Sicherheitsbedenken gegen Unisex-Räume: Das berüchtigte Duschargument
Waren Duschen und Umkleiden jemals safe spaces? Die Kolumnistin hat da so ihre Zweifel und ganz eigene Erfahrungen.
A ls ich vor gefühlt hundert Jahren begann in Hannover zu studieren, kursierten auf dem Conti-Campus, vor allem im Hochhaus, wo die Germanisten residierten, Warnungen vor einem Spanner, der sich in den Frauentoiletten herumtrieb. Er soll kleine Spiegel unter den Trennwänden durchgeschoben haben, vielleicht hat er sogar gefilmt. In einigen der Umkleiden und Duschen des alten Unisportgebäudes im Moritzwinkel gab es Alarmknöpfe wegen ähnlicher Vorfälle. Ich weiß gar nicht, ob das heute noch so ist.
Daran muss ich immer denken, wenn mir jemand mit dem berüchtigten Duschargument kommt. Es geht in etwa so: Wenn Leute sich künftig aussuchen können, welche Toiletten/Umkleiden/Duschen sie aufsuchen wollen, dann gibt es keinen Ort mehr, an dem Mädchen und Frauen sicher sind.
Dass jemand jetzt wieder damit ankam, passierte, weil ich mich hier leichtsinnigerweise über die Reaktionen auf den Auftritt eines jungen HAZ-Kollegen mit Perlenkette gewundert hatte.
Das ist natürlich ein schwieriges Thema, von der einen Seite bekommt man oft Gemecker, wenn man sich nicht 100-prozentig auf der aktuellen Flughöhe des sehr nischigen Expertendiskurses bewegt (sorry about that, habe ich aber doch gleich dazu geschrieben), von der anderen Seite wird man als naive Idiotin beschimpft, weil man nicht begreift, welche Gefahr für die Frauen, die Ordnung der Welt oder das Abendland von diesen oder jenen Aktivist*innen ausgeht.
Es ist ein bisschen ermüdend zu beobachten, wie sehr diese Debatte auf der Stelle tritt. Gleichzeitig fasziniert mich die ungebremste Emotionalität, die Mengen an Schaum vor dem Mund, vor allem bei denen, die selbst gar nicht betroffen sind. Was ist da bloß los?
Das Umkleidenargument ist ein hübsches Beispiel, finde ich. Mir erscheint das absurd. Ehrlich gesagt habe ich mich in besagten Umkleiden und Duschen noch nie sicher gefühlt. Das fängt schon damit an, dass ich etliche der fiesesten Vorfälle von Mobbing und Bodyshaming genau dort erlebt habe. Die Vorstellung, dort herrsche puschelige Schwesterlichkeit bis irgendjemand mit einem Dödel reinmarschiert, deckt sich – gelinde gesagt – nicht mit meiner Lebenserfahrung. Nun ist sexuelle Gewalt natürlich noch einmal was anderes.
Aber auch für die muss sich ein Täter ja nicht verkleiden oder einen neuen Ausweis beantragen, der kann da einfach so reinmarschieren.
Die Art und Weise wie trans*Frauen bei diesem Argument mit Sexualstraftätern in einen Topf gerührt werden, obwohl ihr Verhältnis zu Frauen und zum Frausein kaum unterschiedlicher sein könnte, ist so absurd, dass sie doch eigentlich sofort als bizarre Angstfantasie entschlüsselbar sein müsste. Ist sie aber nicht.
Wenn ich länger diskutiere, merke ich: Bei manchen Menschen sitzt die affekthafte Ablehnung von trans*Menschen so tief, dass sie nicht müde werden, die seltsamsten Argumente an den Haaren herbeizuziehen. Warum das so ist, verstehe ich immer noch nicht ganz.
Aber was ich denn tun würde, wenn jemand mit einem männlichen Geschlechtsteil neben mir in der Frauendusche des Schwimmbades auftauche, will eine Freundin wissen. „Nicht hingucken“, antworte ich, „wie in der Sauna auch.“ Meiner privaten Empirie zufolge – ich suche derzeit viele Hallenbäder in der Region heim, weil eines meiner Kinder sich für einen reinkarnierten Seehund hält – sind in den meisten Duschen übrigens erstaunlich wenig Geschlechtsteile zu sehen. Viele ziehen sich gar nicht mehr vollständig aus.
Ich vermute, dass der Perfektionsdruck einer durch Pornos und Instagramfilter verseuchten Bilderwelt zu einer neuen Prüderie führt. Im echten Leben fühlen sich viele kaum noch vorzeigbar. Anderswo wird derweil über Bekleidungsvorschriften in den Badeordnungen debattiert. Auch irgendwie seltsam, dieses Auseinanderdriften, oder?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland