Sichtbarkeit queerer Personen: Mehr Perlenketten für alle
Atay Küçükler, ein junger Journalist, berichtete in einer Instagram-Liveschalte über die Landtagswahlen in Niedersachsen. Das gefiel vielen nicht.
A ls mittelalte weiße Frau kriege ich viele Dinge nicht mehr so richtig mit oder muss sie mir von meinen Söhnen erklären lassen. Als Trendsetterin oder Speerspitze der Bewegung habe ich mich lange nicht mehr gefühlt, vielleicht noch nie, wenn ich es recht bedenke. Eigentlich hatte ich immer ein seltsames Talent, „late to the party“ zu sein. Deshalb hat mich die Geschichte um Atay Küçükler ein bisschen verwirrt.
Zur Vorgeschichte: Atay Küçükler ist ein junger Journalist und aktuell Trainee bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ). Als solcher sollte er für eine Instagram-Liveschalte von der Landtagswahl berichten.
Weil er dabei zum weißen Shirt und dunklen Sakko/Blazer eine Perlenkette und Ringe trug, beschäftigten sich einige Kommentare prompt nicht mehr mit dem Inhalt der Schalte, sondern nur noch mit seinem Aussehen, was er wiederum auf Social Media und in einem Interview im Onlinemedium „Übermedien“ thematisierte. Mittlerweile lassen sich in den Kommentarspalten nur noch zustimmende, ermunternde, schulterklopfende Kommentare finden.
Was ich daran bemerkenswert finde: Ich hätte Küçüklers Auftritt bei der HAZ als Zeichen der Normalisierung gewertet. Zumindest ist es in meinem (kaum hipsterigen) Umfeld nun schon seit ein paar Jahren so, dass queere Personen sichtbarer werden – erst medial, dann auf der Arbeit, in der Kneipe, in Kitas und Schulen, überall.
Wenn nun einer bei einem biederen Regionalzeitungsverlag auftritt, in einem spießigen Jurastudent*innen-Outfit bei einem Anlass wie der Landtagswahl – dann ist das Thema doch eigentlich durch, oder? Ist es aber offenbar nicht. Schon gar nicht, wenn man nicht nur die ätzenden Kommentare, sondern auch die gewaltsamen Übergriffe der letzten Zeit anguckt. Ich verstehe es nur nicht. Was genau triggert eigentlich diesen Ekel, diese Wut und diesen Hass?
Natürlich erinnere ich mich an die Irritation, die das auslöst, wenn einem jemand gegenüber sitzt oder steht, der oder die sich den üblichen Schubladen von weiblich oder männlich entzieht. An die Frustration und den Ärger, wenn man sich – trotz bester Vorsätze – mal wieder in alten sprachlichen Gewohnheiten verheddert hat und sich denkt „Scheiße, muss das denn so anstrengend und kompliziert sein?“.
Ich habe auch manchmal ein Problem mit dem tussihaften Bild von Weiblichkeit, das manche trans* Frauen zelebrieren. Aber ich habe eben auch gelernt, dass sich vieles davon erst noch zurechtruckeln muss, Teil eines Identitätsfindungsprozesses ist, der sehr viel anstrengender ist als die Suche nach dem richtigen Pronomen. Am Ende ist der Deal für mich vergleichsweise simpel: Als Feministin bin ich einfach wild entschlossen, alles zu begrüßen, was uns von diesem zementierten Rollenbilderquark befreit, ihn zerbröseln, kippeln oder aufweichen lässt.
Vielleicht kann ich deshalb nicht nachvollziehen wie unfassbar bedrohlich sich das Ganze anfühlen muss, für jemanden, der sich häuslich eingerichtet hat, in diesem binären „Hier Tarzan, da Jane“-Weltbild.
Ist das so, dass der Anblick einer Perlenkette an einem fremden Hals dann ausreicht, um den ganzen Frust hochzuspülen, über all das, was man sich abgeschnitten und verkniffen hat, um brav ins Raster zu passen? Wäre der angemessen Umgang mit solchen Kommentatoren dann eher Mitleid als Empörung? Oder sollten wir ihnen Perlenketten schicken?
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