich seit Jahren für Antirassismus engagieren und sich auch deshalb ein klare Reaktion des Klubs gewünscht hatten. Und der Versuch des Ehrenrats, Rassismus zu relativieren, hat eine fatale Signalwirkung weit über Schalke hinaus.
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