Sexismus in der elektronischen Musikszene: Zwischen Harmonie und Sexismus
Die Clubszene gibt sich gerne offen und sicher für Flinta*. Aber auch dort herrscht Sexismus. Unsere Gastautorin ist DJ und fordert Veränderung.
Die elektronische Musikszene gibt vor, sich verändert zu haben. Zwar dominieren immer noch männliche DJs die Line-ups, doch die Quote an Flinta* DJs hinter den Decks steigt, also die von Frauen, lesbischen, intersexuellen, nicht binären, trans* und agender Personen. Überall heißt es: „Frauen mischen jetzt auch mit.“ Aber dieses Motto droht zur leeren Phrase zu geraten. Denn die Szene ist weit davon entfernt, Räume für alle gleichermaßen safe zu gestalten.
„Safe(r) spaces“ zu etablieren gilt als Maxime in unserer Szene, Veranstalter*innen bemühen sich darum, einen ihrer Meinung nach „saferen“ Raum zur individuellen Entfaltung und des sicheren Feierns zu gestalten. Doch wie verhält es sich nicht nur als Gast oder Gästin* in einem Club, sondern auch als auftretende Künstlerin hinter der Bühne? Inwieweit wird sich kritisch mit Strukturen innerhalb der Clubszene auseinandergesetzt? Sind die spaces jetzt wirklich safer?
Über die negativen Erfahrungen als weibliche DJ und die damit verbundenen unbequemen Wahrheiten wird bis heute gar nicht oder kaum berichtet – auch nicht von denjenigen, die sich selbst ein hohes Maß an Sensibilität für den Umgang mit sexistischen Strukturen zuschreiben würden.
Dankbarkeit, Wut und Trauer
Seit ungefähr zwei Jahren bin ich selbstständige Künstlerin und werde seitdem regelmäßig international als DJ gebucht. Meine Leidenschaft, Platten aufzulegen begann in Köln. Fünf Jahre später zog es mich für mein Soziologiestudium nach Leipzig. Seitdem bewege mich in der elektronischen Musikszene, arbeite mittlerweile hauptberuflich als DJ und absolviere um die zehn bis zwölf Auftritte im Monat in Deutschland, Europa und darüber hinaus.
Nach einem langen Wochenende mit mehreren Auftritten bin ich in der Regel dankbar für die Erfahrungen. Allerdings mischt sich in dieses Gefühl meist auch Wut und Trauer. In meinem Alltag als Künstlerin sehe ich mich immer wieder diskriminierenden, sexistischen und übergriffigen Handlungen ausgesetzt.
Ich muss sie über mich ergehen lassen, nicht nur im Club sondern auch auf dem Weg dorthin. Wenn ich alleine am Bahnhof stehe und mir sexistische Kommentare hinterhergerufen werden. Oder wenn der Taxifahrer mir sagt, „wie gut ich aussehe“ und „dass ich ja auch modeln könnte, weil meine Figur so schön schlank ist“.
Auf Instagram erhalte ich Nachrichten von älteren Männern, die sich als Sugar Daddy anbieten oder mir Geld versprechen, wenn ich ihnen explizite Bilder von mir schicke. Hinzu kommen die Erfahrungen, die ich mit Promotern und anderen männlichen DJs innerhalb des Clubkontextes mache.
Die Situationen, in denen sie mir zu nahe kommen, mich gar anfassen und sich anderweitig übergriffig verhalten, häufen sich. Einmal schrieb mir ein sehr bekannter männlicher DJ und fragte mich nach Nacktfotos.
Zu oft schon wurde mir während des Gigs von einem Promoter oder einem männlichen DJ ungefragt ein Kuss irgendwo hingedrückt. Von anderen bekam ich anschließend Nachrichten zugeschickt, „dass wir doch mal zu zweit etwas trinken gehen könnten“ oder wir uns „privat treffen könnten, wenn ich Lust hätte“.
Ein Höhepunkt
Doch einige solch negativer Erfahrungen erlebe ich, bevor ich einen Club überhaupt betrete. Ich reise meist ohne Begleitung, häufiger in Städte, die ich nicht kenne. Einen vorläufigen Höhepunkt erlebte ich vor wenigen Wochen bei einem Gig in Danzig – in der eine übergriffige Situation auf die nächste folgte.
Schon im Taxi, das die Veranstalterin im Vorhinein gerufen hatten, wurde ich von einem unbekannten Mitfahrer bedrängt. Ich sollte ihm beweisen, dass ich wirklich ein DJ war, denn er wollte unbedingt ein Set von mir hören. Mehrfach verneinte ich und sagte, ich fühle mich unwohl damit, jetzt ein Set von mir anzumachen. Er drängte mich weiter dazu, bis ich ihn schließlich aufforderte, es sein zu lassen. Daraufhin wechselte er ins Polnische und ließ sich beim Fahrer über mich aus, im Glauben, ich würde ihn dabei nicht verstehen. Er beleidigte mich als „Hure“, weil ich seinen Willen nicht erfüllt hatte. Ich rief die Promoterin an. Ich war dankbar, dass ich an diesem Abend eine Frau als Promoterin hatte. Das kommt nicht häufig vor.
Angekommen im Club bahnte ich mir den Weg durch die Menge. Ein Mann versuchte, mir an die Brust zu fassen, ich schlug seine Hand weg. Hinter der Bühne bereitete ich mich vor und begann schließlich mein Set. Mich überkam Unwohlsein, als ich vorne eine Gruppe oberkörperfreier Männer sah, die andere Personen aus der ersten Reihe wegdrängten. Ich suchte Blickkontakt mit den Personen aus dem Publikum. Eine Geste, in der ich versuchte, ihnen meine Aufmerksamkeit zu widmen, damit sie sich gesehen fühlen. Sie wiederum gaben mir dafür ein kleines Gefühl von Sicherheit zurück, in dem sie den Blickkontakt erwiderten. Wenige Minuten später hielt ein Mann aus der Menge sein Handy hoch: „Can I have your number?“ hatte er eingetippt. Ich reagierte mit meinem Mittelfinger.
Mit gemischten Gefühlen verließ ich Club, in dem Wissen, dass die Gäst*innen auf der Tanzfläche expliziteren und teils gewalttätigeren Formen von Sexismus ausgesetzt sein könnten. Auf der Bühne zu stehen, bedeutet schließlich eine sichere Position in diesem Setting einzunehmen – zumindest für den Moment. Flinta* Personen auf der Tanzfläche genießen dieses Privileg nicht.
Reden als Risiko
Nicht zum ersten Mal war ich solch einer Situation ausgesetzt. In vielen Clubs weltweit habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht, doch all das bekommt die Öffentlichkeit nicht mit. Denn natürlich ist es schwierig, von einer freien Rave Culture zu sprechen und im gleichen Atemzug ein Bewusstsein für vorhandene Missstände und Ungleichheiten zu begründen.
Wird das Problem einmal besprochen, soll ein Awareness-Team die Lösung sein. Sie sollen als Ansprechpartner*innen in der Clubnacht fungieren. Aber sind sie überhaupt ausreichend geschult? Und ein Awareness-Team allein reicht nicht aus, um einen ganzen Club zu einem sicheren Umfeld zu machen.
Darüber ehrlich zu sprechen, ist für Künstler*innen ein Risiko. Der Awareness- und Safer-Space-Heiligenschein auf Social Media und im Nachtleben blendet uns. So sehr, dass wir es nicht wagen, ihn abzunehmen und unsere Meinung über solche Situationen kundzutun. Denn will ich mich unbeliebt machen, weil ich als weibliche DJ über die negativen Erfahrungen bei meinen Gigs meckere? Und will ausgerechnet ich diejenige sein, die die kollektive Harmonie stört, weil ich auf die Missstände hinweise, anstatt den Blick auf das Positive zu richten und damit alles andere auszublenden?
Und so strahlt der Heiligenschein weiterhin über die Clubkultur, die – wie die restliche Welt auch – immer noch fest verankerten patriarchalen Strukturen und Denkmustern unterliegt.
Wenn ich mit Kolleg*innen spreche, teilen sie diese Erfahrungen. Hinzu kommen ihre Erlebnisse, die nicht nur sexistischer Natur sind, sondern auch intersektional sein können und sich beispielsweise mit Rassismuserfahrungen vermengen. Auch sie sind es leid, darüber zu sprechen. Sie sind es leid, dass feministische und intersektionale Räume noch immer erkämpft werden müssen. Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass wir nicht ernst genommen und unsere Erlebnisse kleingeredet wurden. Der vielbeschworene Safe Space scheint dann auf einmal nicht mehr vorhanden zu sein. Ich auf jeden Fall sehe diesen Raum nicht. Dabei wäre er notwendig, damit wir miteinander sprechen können.
Diesen Raum kann es nur geben, wenn auch männliche Kollegen, Promoter und DJs sich klar positionieren und ihr eigenes Handeln und ihre eigene soziale Stellung überdenken. Denn eine Positionierung sollte nicht immer nur von Betroffenen eingenommen werden.
Diskussionsrunden oder professionell geleitete Workshops von Antidiskriminierungsbeauftragten innerhalb eines Clubs können diesen Prozess unterstützen. Eine Inklusions-Klausel im Rider jede*r Künstler*in könnte zu Denkanstößen und anschließend verändernden Maßnahmen führen. Promoter*innen und Clubbesitzer*innen müssen die eigenen internen Clubstrukturen stetig reflektieren und sich kritisch damit auseinandersetzen, um diese Räume entsprechend safe zu gestalten. Denn offene Räume brauchen auch Raum für Kritik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“