Sieling wird Bremer Bürgermeister: SPD-Linke sucht neuen Anführer
Carsten Sieling wechselt aus dem Bundestag ins Bremer Rathaus. SPD-Chef Gabriel dürfte darüber erfreut sein: ein unbequemer Kritiker verschwindet.
BERLIN taz | Carsten Sieling, der Neue im Bremer Rathaus, bekommt viel Lob mit auf den Weg. SPD-Bundesvize Ralf Stegner twitterte am Dienstag: „Carsten Sieling wird ein guter Bürgermeister werden.“ Auch Hessens SPD-Vorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel gratulierte herzlich. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel pries Sielings Tatkraft: „Er ist ein Politiker mit klarer Haltung, der sich nicht scheut anzupacken, wo es Probleme gibt.“
Eigentlich hatte Carsten Sieling, eine wichtige Stimme in der SPD-Bundestagsfraktion, die nächsten Jahre ganz anders geplant. Sieling, 56 Jahre, drei Kinder, Diplom-Ökonom, ist ein versierter Kenner der Steuer- und Finanzpolitik. Er führt als Sprecher die Parlamentarische Linke, die neben den Seeheimern und dem Netzwerk Berlin die mitgliederstärkste Strömung in der Fraktion ist. In dem Job verteidigt Sieling eisern die Idee, Reiche in Deutschland stärker zu belasten, um eine bessere Staatsinfrastruktur zu finanzieren.
Kompetent, zugewandt und mutig, so wird Sieling von Fraktionskollegen beschrieben. Er traue sich, unbequeme Positionen zu vertreten. Wenn er etwas als richtig erkannt habe, lasse er sich nicht davon abbringen. So kritisierte Sieling zum Beispiel Gabriels Abrücken von der Vermögensteuer scharf. Ebenso kritisch äußerte er sich zum Kurs des SPD-Chefs beim Freihandelsabkommen TTIP. Gabriel dürfte sich deshalb auch aus einem egoistischen Grund über den Wechsel freuen. Schließlich verschwindet ein unbequemer Kritiker aus seinem Umfeld.
In Bremen warten große Probleme auf Sieling. Der Stadtstaat, zu dem auch Bremerhaven gehört, ist hoch verschuldet. Die Spielräume der Politik sind angesichts der kommenden Schuldenbremse eng. Außerdem ist die soziale Spaltung enorm, Villenviertel liegen nur wenige Kilometer entfernt von sozialen Brennpunkten mit hoher Kinderarmut. Sieling versprach kurz nach seiner Nominierung: „Ich werde mit ganzer Kraft für eine gute Zukunft Bremens und Bremerhavens arbeiten.“
Für die Parlamentarische Linke im Bundestag mit ihren knapp 90 Abgeordneten ist Sielings Weggang ein schwerer Verlust. Er hatte den Sprecherposten erst 2014 übernommen und die angestaubte Organisation seither kräftig modernisiert. Er stellte – zum ersten Mal in der PL-Geschichte – eine Sprecherin ein. Eine gut designte Homepage präsentiert seit einigen Monaten Debattenbeiträge linker Sozialdemokraten. Auch Einladungen zu PL-Festen, deren altmodisches Layout von Journalisten bespöttelt wurde, sehen plötzlich professionell aus.
Parteilinke wurde kalt erwischt
Am wichtigsten aber war, dass Sieling half, die zerstrittene SPD-Linke wieder zu einen. Zusammen mit SPD-Bundesvize Ralf Stegner und Juso-Chefin Johanna Uekermann initiierte er im November vergangenen Jahres einen Friedensgipfel, der die diversen Unterströmungen zusammenführte. Heraus kam die Magdeburger Plattform, ein Dachverband, der die SPD-Linke wieder auf gemeinsame Ziele verpflichten will.
Bei der Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin will sich die Parlamentarische Linke Zeit lassen. Die Berliner Genossen wurden von dem überraschenden Rücktritt Böhrnsens und Sielings Wechsel kalt erwischt. „Es gibt keine Vorabsprache“, hieß es gestern in der PL. Als möglicher Nachfolger wird Niels Annen gehandelt. Annen ist ein erfahrener Parlamentarier und außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Als solcher ist er allerdings mehr als ausgelastet, was gegen einen aufwendigen Sprecherjob spräche.
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