Sicherheitsgesetze in Australien: Repression gegen Youtuber
Australien hat nach 9/11 mehr als 90 Antiterrorgesetze erlassen. Sie treffen immer häufiger Normalbürger. Bürgerrechtsorganisationen warnen.
Langker, Produzent für den bekannten australischen Youtube-Komiker Jordan Shanks, hatte in Sydney auf der Straße den Vizepremierminister des Bundesstaates angesprochen, John Barilaro. Der Politiker war in den letzten Monaten wegen Misswirtschaftsvorwürfen öfters Ziel des Spotts von Jordan Shanks gewesen. Er wolle von ihm wissen, sagte Langker, weshalb er Shanks wegen Beleidigung verklagt habe.
Barilaro stieg schweigend in seine Limousine. Danach soll der Politiker die Polizei alarmiert haben, glauben Langkers Anwälte. Inzwischen auf Kaution frei, droht dem jungen Produzenten eine Freiheitsstrafe wegen „Stalking“.
Die Polizei, analysiert Anwalt Stephen Blanks vom Konzil für Bürgerrechte in Sydney im Gespräch mit der taz, mache „die Schmutzarbeit für die Politik“. Für Blanks und andere Rechtsexperten ist der Fall Langker ein weiteres Beispiel dafür, wie in Australien immer öfter Gesetze, die eigentlich zur Vermeidung und Verfolgung schwerster Straftaten vorgesehen waren, gegen kritische Stimmen eingesetzt werden.
Rekord an neuen Antiterrorgesetzen
„Rund 90 Antiterrorgesetze hat Australien seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York eingeführt“, sagt Blanks, „mehr als jedes andere Land auf der Welt.“
Die Sondereinheit, die Langker verhaftet hatte, war als Reaktion auf den Überfall auf das Lindt-Café im Herzen von Sydney im Jahr 2014 geschaffen worden. Damals kamen bei der Geiselnahme durch einen vermeintlich islamistisch motivierten Möchtegern-Geistlichen drei Menschen ums Leben, inklusive des Attentäters.
Die Aufgabe der speziell ausgebildeten Beamten wäre eigentlich, potenzielle gewaltbereite Einzeltäter mit politischem Hintergrund – sogenannte einsame Wölfe – rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen und nicht Komiker mit einem frechen Maul zum Schweigen zu bringen.
„Solche Operationen werden immer mehr auf Leute ausgeweitet, die keine ernsthafte Gefahr für die Gemeinschaft sind“, sagt Blanks.
Antiterrorgesetze betreffen Normalbürger
Bürgerrechtsorganisationen warnen schon seit Jahren, dass die Flut von Antiterrorgesetzen könne auch gegen ganz gewöhnliche Australierinnen und Australier eingesetzt werden. Derartige Befürchtungen werden von Politikern meist als übertrieben oder gar als „paranoid“ abgetan.
Im Kampf gegen Terrorismus will keine der beiden großen Parteien als „schwach“ dastehen. Und so wurden praktisch alle entsprechenden Gesetzesvorschläge der konservativen Regierung von der sozialdemokratischen Opposition still akzeptiert.
Für Kritiker stehen einige dieser Gesetze im Widerspruch zu den Prinzipien einer informierten Gesellschaft und liberalen Demokratie. So gilt seit einigen Jahren, dass Gerichtsprozesse hinter verschlossener Tür stattfinden können, falls der Staat eine „Gefahr für die Sicherheit der Nation“ befürchtet. Das steht im Widerspruch zu einem offenen Justizsystem, das auch in Australien eine lange Tradition hat.
Dieses Gesetz wird gegenwärtig im Fall eines Whistleblowers angewendet, der aufgedeckt hatte, dass australische Spione den Kabinettssitzungsraum der Regierung von Osttimor mit Abhöreinrichtungen „verwanzt“ hatten. Die australische Regierung verschaffte sich damit einen Informationsvorteil in ihren Verhandlungen mit der Regierung des bitterarmen Nachbarstaates über die Ausbeutung von Ölvorkommen im Seegebiet zwischen beiden Ländern.
Zugang zu Computer von Journalisten
Häufig im Fokus der Terrorbekämpfer stehen auch Journalisten. Mitte 2019 geriet Australien weltweit in die Schlagzeilen, als die Polizei die Büros des Fernsehsenders ABC in Sydney stürmte und Recherchematerial zu einem Bericht zum Verhalten australischer Soldaten in Afghanistan beschlagnahmte.
Der damalige ABC-Chefredakteur John Lyons zeigte sich überrascht, welche weitreichenden Rechte die Polizisten hatten. Die Beamten seien laut Untersuchungsbefehl befugt gewesen, Daten auf den Computern der Journalisten zu „ergänzen, zu kopieren, zu löschen oder zu ändern“.
Auch die Wohnung einer Journalistin des Verlages News Corp wurde von Agenten auf den Kopf gestellt, nachdem sie einen Artikel veröffentlicht hatte, deren Quelle offensichtlich ein Whistleblower in der Verwaltung war. Beide Razzien wurden allerdings später vor Gericht für illegal befunden.
Den vielleicht tiefsten Eingriff in die Privatsphäre erlaubt ein Paket von Gesetzen, das im Jahr 2015 verabschiedet worden war – zu einer Zeit, in der die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in verschiedenen Ländern den Höhepunkt ihrer Macht feierte.
Zwei Jahre gespeichert
Seither müssen Internetfirmen und Telefongesellschaften die sogenannten Metadaten aller Anrufe, Internetsitzungen, E-Mails und Textnachrichten jedes einzelnen Nutzers zwei Jahre lang speichern. Das Material kann von 22 verschiedenen Polizeibehörden und Geheimdiensten eingesehen werden – ohne richterliche Verfügung.
In einer Stellungnahme gegenüber der taz verteidigt das australische Innenministerium die Gesetze. „Die nationalen Sicherheitsgesetze müssen mit dem komplexen operativen Umfeld Schritt halten können“, so ein Sprecher. Gerade Daten aus dem Telekommunikationsverkehr spielten eine wichtige Rolle, um „die Öffentlichkeit vor Gewalttätern und Terroristen zu schützen“. Die Sammlung von Metadaten sei ein „wichtiges Werkzeug im Kampf gegen schwere Verbrechen wie Mord, sexuelle Gewalt, Drogenhandel und Entführungen“.
In der Öffentlichkeit erregen solch weitreichende Maßnahmen selten große Empörung. „Wir sind generell politisch apathisch“, klagt Stephen Blanks. Solange ein Gesetz einen selbst nicht betreffe, kümmere man sich nicht darum. Zudem stelle die Politik seit Jahren gewisse Gruppen der Bevölkerung – etwa Geflohene und Muslime – als Bedrohung dar, die nur durch eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze in Schach gehalten werden könne.
Laut Blanks sind Vollmachten, wie sie in vielen der Gesetze verankert sind, ein „Rezept für den Missbrauch“ durch die Behörden. Von der Gefahr eines Polizeistaates sprechen will der Anwalt trotzdem nicht – „das würde mich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen“, meint er.
Australien sei ein „wunderschönes Land, in dem die meisten Menschen frei sind“, so der Jurist. Aber das Land habe auch eine „dunkle Seite“, die nicht immer leicht zu sehen sei. „Sie ist aber sehr, sehr hässlich.“
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