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Sigmar Gabriel für längere ArbeitszeitDer Seitenwechsler

Kommentar von Gunnar Hinck

Ex-SPD-Chef Gabriel versucht sich als weiser Ratgeber. Dabei unterschlägt er, dass er mit gut dotierten Posten Arbeitgeberinteressen vertritt.

Im Aufsichtsrat einer ThyssenKrupp-Tochter, von Siemens Energy und Deutsche Bank: Sigmar Gabriel Foto: Imago

I n der SPD wollen viele ehemalige – meist männliche – Parteigranden es so machen wie Helmut Schmidt. Sie lassen sich gern – nicht oft, aber wohldosiert – in Talkshows einladen und behelligen die Öffentlichkeit per Interview mit Ratschlägen. Sie sehen sich als Elder Statesmen, auf deren kluge Worte die Öffentlichkeit nur gewartet hat. Die armen ParteikollegInnen in Ämtern, das ist wohl der ziemlich eitle Hintergedanke, können ja nicht die unbequemen Wahrheiten aussprechen – also müssen sie ran.

Sigmar Gabriel, ehemaliger Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender, ist ganz vorn bei dem Versuch, den Helmut Schmidt zu geben. Jetzt machte er wieder auf Unbequem und plädierte via Bild am Sonntag für längere Arbeitszeiten, weil die Arbeitskräfte fehlten. So will er den Mangel an Arbeitskraft beheben. Gabriel sollte redlicherweise dazu sagen, dass er nicht der unabhängige weise Ratgeber ist.

Gabriel vertritt Interessen: Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der Stahltochter von ThyssenKrupp und sitzt im Aufsichtsrat von Siemens Energy und der Deutschen Bank (sein Salär allein hier: 200.000 Euro jährlich laut Vergütungsbericht) – für die Arbeitgeberseite jeweils wohlgemerkt, nicht für die Arbeitnehmerseite, wie man von einem ehemaligen SPD-Chef eigentlich erwarten könnte. In diesen Funktionen ist es sein Job, die Interessen der Kapitaleigner zu vertreten – so gesehen ist es logisch, dass er für längere Arbeitszeiten eintritt.

In Zeiten weiterer Arbeitsverdichtung ist die Forderung nach einer längeren Arbeitszeit rückwärtsgewandt. Die Beschäftigten entdecken zunehmend den Wert von mehr Freizeit; in einigen Tarifverträgen ist bereits die Wahlmöglichkeit zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit verankert.

Und was den Arbeitskräftemangel angeht, gibt es bessere Ideen: Man könnte die Berufsausbildung gegenüber dem Studium attraktiver machen, etwa durch bessere Arbeitsbedingungen. Oder Geflüchteten einfacher die Chance geben zu arbeiten. Aber diese Vorschläge wird man von Gabriel nicht hören, denn sie geben keine knackigen Schlagzeilen, die ihm die Illusion vermitteln, in der Politik noch wichtig zu sein.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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13 Kommentare

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  • Es ist ziemlich krass, dass ein ehemaliger SPD-Politiker solche Vorschläge bringt. Und gibt es diesen Mangel an Arbeitskräften überhaupt? Es gab jahrelang mehrere Mio. Arbeitslose, die dringend eine Arbeitsstelle brauchten.

    Wenn die Betriebe nicht in der Lage sind, sich geeigneten Nachwuchs ranzuziehen, dann ist dies hier plötzlich für alle eine Regelung. Außerdem was meint er denn die 40 oder 48 Stunden-Woche?

    Die Gewerkschaften müssen Gabriel mal richtig Dampf machen, wenn er solche Dinge vorschlägt.

    Aber bei der SPD sind Hopfen und Malz längst verloren.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Irgendwann steppt Sigmar Balu auf dem Grab der SPD...

  • Da haben wir doch einen der leibhaftigen Gründe dafür, dass hier immer weniger an die Seriosität unserer Politiker zu glauben vermögen. Kein Wunder, dass auch die durch so jemanden verprellten SPD-Wähler vermehrt AfD wählen bzw erst gar nicht mehr zur Wahl gehen.



    Unserem so viel beschworenen Wertekanon wir doch durch so jemandem der Boden unter den Füßen weg gezogen.



    Immer mehr Menschen glauben hier an gar nichts mehr. Also dann mal die zwar eigentlich als unmöglich angesehene Alternative mal ausprobieren. Die können uns ja auch nicht mehr hinters Licht führen, als es uns zb dieser Siegmar Gabriel schon wiederholt angetan hat.



    Der soll sich übrigens auch sehr gut mit Gerhard Schröder verstehen. Was ja auch einleuchtend sein dürfte.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „In der SPD wollen viele ehemalige – meist männliche – Parteigranden es so machen wie Helmut Schmidt. Sie lassen sich gern – nicht oft, aber wohldosiert – in Talkshows einladen und behelligen die Öffentlichkeit per Interview mit Ratschlägen.“ Wer sind diesen Vielen – außer Gabriel?

  • Interessante und realitätsverweigernde Aussage, wenn man bedenkt wie toxisch das Erhalten unseres Wohlstandes für Umwelt und Lebewesen dieser Erde ist. Es hat mich echt erschüttert, zur heutigen Zeit diesen Zusammenhang mit dem Erhalt von unserem Wohlstand und sämtlichen Herausforderungen unserer Zeit (v.a. Umweltzerstörung, Krieg, und Menschenrechtsverletzungen) nicht zu realisieren oder zuzugeben. Dass von führenden Politikern bzw Ex-Politikern, wie Herrn Gabriel immer noch gepredigt wird, unser Wohlstand müsse scheinbar auf Gedeih und Verderb erhalten werden, obwohl die Wissenschaft auf der anderen Seite regelmäßig aufzeigt, dass diese Lebensweise zerstörerisch ist, tut schon weh. Aber gut, da habe ich Wohl entweder seine Kompetenzen oder seine Philanthropie überschätzt.

  • guter Artikel.

    "längere Arbeitszeiten, weil die Arbeitskräfte fehlten"

    zeigt nur, dass Hr. Gabriel als honorierter Arbeitgebervertreter sein Geld nicht wert ist.



    Das arbeitet der Artikel sehr schön heraus.

    Wieder so ein Gerhard Schröder aus der SPD mit unzureichender Kompetenz auf der Suche nach Pensionsaufbesserungen. Hoffentlich verfällt Hr. Gabriel nicht auch noch den Lobbyisten der weltweit verstreuten Oligarchen und Diktatoren.

  • Hä?! “Der Seitenwechsler“ - Mach Bosse!



    &!



    Ach was! © Vagel Bülow

    Der zonenrandgebietgeförderte Rockbeauftragte Rotationshals van PPP - Hat noch nie - Arbeitnehmerinteressen vertreten •

    • @Lowandorder:

      kurz - Der Siggi-Plopp halt. Woll.



      ( © Lovando - 🤫 - ;)

  • Nicht nur

    +++Man könnte die Berufsausbildung gegenüber dem Studium attraktiver machen, etwa durch bessere Arbeitsbedingungen+++

    sondern auch Mindestsicherung, z.B.

    "Mindestausbildungsvergütung

    Auszubildende brauchen eine Ausbildungsvergütung, die zum Leben unabhängig von den Eltern reicht. Wir fordern eine Mindestausbildungsvergütung, die sich aus 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung aller Branchen des jeweiligen Ausbildungsjahres ergibt. Wir unterstützen die Gewerkschaften und Gewerkschaftsjugenden bei ihrem Kampf für bessere tarifvertragliche Lösungen. Die Ausbildung in den Berufen, die nicht dual geregelt ist, zum Beispiel in allen Sozial-, Gesundheits- und Erziehungsberufen, muss besser finanziert werden. Schulgeld soll grundsätzlich entfallen und ein am Tarif orientiertes Ausbildungsgeld gezahlt werden. Wir wollen eine solidarische Umlagefinanzierung, die alle Betriebe in die Pflicht nimmt, damit ausreichend duale und qualitativ hochwertige Ausbildungsplätze geschaffen werden."



    www.die-linke.de/p...eid/beschlusslage/

    • @Brot&Rosen:

      Dann müssten die 16-jährigen zukünftigen Abiturienten , die zu Hause die Füße unter den Tisch stellen, auch eine elternunabhängige Vergütung bekommen. Die Ausbildung beginnt mit 16 früher mit 14. 18- jährige Abiturienten beginnen selten eine Ausbildung zum Schlosser, Mechaniker oder Werkzeugmacher/ Feinmechaniker.

    • @Brot&Rosen:

      Eine Partei die so mit “me too “ umgeht,ist nicht wählbar. Von dem Desaster in der Aussenpolit

    • @Brot&Rosen:

      Und wenn sich diese Partei nicht bei jeder Gelegenheit unwählbar machen würde, könnten solche Forderungen.... Geschenkt

  • Treffende Charakterisierung