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Silvester-Gewalt in Leipzig-ConnewitzBeide Seiten kritisieren

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

In Leipzig haben sich beide Seiten falsch verhalten: Polizei und Linksautonome. Eine differenzierte Diskussion scheint kaum möglich.

Randale in Leipzig-Connewitz Foto: dpa

W er nach den Silvester-Ausschreitungen von Leipzig-Connewitz eine differenzierte Debatte führen möchte, braucht ein dickes Fell. Auf Twitter kassieren User, die die Polizeistrategie hinterfragen, Beleidigungen und Drohungen. Der Polizeipräsident persönlich bezeichnet Kritik an seinen Leuten in einer Pressemitteilung als „erschreckend“. Teile der CDU werfen insbesondere der Linkspartei vor, sie verharmlose und dulde Gewalt. Ein mehrdimensionaler Blick auf die Ereignisse von Connewitz? Scheint derzeit so akzeptiert wie eine Mitgliedschaft in der RAF.

Dabei ist es kognitiv eigentlich gar nicht so schwer, sowohl die gewaltaffinen Randalierer als auch die staatlichen Gegenmaßnahmen zu kritisieren. Dass in Leipzig Teile der linksextremen Szene auf Gewalt an Silvester hinfiebern, ist zu verurteilen. Es greifen in diesem Fall noch nicht mal die gängigen linksextremen Rechtfertigungsmuster für politische Gewalt – sei es das der Notwehr oder das des Generierens von Aufmerksamkeit. Aus dem Spek­trum der demokratischen Parteien heraus gibt es schon gar keine Unterstützung für die Täter.

Aber gleichzeitig gibt es genug gute Gründe, auch den Polizeieinsatz zu kritisieren. Erstens: Die Verantwortlichen hatten sich dazu entschieden, der drohenden Gewalt mit massiver, sichtbarer Präsenz zu begegnen. Diese Strategie ist offensichtlich nicht aufgegangen. Natürlich ist es da legitim zu fordern, in Zukunft andere Strategien zu wählen. Zweitens: In Pressemitteilungen und in den sozialen Medien verhielt sich die Polizei in der Silvesternacht nicht wie ein neutrales staatliches Organ, sondern wie ein politischer Akteur. Das ist aber nicht ihre Rolle, auch wenn die Reaktion der dafür verantwortlichen Beamten angesichts eines schwer verletzten Kollegen nachvollziehbar sein mag.

Und drittens: Zwei Tage nach den Ausschreitungen mehren sich die Zweifel daran, ob die Situation tatsächlich in allen Details so dramatisch war wie von der Polizei dargestellt. Die Verantwortlichen müssen sich daher Nachfragen gefallen lassen – auch dann, wenn andere die Gewalt gesucht haben.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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11 Kommentare

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  • Einen Moment noch: Da mit dem "Conne Island" ein antideutsches - also nicht etwa linkes - Objekt den Stadtteil beeinflusst, ist auch eine Urheberschaft antideutscher Kader denkbar.



    Und deren Verbündete sind nunmal alles andere als links:



    taz.de/Streit-unte...eutschen/!5517963/

    • @Linksman:

      Eines der schönsten ideologischen Durchdrehereien hier im Lande ist immer zu beobachten, wenn Linke anderen Linken ihr Linkssein absprechen. Hier noch angereichert mit Verschwörungstheorie.



      "Ihr seid nicht links!""Doch!""Nein!""Doch!""Nein!".... Mimimi.

  • Man ist fast geneigt zu glauben, dass ein Einkaufswagen mit einem brennenden Polizeiauto aus Pappe drin der Gipfel politischer Gewalt der vergangenen Monate gewesen sein soll, wenn da nicht .....................................................

  • Dass die öffentlichen Politikeräusserungrn fast unisono schon wieder mediale Sprech- und Denkverbote erteilen, zeigt den Zustand der öffentlichen Debattierunfähigkeit an. Aber:

    Wieder herrscht die übliche "linksradikale" Rechtfertigung, dass sie ja das Opfer sind und deshalb auch mal draufhauen dürfen, weil die Faschos das noch viel schlimmer machen.



    Bei einer Familientherapie würde man fragen: Was wäre anders, wenn die Faschos nicht mehr existierten. Und die Linksalternativen würden einen erschrocken anstarren, weil sie dann ihres Lebensinhaltes beraubt wären.



    Mit fehlender sozialer Intelligenz wird das nix mit der Revolution. In Portugal gab es Nelken für die Gewehrläufe. Da hätte man bei einem harmlosen Sylvester-Polizriaufmsarsch in Leipzig sicherlich mit weniger Mut entwaffnendere Alternativen zu brennenden Einkaufswagen finden können. Aber das geilt den deutschen präpotenten Jungrevoluzzer mit 2 Promille einfach nicht genug auf.

  • "Dabei ist es kognitiv eigentlich gar nicht so schwer, sowohl die gewaltaffinen Randalierer als auch die staatlichen Gegenmaßnahmen zu kritisieren."

    Viele deutsche Politiker sind davon aber offensichtlich schon überfordert...

  • Ich sach's mal so: Wenn Neonazi-Spacken mit Unterstützung aus Justizkreisen zum Sturm auf Connewitz blasen und dort eine Spur der Verwüstung hinterlassen, halten sich Polizei und die meisten Medien auffallend vornehm zurück. Wenn aber die Connewitzer eigentlich nur Silvester feiern wollen, dann wird der ganze Stadtteil polizeilich abgeriegelt und medial zur linksextremen Zelle erklärt. Wie war das noch? Ach ja, richtig: „Reibung erzeugt Hitze und manchmal gibt's dann eben Blitze.“ Normal - oder nicht?

  • Das klingt so, als würden die Polizisten auf die unsägliche Stufe der Linksautonomen gestellt werden. Hier wird suggeriert, dass die Polizei schuld war weil sie „sichtbare Präsenz“ gezeigt hat.

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @Der Cleo Patra:

      Ich weiß nicht aus welchen Worten Sie das schließen.



      Was ich aber aus eigener Erfahrung weiß ist, dass polizeiliches Handeln am Erfolg festgemacht werden kann und sollte.



      Verletzte Polizisten, ob nun sehr schwer oder nur mittelschwer, gehören nicht zu einem erfolgreichen Einsatz und zwar zu keinem.



      Wenn nun also Kollegen verletzt werden, gebieten es sowohl die Vernunft als auch die Grundsätze der Eigensicherung, dass man sein Handeln überprüft, um beim nächsten Mal erfolgreicher zu sein.



      Ein Polizeiführer, der das nicht macht, macht was verkehrt.



      Dass die Straftäter außerdem beweissicher der Strafverfolgung zugeführt werden, steht nicht nur außer Frage sondern in diesem Zusammenhang auf einem anderen Blatt.

  • Wer ist so gelangweilt vom Leben und so intelligent (?) sich Zeit zu nehmen um einen Einkaufwagen als Polizeikutsche umzubauen und die in der Neujahrsnacht Richtung Polizei zu platzieren. Der übrigens per Bild meistgesehene Deutschlands, toll, Medien!



    Warum Polizeikontrollen in der Neujahrsnacht? Terrorschwerpunkte erwartet oder wie? Wieso gerade im DLF, Zitat: Schädehintraumapatient..., der heute entlassen wird?? Also keine wochenlange Nachsorge des Hirntraumas und neu sprechen lernen o.ä?



    Wieso wird gelogen und getrickst und provoziert. Sinnlos, schade um die Kräfte-Verschwendung aller Beteiligten. Themen, die sinvoll zu kanalisieren gäbe es genug.

    • 8G
      83191 (Profil gelöscht)
      @Tom Farmer:

      Schädelhirntrauma-Patienten können verschiedene Grade haben. Manchmal ist es auch nur ein Verdacht auf SHT. Eine zeitnahe Entlassung ist also nicht unüblich.

      Das klingt halt gefährlich, ist es gelegentlich auch, aber im vorliegenden Fall ist es wahrscheinlich eine Erhöhung durch Weglassung.