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Sexuelle Gewalt und ProstitutionDas Problem ist euer Bild von uns

Sexuelle Belästigung gibt es in der Prostitution wie in jedem anderen Job. Es braucht Lösungsansätze, die nicht die gesamte Kundschaft kriminalisieren.

Nicht für sexuelle Gewalt: Sexarbeiter*innen informieren sich gegenseitig über Übergriffige Foto: dpa

„Wenn dich einer an­grapscht, dann nimm sofort seine Hand weg und mach ihm klar, dass er dich ohne Geld nicht anfassen darf!“ Das war eine der ersten Empfehlungen, die ich von einer Kollegin jemals bekam. Damals, 2011, als ich im Cafe Pssst! anfing anzuschaffen. Das Café Pssst! war eine Kneipe mit Hinterzimmern. Die potenzielle Kundschaft fühlte teils schon beim Flirt körperlich vor – Hand auf den Arsch oder gar Brust – und ging mit einer dann doch nicht aufs Zimmer. Weil er vorher noch zur Bank müsse, um Geld abzuheben. Und dann wie erwartet schlicht nicht mehr zurückkam.

In aller Regel wissen sich unsere Kunden durchaus zu benehmen und behandeln uns mit Respekt – sind sie doch auch selbst Söhne, Partner, Väter und nicht prinzipiell empathielose Ungeheuer. Aber ähnlich wie bei der Gastronomie ist das Risiko ziemlich hoch, gelegentlich Kundschaft zu haben, die einen unkonsensuell begrapscht. Oder die einem Zeit, sprich Geld, klaut.

In den meisten Bordellen warnen wir Prostituierten uns vor solch übergriffigen Kunden gegenseitig. Wir tauschen uns aus, worauf wir jeweils achten sollten oder ob man einen lieber gar nicht annimmt, wenn einem das zu blöd ist. Im Internet warnen wir uns auf manchen Werbeportalen vor Kunden, die sich gewalttätig oder auch nur unangemessen verhalten.

Sexarbeiter*innen-Netzwerke im englischsprachigen Raum führen eigene Verzeichnisse mit sogenannten ugly mugs, um Kolleg*innen dieselbe schlechte Erfahrung mit ein und demselben Klienten zu ersparen, von Grenzüberschreitenden und Übergriffigen bis hin zu Gewalttätigen. Im deutschsprachigen Raum haben wir sogenannte Freier­knigge, in denen Kunden noch mal schwarz auf weiß nachlesen können, was sich gehört und was nicht.

Trotz aller Konkurrenz sind Huren in aller Regel einander solidarisch, wenn es um den besten Umgang mit den „schwarzen Schafen“ geht. Peer-to-Peer-Projekte der Hurenbewegung wie Hydra, trans*sexworks oder ProfiS von move e. V. empowern Sexarbeiter*innen, um sich besser gegen Gewalt behaupten und diese verarbeiten zu können.

Gegensätzliche Rollenerwartungen

Nur um etwas selbstverständliches klarzustellen: Jeder grenzüberschreitende, übergriffige, gewalttätige Kunde ist einer zu viel! Gerade diese sind es, die uns noch länger beschäftigen. Bei ihnen gehen wir in Gedanken das Erlebte immer wieder durch, um es zu verarbeiten.

Die Bilder, die über Prostituierte vorherrschen und die damit auch in unserem Denken präsent sind, machen uns Mühe mit der Einordnung: Als „gefallenes Mädchen“ seien wir ja quasi selbst Schuld – oder anders gesagt: Berufsrisiko.

Wahlweise gibt es dann noch die Ansicht, dass Prostituierte ja gar nicht vergewaltigt werden könnten, weil wir als Prostituierte allzeit bereit seien und mit jedermann gern ins Bett gingen – oder aber das komplette Gegenteil: dass jeder Sex mit einem Kunden eine Vergewaltigung sei.

Auch ohne akuten Verarbeitungsbedarf von irgendwelchen Grobheiten können diese gegensätzlichen Rollenerwartungen zu einer subtilen Verunsicherung darüber führen, welche Weltsicht man sich denn nun zu eigen machen will. Dabei sind wir weder „gefallen“ noch unfähig, Konsens zu formulieren oder zu verweigern, noch sind alle unsere Kunden Täter.

Die Spanne der Gewalt durch Kunden ist breit und vielfältig: Das Schlimmste ist Mord – und nicht nur in den USA suchen sich Serienmörder besonders gern Prostituierte als Opfer, da sie getrost davon ausgehen können, dass die Ermittlungen bei ermordeten Sexarbeiter*innen deutlich weniger gewissenhaft durchgeführt werden. Durch die Stigmatisierung, die höhere Angst vor Polizeigewalt, zeigen Kolleg*innen Vorfälle außerdem kaum an. In Deutschland nicht – und in Ländern mit Freierbestrafung erst recht nicht.

Die Polizei ist nicht unschuldig

Dabei belegen die jüngsten Erfahrungsberichte von Kolleg*innen aus Frankreich erneut, dass nach Einführung der Freierbestrafung vor allem die respektvollen Kunden wegbleiben, während den brutalen das Risiko, erwischt zu werden, viel zu gering ist. Die Folge ist, dass meine Kolleg*innen durch die gesunkene Nachfrage und im Kampf gegen das eigene Verarmen wohl oder übel deutlich gewalttätigere Kundschaft akzeptieren müssen. Denn adäquate Jobalternativen kann man lange suchen.

Es wird kaum überraschen, dass auch in der Sexarbeit das Zusammentreffen verschiedener Diskriminierungen, sei es trans*Identität, schlechte Deutschkenntnisse, schwarz oder of color zu sein, Romni oder andere, die Gewaltrate erhöht.

Neben Gewalt durch Freier darf im globalen Kontext die massive Polizeigewalt nicht ignoriert werden. Jene, die uns in den Augen von Politik und ProstitutionsgegnerInnen schützen sollten, sind häufig genug selbst Täter. In Deutschland sind die Fälle erpresster Sexualität („blas mir einen, dann lass ich dich wieder frei“) vielleicht nicht so hoch wie andernorts, unschuldig ist die Polizei aber auch hierzulande nicht: Von psychischer Gewalt wie Zwangsouting bei Führerscheinkontrollen gegenüber Mitfahrern über sexualisierte Bemerkungen bei Razzien, das Auftreten als Scheinfreier bis hin zu übergriffigen, paternalistischen Fragen, wenn man versucht, Anzeige zu erstatten, können Kolleg*innen berichten.

Die gesellschaftliche Ausgrenzung und vor allem der Versuch, zum Zweck der Gentrifizierung Straßenstriche loszuwerden, führen dazu, dass gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die einzig und allein dazu da sind, Prostituierte zu vertreiben oder eben einsperren zu können.

Wenn, wie in Hamburg in Sankt Georg, ein Kontaktanbahnungsverbot eingeführt wird, wenn sich daraufhin Kolleg*innen, um die Bußgelder zu bezahlen, wieder im Sperrbezirk aufstellen und so oft erwischt werden, bis aus einer Ordnungswidrigkeit eine Straftat wird, wenn daraufhin quasi ständig ein Dutzend Sexarbeiter*innen im Gefängnis sitzt – dann sehe ich das als Freiheitsberaubung von Prostituierten durch Legislative und Exekutive.

Pauschal als Opfer abgestempelt

Unsere Grenzen sind genauso zu respektieren wie die von allen anderen Menschen auf diesem Planeten. In einer Gesellschaft, die uns ausgrenzt und pauschal als Opfer sieht, fällt es manchmal schwer, zu dieser eigentlich selbstverständlichen Erkenntnis zu gelangen.

Sexarbeiter*innen wird die Möglichkeit genommen, in der Öffentlichkeit eine differenzierte Diskussion über Probleme mit Gewalt in der Prostitution zu führen. Wie umgehen mit dem Wissen, sich wohl überlegt für diesen Beruf entschieden zu haben, im vollen Bewusstsein über die Gefahren? Woher Rollenvorbilder nehmen? Wie mit Gewalt umgehen, ohne sie kleinzureden, aber auch ohne sie zu pauschalisieren?

Es braucht Lösungsansätze, die nicht gleich unsere gesamte Kundschaft kriminalisieren. Mir fehlt die Einsicht, dass es vor allem die gesellschaftlichen Bilder über Prostitution sind, die es uns schwer machen, uns zu schützen. Weil sie die Schwelle zur Gewaltbereitschaft gegenüber Prostituierten heruntersetzen – bei Kunden, bei Polizisten, bei allen. Ich wünsche mir, dass uns Sexarbeiter*innen zugehört wird, dass man uns fragt, wie wir uns Gewaltprävention vorstellen und wie nicht.

Auch wenn sie für viele unangenehm sein mögen: Öffentlich sichtbare Freierkampagnen, die uns als respektable Personen darstellen, wären wirkungsvoller als übergriffige Zwangsregistrierungen. Denn nicht wir sind das Problem, sondern das fatale Bild, das ihr von uns habt.

Die Autorin ist Sexarbeiterin und schreibt hier unter Pseudonym.

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31 Kommentare

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  • Laut Polizeistatistik findet der Löwenanteil von an Frauen verübter Gewalt bis hin zum Femizid im trauten Familienkreise statt. Ich fordere das Verbot der bürgerlichen Ehe! Ist wesentlich sinnvoller, als sich an der Debatte um die Sexarbeit abzuarbeiten und ALLE Prostituierten inBausch und Bogen zu viktimisieren und zu entmündigen. Im übrigen: erzählen Sie diesen Schmarrn von der Prostituierten als armen Opfer die "ihren Körper verkauft" mal einer Domina, einer Tantra-Masseurin oder einer Sexualassistentin!Sie werden ein homerisches Gelächter ernten!

  • Es gibt auch eine virtuelle Variante des nichtkonsensuellen Angrabschens: die respektlose Art der Kontaktaufnahme in gewissen Datingportalen. Und wenn man die Betreffenden dann massregelt spielen sie die gekränkte Unschuld und beschweren sich über " Respektlosigkeit". Das haben diese "Herren" mit AfD-lern und Querdenkern gemeinsam: sich aufführen wie die Axt im Walde und beleidigt sein wenn man sich wehrt

  • If you like to read or share this article in English, please follow this link:

     

    Sexual violence and prostitution: The problem is your image of us

    http://wp.me/p4r4GT-qh

  • wow mich wundert es wer die taz so liest...

    respektlose kommentare hier gelesen. viele scheinen nicht zu verstehen wo grenzen sind und was menschlich ok ist und was nicht.

     

    und: "die dürfen gesetze machen" egal ob sinnvoll oder diskriminierend... man muss das so akzeptieren? wow.... kein wunder dass die afd so viele Stimmen bekommen hat! ich bin immer mehr erschüttert von diesem land und seinen bewohnern.. hier lernt man nichts als ignoranz und egoismus

    weiter so ihr spinner!

  • 2G
    2730 (Profil gelöscht)

    Es wundert mich wenig, dass eine, wie es mir scheint, intelligente und eloquente Frau sich entschieden hat, als Prostituierte zu arbeiten. Ich kann es nicht nachvollziehen, aber es ist ihre eigene Entscheidung. Offensichtlich sieht sie diese Tätigkeit als Beruf an. Ok.

     

    Dann sollte man sich aber nicht über "sexualisierte Bemerkungen" wundern. Wenn ich mit dem Metzger über Schnitzel rede, dann gehört das zu seinem Job. Wenn ich dem Architekten sage, er habe einen Unfall "gebaut", dann habe ich eine "architektualisierte" Sprache. Wenn also Sexarbeit ganz normal ist, kann dann die Sprache noch übergriffig sein?

    Keine Frage, auch Prostituierte sind respektvoll zu behandeln und selbstverständlich vor Straftaten zu schützen bzw. an ihnen begangene Straftaten sind zu verfolgen.

    Nichtsdestotrotz stelle ich mir die Fragen nach einem entsprechenden Vorfall schon intensiver vor - ob das gleich "übergriffig" oder "paternalistisch" ist, bezweifle ich.

     

    Darüber hinaus sollte noch angemerkt werden: Eine "Freiheitsberaubung ... durch Legislative und Exekutive" zu diagnostizieren (was in einem Rechtsstaat bereits ein Widerspruch in sich ist), weil man bestimmte Vorgaben nicht einsieht - das ist schon hanebüchen. Die entsprechenden Organe haben das Recht, bestimmte Regeln aufzustellen und diese durchzusetzen. Für den Straßenstrich vor dem Kindergarten mögen es die Betroffenen es vielleicht einsehen. Aber diese Regeln sind grundsätzlicher Natur und notfalls auch ohne dass die Betroffenen es einsehen durchzusetzen. Btw., man braucht keine Gentrifizierung, um keinen Straßenstrich vor der Haustüre haben zu wollen.

    • @2730 (Profil gelöscht):

      wow...

      beeindruckend dumm

  • Immer wieder erschreckend zu sehen wie die "großen Denker des Marxismus" selbstgerecht beschreiben was im Interesse derer ist dessen Meinung für sie in ihrem marxistischen Fetisch offenbar völlig nebensächlich ist.

    Haben sie doch alles relevante aus 150 Jahre alten Schriften entnommen. Toll dass die Abiturienten und Akademiker wissen was wirklich im Interesse des "Lumpenproletariats" ist. Dumm nur dass es mit der Realität denjenigen über die man selbstgefällig redet herzlich wenig zu tun hat.

  • Das Problem ist vielmehr, das Ihr nicht nur Opfer seid, sondern auch Täter, weil Prostitution Rollenbilder und Hierarchie vorlebt und damit rechtfertigt. Wenn jemand meint, seinen Sex verkaufen zu müssen, muss er sich nicht wundern, wenn er oft als Ware gesehen wird. Nicht dass das toll wäre, aber es überrascht auch nicht.

    • @Christian Clauser:

      Übelstes Victim Blaming und völlig kranke Logik: Der Sex ist hier die Ware, nicht der Mensch. Letzterer ist DienstleisterIn.

      Würden Sie jemanden unter Einsatz von massiver Gewalt dazu zwingen wollen, Ihnen die Haare zu schneiden, weil Sie vermuten, daß der- oder diejenige als FriseurIn tätig ist? Und: Würden Sie ihren Überfall dann vor Gericht damit rechtfertigen, daß Sie beobachtet haben, wie die Person einen Kamm aus der Tasche zog?

      • @Walter Sobchak:

        Der Artikel ist aus der Perspektive einer sich bewusst für Prostitution entscheidenden Person geschrieben. Sprechen wir von reinen Opfern, brauchen wir diese Debatte gar nicht erst führen, denn dann ist Prostitution an sich schon Gewalt. Wer aber entweder freiwillig mitmacht oder - Stockholm-Syndrom? - zwar darunter leided, aber sie verteidigt, möchte, wie im Artikel beschrieben, nicht als Opfer abgestempelt werden. Wer mitmacht, aber nicht Opfer ist, hat Mitverantwortung. Natürlich können wir über die "reinen Täter" sprechen und ihnen die Hauptverantwortung geben. Ging es hier darum?

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Christian Clauser:

      "Die Bilder, die über Prostituierte vorherrschen und die damit auch in unserem Denken präsent sind, machen uns Mühe mit der Einordnung: Als „gefallenes Mädchen“ seien wir ja quasi selbst Schuld – oder anders gesagt: Berufsrisiko."

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Wie umgehen mit dem Wissen, sich wohl überlegt für diesen Beruf entschieden zu haben, im vollen Bewusstsein über die Gefahren?"

     

    Bei aller Notwendigkeit für die Problematisierung der sozialen Stigmatisierung von Prostituierten, das macht die sozale Institution der Prosttution nicht unproblematisch.

    Die Frage, die sich im Anschluss an das Zitat anchließt, ist: Gefahren für wen?

     

    Die Frage, Prostitution, ja oder nein, würde so ausschließlich auf eine Frage individueller Entscheidung reduziert und jede soziale Wechselwirkung ignoriert.

    Es gilt für mich, hier einmal die Marx'sche Kapitalkritik in einem feministischen Sinne stark zu machen und zu reinterpretieren: In der Prostitution machen sich Menschen zur Ware. Durch den (Sprach-)Akt der Bezahlung, des Eintauschens der Ware gegen Geld, bekommt die Ware einen Fetischcharakter. Das liegt meiner Interpretation nach auf Seiten der kapitalistischen Ideologie daran, dass das Geld einen objektiven Wert zu repräsentieren scheint, obwohl es selbst nur eine weitere Ware ist. Aber so einfach von einer simplen Ursprungsbeziehung auszugehen, ist vereinfachend. Marx hat den Fetischcharakter in seiner Lustqualität nicht hinreichend erklärt. Er ist einseitig im Intelligiblen stehengeblieben, ohne das Sensible ausreichend zu berücksichtigen.

     

    Ich mache hier das Wagnis und setze in einer These die Prostitution als einen anderen Urspung des Fetischcharakters der Ware . die Erotik des Kaufens - nicht nur des Gekauften - beruht auf einer Form des Tausches Erotik/Sex gegen Geld, die mehr oder weniger sublimiert auftritt. Die Nekrophilie der erotischen Formen eines Autos etwa lädt zur Probefahrt ein, zum Verkauf ausgelegtes Obst und Gemüse wird angetatscht und untersucht, besonders erotische Früchte wie die Trauben mit ihren Rundungen, die sich auch die dekadenten Römer schon gern in den Mund stecken ließen, werden auch in der Markthalle vor dem Kauf gekostet. Vor dem Matratzenkauf wird probegelegen und ... ===>

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      das Schimpfwort "Matratze" interpretiere ich in genau diese Richtung. Es ist Ausdruck eben die Mentalität aus, Menschen, die sich zur Ware machen, auch so zu behandeln.

       

      Diese Mentalität ist der kapitalistischen Ideologie durch den Verkauf der (Produkte der) Arbeitskraft zueigen und drückt sich etwa neben der Mißachtung und der Gewalt gegenüber Prostituierten auch in der Schinderei der Lohnabhängigen durch den Chef, der Agenda 2010, dem Spekulantentum, der sog. Kapitalflucht, dem "Humankapital", der Gentrifizerung oder der Festung Europa aus.

       

      Eine Warewolfmentality sozusagen.

      Der Warewolf (english auszusprechen) grabscht die Ware an, läßt umsonst probearbeiten und will eine Testfahrt vor dem Kauf. Der Eros der runden Nullen auf seinem Konto, der silberne Glanz der Münzen in seiner Tasche, sie machen ihn mondsüchtig und so läßt er mit seiner libidonösen Verwandlung die Grenzen zwischen Konsument, Freier, Zuhälter und "Arbeitgeber" verschwimmen.

       

      In einer aufgeklärten Gesellschaft müßte die Prostitution verboten sein (wie letztendlich auch die Lohnarbeit), als schlimmste soziale Form des Prinzips Mensch-zu-Ware.

      Es gilt hier auf keinen Fall zu sagen, beschwert euch nicht, Prostituierte, ihr habt euer Schicksal selbst gewählt. Aber es gibt dennoch genug starke Anhaltspunkte für die Kritik, dass versucht wird, mit der einen Hand einzureißen, was mit der anderen wieder aufgebaut wird. Ein sozialer "Handjob" auf der einen Seite, die erhobene Faust auf der anderen.

      Das Wort "Job" wie auch beim "Blowjob" oder "Footjob" drückt die ganze soziale Verachtung aus, die im Fetischismus der Ware liegt - hier werden in der englischen Sprache schon sexuelle Handlungen kapitalisiert, als Arbeitsleistungen, die zu erbringen sind und irgendwie auch belohnt werden.

       

      Mit einem menschenwürdigen Grundeinkommen stellte sich die Frage der Ausbeutung in der / durch die Prostitution neu. Die Kirche der heiligen Huren, die die Üppigkeit ihrer Leiber verschenken, sehe ich jedenfalls so nicht.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Den oberen Teil Ihres Beitrags finde ich ziemlich interessant. Ab "[...] Menschen, die sich zur Ware machen, auch so zu behandeln" schleicht sich mir dann der Verdacht eines Denkfehlers ein:

        Macht sich eine Prostituierte, weil sie Sexualität, also Körperlichkeit, verkauft, also einen Teil von ihrem Menschsein zum Geld erarbeiten einsetzt, gleich als ganzer Mensch zur Ware?

        Was ist dann mit dem Philosophen, der seine Gedanken, abgedruckt in Buchform, verkauft? Auch der ganze Mensch Ware, weil er mit seinem Intellekt, Teil seines Menschseins, Geld macht? Oder der Krankenpfleger, die Ärztin, der Friseur, die Handwerkerin ... ?

        • @HopeDrone:

          "Was ist dann mit dem Philosophen, der seine Gedanken, abgedruckt in Buchform, verkauft? Auch der ganze Mensch Ware, weil er mit seinem Intellekt, Teil seines Menschseins, Geld macht? Oder der Krankenpfleger, die Ärztin, der Friseur, die Handwerkerin ... ?"

           

          Ja. Das wäre meine Meinung.

           

          Prostitution im engeren Sinne mag vielleicht die deutlichste Form der Prostitution im weiteren Sinne sein, aber etwas qualitativ anderes ist es nicht wirklich.

           

          Ich finde diese (derzeit noch provokante) Sichtweise wird noch zu selten vertreten. Eher wird es andersherum aufgezogen, dass Sexarbeit als Arbeit wie jede andere klassifiziert wird.

           

          Was halt auch stimmt, nur untern Tisch fällt dabei der wichtige Punkt, dass es darum geht, anstelle der eigenen Intentionen die einer anderen Person zu platzieren, gegen eine Entschädigung.

           

          Also...

          Generelle Erwerbsarbeitskritik mehr in den Vordergrund rücken!

          • @Existencielle:

            ... und ja, jede Prostitution (lies: jede Erwerbsarbeit!) finde ich bedauerlich.

             

            Nicht aber verwerflich!

            Wir alle sind Gefangene des Systems, das hoffentlich irgendwann überwunden werden kann.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Toller Kommentar von Ihnen! Den werde ich umgehend in meinem Seminar als abschreckendes Beispiel verwenden, wie man klare Problemstellungen durch pseudowissenschaftliches Gelaber verunstalten kann.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @85198 (Profil gelöscht):

        Geiz ist geil.

  • Schon echt merkwürdig, dass inmitten einer Debatte, die strukturelle Probleme mit Übergriffen und sexuellen Machtdemonstrationen gegenüber Frauen beklagt, wieder einmal so getan wird, als sei die weit überwiegend weibliche Prostitution völlig harmlos. Französische Massnahmen, die Freier in die Verantwortung bei diesem von Gewalt und Demütigung durchsetzten Geschäft zu nehmen, werden als nachteilig dargestellt: es blieben dann nur noch gewaltbereite Freier - als gäbe es die erst jetzt.

    Ich frage mich : wie es eine Zigaretten- und Autolobby gibt, unterstützt vom Gros der Raucher und Autofahrer - gibt es auch eine Prostituiertenlobby, hinter der Millionen männliche "User" stehen?

    Und was hat diese Verfügbarkeit und latente bis manifeste Gewalt gegen Frauen wohl mit der Einstellung des Kollegen xy zu tun, wenn er wieder herabsetzende Witze über Frauen macht?

    • @JuR:

      "Französische Massnahmen, die Freier in die Verantwortung bei diesem von Gewalt und Demütigung durchsetzten Geschäft zu nehmen, werden als nachteilig dargestellt: es blieben dann nur noch gewaltbereite Freier - als gäbe es die erst jetzt. "

       

      Die gibt es nicht erst jetzt, aber die Frauen hatten vorher mehr die Möglichkeit, diese Freier abzulehnen.

      Kommen jetzt weniger der normalen Männer, sind die Frauen wohl oder übel auch auf das Geld der schlechten Freier angewiesen.

  • Lobbyismus pur!

    Immer wieder seltsam, daß ausgerechnet die egalitär-humanistische Linke

    sich stark macht

    für dieses antiquierte Männerrecht!

    • @Toni Zweig:

      Mir ist nicht ganz klar, warum es Lobbyismus sein sollte, wenn eine Prostituierte dafür argumentiert, dass sie nicht als willenlos-verfügbares Objekt oder als bloßes Opfer angesehen werden möchte.

       

      Und selbst wenn es "purer Lobbyismus" wäre, würde das nicht die Vorwürfe an übergriffige Freier, und herablassend agierende Polizisten relativieren.

    • @Toni Zweig:

      Das älteste Gewerbe der Welt wird es immer geben und es ist auch kein "Männerrecht". Würde die Politik hier mal die richtigen Wege einschlagen, gäbe es viel weniger Probleme mit Zwangsprostitution etc.

  • Prostitution ist per se sexuelle Gewalt.

     

    Daran ändern auch die Statements der Handvoll toughen selbständigen und selbstbestimmten Alibi-Sexarbeiterinnen, die bei solchen Debatten immer wieder gerne zitiert werden, rein gar nichts.

     

    Wie will Frau denn jemals die Gewaltherrschaft des Patriachats brechen, wenn sie selbst eines der wichtigsten Standbeine dieser Herrschaft, nämlich die Prostitution, immer wieder verteidigt oder aktiv anbietet?

     

    Das gesellschaftliche Bild hat sich längst gewandelt: Prostituierte sind längst respektable Personen, genau wie Personen aus dem LGBT-Umfeld. Die angebliche Verachtung von Prostituierten aus bigotter Heuchelmoral heraus ist in unserer heutigen Gesellschaft doch kaum noch existent, sexuelle Gewalt als Mittel patriarchaler Herrschaftsausübung dagegen sehr wohl.

     

    Wer glaubt, dass sich Prostitution auf die im Artikel angesprochene Weise von Gewalt trennen lässt, glaubt wohl auch, dass sich Kriege führen lassen, ohne einen einzigen Schuss aus der Waffe abzugeben.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Khaled Chaabouté:

      Das sagen Sie: "Prostituierte sind längst respektable Personen"

       

      Das sagen andere Teilnehmer hier: "das Ihr nicht nur Opfer seid, sondern auch Täter"

       

      Das sagt die Autorin: "Die gesellschaftliche Ausgrenzung und vor allem der Versuch, zum Zweck der Gentrifizierung Straßenstriche loszuwerden, führen dazu, dass gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die einzig und allein dazu da sind, Prostituierte zu vertreiben oder eben einsperren zu können."

  • 4G
    4225 (Profil gelöscht)

    Serienmörder suche sich besonders gern Prostituierte als Opfer, da sie davon ausgehen können, dass die Ermittlungen weniger gewissenhaft durchgeführt werden ? Ich nehme an, der Triebtäter denkt bei seinen Taten gar nicht an die "Ermittlungen" (sonst liesse er die Triebtat sein, denn die meisten Mörder werden gefasst) und die Prostitiutierten sind deshalb die Opfer, weil sie verfügbar sind.

  • Es mag ja sein, dass viele Prostituierte ihren Beruf lieben. Freudenmädchen, die mit Freude Freuden bereiten. Mag es auch geben. Die Wirklichkeit beinhaltet Mädchenhandel und Gewalt. Die Behauptung, dass die meisten Prostituierten freiwillig und gerne ihrem Gewerbe nachgingen, widerspricht der Kriminalstatistik und vielen Untersuchungen.

    • @Galgenstein:

      Freiwillig durchaus; gerne vielleicht nicht unbedingt. A propos, wann haben Sie das letzte Mal über Ihren Beruf gelästert? Arbeiten Sie "gerne" ?

       

      Man kann Prostitution nicht verbieten. Man kann auch Sex nicht verbieten. Die Grenzen sind fließender als man denkt. Die Frau, die mit einem Typen mitgeht, um nicht einsam zu sein. Die Partnerin, die den langweiligen Sex daheim erträgt. Die Studentin, die als Escort arbeitet. Leute, die in den Swinger-Club gehen. Leute, die einen Porno drehen. Alles Facetten, die manchmal mit viel, manchmal mit wenig Enthusiasmus erfolgen.

       

      Denke Sie wirklich, es gibt nur die arme, von Ihren Zuhälter unterdrückte, drogensüchtige Prostituierte auf dem Straßenstrich?

    • @Galgenstein:

      Können Sie für Ihre Aussage zur Kriminalstatistik eine Quelle benennen? Welche Kriminalstatistik zeigt, dass Prostitution in D mehrheitlich unfreiweillig ist? (auf das "gerne" kann sich die Aussage hinsichtlich der Kriminalstatistik eher nicht beziehen, da das keine in Kriminalstatistiken erfassbare Kategorie ist)

       

      Und auch bei den "vielen Untersuchungen" würden mich Quellen interessieren. Es gibt Untersuchungen, die aber teilweise durch die Auswahl der Befragten zu einseitigen Ergebnissen kommen (wenn beispielsweise die befragten Prositutierten überwiegend im Rahmen von Ausstiegsberatungen und Hilfsstellen für Drogensüchtige akquiriert worden wären u.ä.).

       

      Denn nach meinem Kenntnisstand ist genau dieser Informationsmangel eines der ganz großen Probleme für diese Frage. Die ProstitutionsgegnerInnen behaupten eher, dass die Mehrheit das unfreiwillig macht und die SexworkerInnen, die sagen das freiwillig und selbstbestimmt zu machen, eine ganz kleine privilegierte Minderheit seien. Die VertreterInnen von Berufsverbänden der SexworkerInnen behaupten eher das Gegenteil (Freiwilligkeit als Regel, Unfreiwilligkeit als bedauernswerte Ausnahme).

       

      Mir ist keine einzige repräsentative Erfassung zu diesem Thema bekannt, weltweit. Und so stellen m.E. beide Seiten unbewiesene und aktuell unprüfbare Behauptungen auf, welche die eigenen Forderungen untermauern.

       

      Man kann nur hoffen, dass vor dem nächsten Eingriff des Gesetzgebers in dieses Thema (und der kommt irgendwann bestimmt) erst einmal eine verlässliche Informationsbasis geschaffen wird.

       

      Denn die Frage, wie man als Staat mit Prostitution umgeht, sollte nicht ganz unabhängig davon sein, wie die realen Verhältnisse dort sind. Bei - mit fiktiven Zahlen - 95% Anteil Zwangsprostitution müsste eine staatliche Regulierung m.E. völlig anders aussehen als bei 5% Anteil Zwangsprostitution.

      • @arunto:

        Mit ein bisschen soziologischer Grundbildung lassen sich die leider nur wenigen Erhebungen mit den zugänglichen Statistiken in etwa so abgleichen:

         

        65% "Zwangsprostitution", also Prostitution unter Kontrolle von Organisationen, die im weiteren Sinne der internationalen OK zuzuordnen sind. Hier sind Gewalt und alle Formen von Freiheitsberaubung flächendeckend übliches Mittel der Geschäftsausübung. Es wird teilweise unter Zwang zum Verzicht auf Kondome genötigt, es werden in großem Rahmen gezielt Drogen eingesetzt um die Prostituierten gefügig und abhängig zu machen. Es wird Schmiergeld an Polizei und Strafverfolgungsbehörden gezahlt und darüberhinaus Lobbyarbeit bei lokalen Honoratioren geleistet.

         

        ca. 27-30% "Elendsprostitution" aus Drogensucht und Obdachlosigkeit heraus, darin enthalten ein zunehmend steigender Anteil minderjähriger Migranten, die als Strichjungen arbeiten und Obdachloser aus EU-Ländern wie Rumänien und Bulgarien.

         

        5-8% Hier findet sich die Prostition, die sich selber organisiert, eines der Lieblingsthemen des modernen Queerfeminismus, wobei höchstens 2% dem aufgeklärten Typ "Sexworkerin" entsprechen, auf den unsere Journalist*nnen so sehr abfahren.

         

        Auch wenn diese Zahlen nicht ganz korrekt sein mögen, so sagen sie auf alle weit mehr aus als die anekdotische Evidenz der Einzelfälle, die regelmäßig in Blättern von taz bis Missy Magazine ihr Forum bekommen. Klar taugen die Gesetze nicht, aber eine wirkliche Hilfe sollte alle Betroffenen mit einbeziehen, sonst sollte man lieber nicht das Wort Solidarität ins Spiel bringen.

        • @Khaled Chaabouté:

          Auch an Sie die Frage: Aus welchen Quellen leiten Sie mit "soziologischer Grundbildung" Ihre Prozentzahlen ab?