Sexualisierte Gewalt im Sport: „Bis ihr kotzt“

Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist im Sport verbreitet: Viel Nähe und die große Macht von TrainerInnen begünstigen Übergriffe.

Eine Mehrfachbelichtung eines Turners auf einem Barren.

Viele Kaderathletinnen und -athleten haben sexualisierte Gewalt erlebt Foto: imago

Wundern kann man sich nur über die, die sich wundern. Denn dass Sport ein Gesellschaftsbereich ist, in dem sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen begangen wird, ist nicht wirklich überraschend.

Einer Studie von 2016 zufolge haben 37 Prozent der Kaderathletinnen und -athleten sexualisierte Gewalt erlebt. Überwiegend sind Frauen und Mädchen die Opfer, die Täter meist Männer. Das legt nahe, dass sexualisierte Gewalt im Sport Normalität ist. Liegen dürfte es unter anderem am Leistungsdruck: Sportlerinnen und Sportler wissen, dass sie, um nach oben zu kommen, alles, wirklich alles zu ertragen haben. „Bis ihr kotzt“, um es in der Trainersprache zu sagen.

Hinzu kommt das enge, oft intime Verhältnis der oft noch kindlichen Sportler und Sportlerinnen zu ihren Trainern. Da entsteht Nähe in jeder Hinsicht – bei langen Fahrten zu Wettkämpfen, beim Vormachen von Übungen, in Trainingslagern, beim Trösten. Alles wichtig und unverzichtbar, aber es zeigt auch, wie viel Verantwortung Trainer und Trainerinnen haben. Wer sich umschaut, sieht jedoch, dass viele Übungsleiter dem kein bisschen entsprechen.

Möglich sind die vielen Übergriffe, weil der Sport so ein supertolles Image hat: Glaubt man den Verbänden, wird hier Gemeinsinn, Solidarität und Empathie vermittelt. Eine Integrationsmaschine sei der Sport, und gesund soll er ja auch sein. Gerade dieses Positivimage ist es jedoch, das Täter und Täterinnen schützt und das es Betroffenen so besonders schwermacht, zu sprechen.

Wer sich fragt, warum es kaum valide Daten gibt, muss sich die Spezifika sexualisierter Gewalt vergegenwärtigen: Das junge Alter der Betroffenen, die sich erst als Erwachsene klarmachen, was da mit ihnen passiert ist. Die Verdrängung, die aus Scham geschieht oder aus einer Traumatisierung resultiert. Und dann sind da noch die speziellen Strukturen im Sport, die es Betroffenen besonders schwermachen, Gehör zu finden: In den Vereinen sitzen die alten Männer, die über Karrieren entscheiden und die auf ihren Sport nichts kommen lassen.

Auch wenn es viele nicht hören möchten: Die sexistische Normalität hat auch etwas mit dem zu tun, was gern als „Schönheit des Sports“ gepriesen wird: eine leichte und jugendliche Erotik, die auf großer Bühne in vorgeschriebenen kurzen Röckchen dargeboten wird. Nicht wenige Sportarten, etwa Kunstturnen oder Eiskunstlauf, sind von männlichen Lolita-Fantasien geradezu zurechtgeformt worden.

Wer über Sport redet, darf zu Sexismus und sexualisierter Gewalt nicht schweigen.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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