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Situation von NGOs in Israel und Palästina„Sei für uns oder du bist ein Verräter“

Jerusalem will, dass Berlin „antiisraelische“ Aktivitäten einstellt. Politologe Amal Jamal über Nationalisten in Nahost und das Problem der israelischen Linken.

Auch das Jüdische Museum in Berlin wird für „Anti-Israel-Aktivitäten“ kritisiert Foto: dpa
Jannis Hagmann
Interview von Jannis Hagmann

Herr Jamal, in einem Schreiben aus Israel wird die Bundesregierung aufgefordert, die finanzielle Unterstützung für liberale Organisationen der Zivilgesellschaft in Israel und Palästina einzustellen. Auch das Jüdische Museum in Berlin wird für „Anti-Israel-Aktivitäten“ kritisiert. Was steht hinter diesen Vorwürfen?

Das Dokument zeigt, wie ausländische Regierungen ins Visier genommen werden, weil sie bestimmte liberale NGOs unterstützen. Der Angriff auf diese Organisationen dient dazu, die Dominanz nationalistischer Stimmen zu festigen, die die Siedlungspolitik unterstützen und eine Vorstellung des Staates Israel fördern, die auf Nation statt auf Staatsbürgerschaft basiert. Diese anti-liberale und national-populistische Ideologie strebt danach, Stimmen zu unterdrücken, die Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Pluralismus unterstützen.

Auch der Sohn des israelischen Ministerpräsidenten stößt in dieses Horn. Jair Netanjahu hat linke Politiker und NGOs sowie die Medien generell als Verräter bezeichnet. Er spreche nur aus, was die ganze Nation denke, behauptet er. Stimmt das?

Es liegt im Trend, bestimmte NGOs zu beschuldigen, das Vaterland, die Gesellschaft und den Staat zu verraten. Jede Opposition gegen die rechte Politik der Regierung wird im Feind-Freund-Schema wahrgenommen: Sei für uns oder du bist ein Verräter. Dabei setzen sich viele der Beschuldigten dafür ein, die israelische Demokratie zu erhalten, Menschenrechte zu schützen und die Regierung für ihre Politik gegenüber den Palästinensern in Israel sowie in den besetzten Gebieten verantwortlich zu machen.

Im Interview: Prof. Dr. Amal Jamal

forscht und lehrt am Sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Tel Aviv. Er war als Gastwissenschaftler für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin tätig, die die Bundesregierung berät.

Was heißt Trend? Wer steht hinter diesen Beschuldigungen?

Rechts-konservative NGOs arbeiten eng mit Politikern im israelischen Parlament zusammen. Sie versuchen, den Raum der Meinungsfreiheit einzuschränken, besonders wenn es darum geht, der expansionistischen Politik in den besetzten Gebieten etwas entgegenzusetzen. Diese Organisationen wollen Kritiker zum Schweigen bringen. Sie wollen die Möglichkeit von Menschenrechtlern begrenzen, die israelische Politik, insbesondere die Siedlungspolitik und den Umgang mit den Palästinensern, kritisch zu begleiten. Dafür bekommen sie Rückendeckung aus der Politik.

Sie sprechen in einer Studie von „schlechter Zivilgesellschaft“. Haben rechte Gruppen in einer pluralistischen Demokratie nicht dieselben Rechte wie linke NGOs und Menschenrechtler?

Rechte Zivilgesellschaft ist genauso legitim wie linke Zivilgesellschaft. Seit der Staatsgründung 1948 waren rechte NGOs Teil der politischen Szene Israels. Was die rechten NGOs schlecht macht, ist nicht ihre Ideologie. Das Problem beginnt, wenn sie versuchen, andere vollständig zum Schweigen zu bringen. Das fördert nicht den demokratischen Prozess, sondern stellt eine Form von Zensur im diskursiven Raum dar.

Die Vorwürfe aus Israel

Die taz berichtete Anfang Dezember über eine Beschwerde an die Bundesregierung. In dem Schreiben wird die Finanzierung von israelischen und palästinensischen Organisationen beanstandet, die unter anderem die Besatzung der palästinensischen Gebiete kritisieren.

Von der Beschwerde betroffen sind zahlreiche deutsche Organisationen, darunter die Heinrich-Böll-Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, Brot für die Welt, Misereor, die Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH), die "Stiftung :do", Kurve Wustrow e.V. und andere. Auch das Jüdische Museum in Berlin sowie das Filmfestival Berlinale werden angegriffen. Ihnen werden „Anti-Israel-Aktivitäten“ vorgeworfen.

Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten teilte nach Bekanntwerden des Schreibens mit, Benjamin Netanjahu habe mit verschiedenen Regierungen über das Thema gesprochen. Israelische Medien interpretierten, die Beschwerde sei direkt von Netanjahu gekommen.

Die Faz berichtete am Dienstag, Netanjahu habe sich eigenen Angaben zufolge nicht an eine Beschwerde über das Jüdische Museum erinnern können. "Aber ich erinnere mich, mit ihr (Merkel) darüber gesprochen zu haben, dass Deutschland und die EU Nichtregierungsorganisationen unterstützen, die ... Terrororganisationen unterstützen, palästinensische Terrororganisationen, die sich als Menschenrechtsorganisationen tarnen", zitierte die Zeitung ihn.

Sie sprechen von Organisationen wie NGO Monitor, Im Tirtzu oder Institute for Zionist Strategies. Wie arbeiten diese Gruppen?

Eine ihrer Strategie ist die Delegitimierung und Stigmatisierung in der israelischen Öffentlichkeit. Ein Video von Im Tirtzu zielt auf bekannte Menschenrechtsaktivisten ab. Sie wurden als ausländische Agenten und Verräter dargestellt, die der israelischen Gesellschaft in den Rücken fallen.

Die zweite Strategie ist, den politischen Gegner auf internationaler Bühne mundtot zu machen. So wird zum Beispiel versucht, die Stimme von B’Tselem zu unterdrücken und deren Kritik an der israelischen Politik in den besetzten Gebieten zu unterbinden.

Die dritte Strategie zielt auf die finanziellen Ressourcen ab. Bestimmte NGOs sollen von ihren Einkommensquellen abgeschnitten werden. Dabei spielt auch der Vorwurf des Antisemitismus eine Rolle. Jede ausländische Regierung, besonders die deutsche, wird Angst haben, mit NGOs in Kontakt zu stehen, denen Leute in Israel, darunter prominente Politiker und auch der Ministerpräsident, vorwerfen, antisemitische Aktivitäten zu unterstützen.

Wie sehen die Verbindungen dieser Gruppen in die Politik genau aus?

Es gibt sehr enge Verbindungen zwischen den rechten NGOs und politischen Parteien in der Knesset. Allen voran in der Partei „Das jüdische Haus“, aber auch in großen Teilen von Netanjahus Likud wird aktiv Lobbyarbeit betrieben. Ein Beispiel ist das neue Nationalstaatsgesetz …

… das viele im In- und Ausland als rassistisch kritisiert haben. Arabische Israelis würden als Bürger zweiter Klasse festgeschrieben.

Das Gesetz wurde vorbereitet durch das Institute for Zionist Strategies. Diese NGO hat es einem Politiker in der Knesset gegeben, der es zur Verabschiedung vorgelegt hat. Das Gleiche trifft auf das neue NGO-Gesetz von 2016 zu. Die Anliegen der rechten Organisationen werden in einen legislativen Prozess übersetzt.

Eine weitere Verbindung zur Politik besteht aus Platzwechseln. Viele der Mitarbeiter der nationalistischen NGOs waren Berater oder Mitarbeiter in Parteien. Vertreter der NGOs und der Regierung treten gemeinsam auf. Auf Podien oder im Ausland vertreten sie dieselben Positionen. NGO Monitor und Im Tirtzu haben zum Beispiel ausgezeichnete Kontakte in den israelischen Botschaften im Ausland.

Geht es in den Kampagnen dieser Organisationen in erster Linie um den Diskurs in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten?

Menschenrechts-NGOs in den besetzten Gebieten sind die Speerspitze. Aber linke Organisationen generell stehen unter Beschuss. Die US-Organisation New Israel Fund etwa, die von Netanjahu in vielen Reden angegriffen worden ist, unterstützt NGOs in Israel, die nichts mit den besetzten Gebieten zu tun haben, die aber nach einer liberalen und pluralistischen Gesellschaft streben.

Wie konnten die rechten Gruppen so einflussreich werden?

Weltweit ist die Linke auf dem Rückzug, auch in Deutschland. In Israel rückt Umfragen zufolge die gesamte Gesellschaft nach rechts, wird immer konservativer. Das hat zu tun mit sozialem Wandel, aber auch mit der Fragmentierung in der politischen Szene links von der Mitte. Leute haben mittlerweile Angst zu sagen, dass sie links sind. Die prominenten Stimmen in der israelischen Gesellschaft sind heute die Ultraorthodoxen, die National-Religiösen und die Siedler.

Woran machen sie das fest?

Vertreter der Siedlungsbewegung erobern immer mehr Regierungsämter und hohe Positionen in der Bürokratie. Sie haben ein Interesse, den anti-liberalen Diskurs aufrechtzuerhalten, damit die Politik weiter ihre Privilegien unterstützt: die Expansion der Siedlungen und die Annexion bestimmter Gegenden in der Westbank, um letztendlich die Zweistaatenlösung zu demontieren.

Nächstes Jahr wird die Knesset neu gewählt. Wird der Handlungsspielraum für kritische Stimmen wieder größer werden?

Nein. Der anti-liberale Zeitgeist ist tief verwurzelt in der israelischen Gesellschaft. Und die nächste Regierung – egal ob mit oder ohne Benjamin Netanjahu – wird wieder eine rechte sein. Die Chance, dass eine linke Partei eine Koalition zusammenbekommt, ist gleich null.

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8 Kommentare

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  • Hier nochmal Tuvia Tenenbom, der insbesondere die motivation deutscher NGO's sehr klug schildert:



    www.youtube.com/watch?v=aQwJzFvkjRc

  • Das Problem der israelischen Linken ist wohl eher, dass ihre Politikvorschläge im Kern ausprobiert wurden und von den Palästinensern zum Scheitern gebracht wurden. Die Oslo-Verhandlungen der 1990er Jahre beruhten auf der humanistischen, liberalen Auffassung, dass der Konflikt eigentlich lösbar ist. Die Antwort war die zweite Intifada. Danach sollte in der liberalen Politikvorstellung Land gegen Frieden getauscht werden. Der Rückzug aus Gaza wurde umgesetzt. Die Antwort waren Hamas-Raketen und Tunnel. Die jüngeren Israelis, egal ob liberal, national oder religiös, glauben einfach nicht mehr an ein gesprächsbereites Gegenüber auf palästinensischer Seite. Man verwaltet halt jetzt den Status Quo.

    • @Mark2013:

      öhöm, öhöm - die antwort auf Oslo war, dass Rabin erschossen wurde.



      wer war das geich noch mal, der da schoß?

      • @christine rölke-sommer:

        Das mit der Ermordung von Rabin durch Jigal Amir auf dem Platz der Könige, der Friedensprozess aufgehört hat, ist ein Märchen.

        Schimon Peres hat die Politik von Rabin fortgesetzt.

        Peres galt vor den Wahlen 1996 als haushoher Favorit. Aber wer kann denn den eigenen Leuten einen Friedensprozess verkaufen, wenn Busse und Einkaufszentren Todesfallen werden?

        - 25.02. Bombenanschlag eines Selbstmordattentäters auf einen Bus der Linie 18 in Jerusalem 26 Tote und 48 Verletzte

        - 04.03. Bombenanschlag eines Selbstmordattentäters auf das Dizengoff Einkaufszentrum in Tel Aviv 13 Tote und 132 Verletzte

        - 05.03. Bombenanschlag eines Selbstmordattentäters auf einen Bus der Linie 18 in Jerusalem 19 Tote und 7 Verletzte

        Wie konnte Peres bei einer so guten Unterstützung des Friedensprozesses die Wahl nur mit 49,5% der Stimmen verlieren

        • @Sven Günther:

          Ich finde es gut, dass Sie eine wesentliche Ursache für das Erstarken der Rechten in Israel benennen und richtigstellen, warum der Friedensprozess gescheitert ist. Ich sehe bei den Palästinensern - zumindest bei der Führung, die den Terror befürwortet - keine Kooperations- und schon gar nicht eine Friedensbereitschaft. Der Terror in Israel geht ja immer weiter, zwar nicht mehr mit klassischen Selbstmordkommandos, dafür aber mit ähnlichen Mitteln, wie sie nun auch in Europa leider üblich geworden sind, also Anschläge mit LKWs, Messer, usw. Und nicht zu vergessen der Brennende-Drachen und Raketen-Terror aus Gaza. Kein Wunder also, dass rechte Parteien, die Stärke propagieren, an die Macht kommen. Das ist ja mittlerweile in Europa auch zu beobachten, nicht wahr?

        • @Sven Günther:

          mir ging es um "Die Antwort war die zweite Intifada." DAS konnte ich SO nicht stehenlassen.

  • Zitat: „Rechte Zivilgesellschaft ist genau so legitim wie linke Zivilgesellschaft.“

    Dieser Satz wird vermutlich beim Lesen ganz falsch betont. Er verliert dadurch seine Richtigkeit. Der erwähnte Dualismus ist gar nicht entscheidend. Entscheidend für die Legitimation ist das, was nicht erwähnt wird.

    Der Satz muss lauten: Genau so legitim wie linke ZIVILgesellschaft ist rechte ZIVILgesellschaft. Denn alle Macht, die auf Gewalt fußt, ist in einer Demokratie illegitim. Und genau da liegt das Problem: Gewalt und rechte Ideologie sind gar nicht zu trennen.

    Während eine gewaltfreie Linke durchaus vorstellbar ist, ist eine gewaltfreie Rechte unvorstellbar. Für Rechte ist die zivilgesellschaftliches Engagement nur ein notwendiges Übel, ein Zwischenschritt auf dem Weg ans eigendliche Ziel, das totale Kontrolle heißt.

    Das Schlimme an den rechten NGOs ist also gerade ihre Ideologie. Das Schlimme an den linken NGOs aber ist, dass sie das nicht begreifen wollen. Sie sehen nur das Verbindende. Das trennende ignorieren sie zu oft.

    Nein, Freundschaft ist ohne Kritikfähigkeit keine besonders gute Sache. Genau genommen ist eine Freundschaft, in der Kritik unerwünscht ist, überhaupt keine Freundschaft.