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Sexismus in der elektronischen MusikszeneZwischen Harmonie und Sexismus

Die Clubszene gibt sich gerne offen und sicher für Flinta*. Aber auch dort herrscht Sexismus. Unsere Gastautorin ist DJ und fordert Veränderung.

Marie Montexier an den Reglern Foto: privat

Die elektronische Musikszene gibt vor, sich verändert zu haben. Zwar dominieren immer noch männliche DJs die Line-ups, doch die Quote an Flinta* DJs hinter den Decks steigt, also die von Frauen, lesbischen, intersexuellen, nicht binären, trans* und agender Personen. Überall heißt es: „Frauen mischen jetzt auch mit.“ Aber dieses Motto droht zur leeren Phrase zu geraten. Denn die Szene ist weit davon entfernt, Räume für alle gleichermaßen safe zu gestalten.

„Safe(r) spaces“ zu etablieren gilt als Maxime in unserer Szene, Ver­an­stal­te­r*in­nen bemühen sich darum, einen ihrer Meinung nach „saferen“ Raum zur individuellen Entfaltung und des sicheren Feierns zu gestalten. Doch wie verhält es sich nicht nur als Gast oder Gästin* in einem Club, sondern auch als auftretende Künstlerin hinter der Bühne? Inwieweit wird sich kritisch mit Strukturen innerhalb der Clubszene auseinandergesetzt? Sind die spaces jetzt wirklich safer?

Über die negativen Erfahrungen als weibliche DJ und die damit verbundenen unbequemen Wahrheiten wird bis heute gar nicht oder kaum berichtet – auch nicht von denjenigen, die sich selbst ein hohes Maß an Sensibilität für den Umgang mit sexistischen Strukturen zuschreiben würden.

Dankbarkeit, Wut und Trauer

Seit ungefähr zwei Jahren bin ich selbstständige Künstlerin und werde seitdem regelmäßig international als DJ gebucht. Meine Leidenschaft, Platten aufzulegen begann in Köln. Fünf Jahre später zog es mich für mein Soziologiestudium nach Leipzig. Seitdem bewege mich in der elektronischen Musikszene, arbeite mittlerweile hauptberuflich als DJ und absolviere um die zehn bis zwölf Auftritte im Monat in Deutschland, Europa und darüber hinaus.

Nach einem langen Wochenende mit mehreren Auftritten bin ich in der Regel dankbar für die Erfahrungen. Allerdings mischt sich in dieses Gefühl meist auch Wut und Trauer. In meinem Alltag als Künstlerin sehe ich mich immer wieder diskriminierenden, sexistischen und übergriffigen Handlungen ausgesetzt.

Ich muss sie über mich ergehen lassen, nicht nur im Club sondern auch auf dem Weg dorthin. Wenn ich alleine am Bahnhof stehe und mir sexistische Kommentare hinterhergerufen werden. Oder wenn der Taxifahrer mir sagt, „wie gut ich aussehe“ und „dass ich ja auch modeln könnte, weil meine Figur so schön schlank ist“.

Auf Instagram erhalte ich Nachrichten von älteren Männern, die sich als Sugar Daddy anbieten oder mir Geld versprechen, wenn ich ihnen explizite Bilder von mir schicke. Hinzu kommen die Erfahrungen, die ich mit Promotern und anderen männlichen DJs innerhalb des Clubkontextes mache.

Die Situationen, in denen sie mir zu nahe kommen, mich gar anfassen und sich anderweitig übergriffig verhalten, häufen sich. Einmal schrieb mir ein sehr bekannter männlicher DJ und fragte mich nach Nacktfotos.

Zu oft schon wurde mir während des Gigs von einem Promoter oder einem männlichen DJ ungefragt ein Kuss irgendwo hingedrückt. Von anderen bekam ich anschließend Nachrichten zugeschickt, „dass wir doch mal zu zweit etwas trinken gehen könnten“ oder wir uns „privat treffen könnten, wenn ich Lust hätte“.

Ein Höhepunkt

Doch einige solch negativer Erfahrungen erlebe ich, bevor ich einen Club überhaupt betrete. Ich reise meist ohne Begleitung, häufiger in Städte, die ich nicht kenne. Einen vorläufigen Höhepunkt erlebte ich vor wenigen Wochen bei einem Gig in Danzig – in der eine übergriffige Situation auf die nächste folgte.

Schon im Taxi, das die Veranstalterin im Vorhinein gerufen hatten, wurde ich von einem unbekannten Mitfahrer bedrängt. Ich sollte ihm beweisen, dass ich wirklich ein DJ war, denn er wollte unbedingt ein Set von mir hören. Mehrfach verneinte ich und sagte, ich fühle mich unwohl damit, jetzt ein Set von mir anzumachen. Er drängte mich weiter dazu, bis ich ihn schließlich aufforderte, es sein zu lassen. Daraufhin wechselte er ins Polnische und ließ sich beim Fahrer über mich aus, im Glauben, ich würde ihn dabei nicht verstehen. Er beleidigte mich als „Hure“, weil ich seinen Willen nicht erfüllt hatte. Ich rief die Promoterin an. Ich war dankbar, dass ich an diesem Abend eine Frau als Promoterin hatte. Das kommt nicht häufig vor.

Der Awareness- und Safer-Space-Heiligenschein im Nachtleben blendet uns

Angekommen im Club bahnte ich mir den Weg durch die Menge. Ein Mann versuchte, mir an die Brust zu fassen, ich schlug seine Hand weg. Hinter der Bühne bereitete ich mich vor und begann schließlich mein Set. Mich überkam Unwohlsein, als ich vorne eine Gruppe oberkörperfreier Männer sah, die andere Personen aus der ersten Reihe wegdrängten. Ich suchte Blickkontakt mit den Personen aus dem Publikum. Eine Geste, in der ich versuchte, ihnen meine Aufmerksamkeit zu widmen, damit sie sich gesehen fühlen. Sie wiederum gaben mir dafür ein kleines Gefühl von Sicherheit zurück, in dem sie den Blickkontakt erwiderten. Wenige Minuten später hielt ein Mann aus der Menge sein Handy hoch: „Can I have your number?“ hatte er eingetippt. Ich reagierte mit meinem Mittelfinger.

Mit gemischten Gefühlen verließ ich Club, in dem Wissen, dass die Gäs­t*in­nen auf der Tanzfläche expliziteren und teils gewalttätigeren Formen von Sexismus ausgesetzt sein könnten. Auf der Bühne zu stehen, bedeutet schließlich eine sichere Position in diesem Setting einzunehmen – zumindest für den Moment. Flinta* Personen auf der Tanzfläche genießen dieses Privileg nicht.

Reden als Risiko

Nicht zum ersten Mal war ich solch einer Situation ausgesetzt. In vielen Clubs weltweit habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht, doch all das bekommt die Öffentlichkeit nicht mit. Denn natürlich ist es schwierig, von einer freien Rave Culture zu sprechen und im gleichen Atemzug ein Bewusstsein für vorhandene Missstände und Ungleichheiten zu begründen.

Wird das Problem einmal besprochen, soll ein Awareness-Team die Lösung sein. Sie sollen als An­sprech­part­ne­r*in­nen in der Clubnacht fungieren. Aber sind sie überhaupt ausreichend geschult? Und ein Awareness-Team allein reicht nicht aus, um einen ganzen Club zu einem sicheren Umfeld zu machen.

Darüber ehrlich zu sprechen, ist für Künst­le­r*in­nen ein Risiko. Der Awareness- und Safer-Space-Heiligenschein auf Social Media und im Nachtleben blendet uns. So sehr, dass wir es nicht wagen, ihn abzunehmen und unsere Meinung über solche Situationen kundzutun. Denn will ich mich unbeliebt machen, weil ich als weibliche DJ über die negativen Erfahrungen bei meinen Gigs meckere? Und will ausgerechnet ich diejenige sein, die die kollektive Harmonie stört, weil ich auf die Missstände hinweise, anstatt den Blick auf das Positive zu richten und damit alles andere auszublenden?

Und so strahlt der Heiligenschein weiterhin über die Clubkultur, die – wie die restliche Welt auch – immer noch fest verankerten patriarchalen Strukturen und Denkmustern unterliegt.

Wenn ich mit Kol­le­g*in­nen spreche, teilen sie diese Erfahrungen. Hinzu kommen ihre Erlebnisse, die nicht nur sexistischer Natur sind, sondern auch intersektional sein können und sich beispielsweise mit Rassismuserfahrungen vermengen. Auch sie sind es leid, darüber zu sprechen. Sie sind es leid, dass feministische und intersektionale Räume noch immer erkämpft werden müssen. Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass wir nicht ernst genommen und unsere Erlebnisse kleingeredet wurden. Der vielbeschworene Safe Space scheint dann auf einmal nicht mehr vorhanden zu sein. Ich auf jeden Fall sehe diesen Raum nicht. Dabei wäre er notwendig, damit wir miteinander sprechen können.

Diesen Raum kann es nur geben, wenn auch männliche Kollegen, Promoter und DJs sich klar positionieren und ihr eigenes Handeln und ihre eigene soziale Stellung überdenken. Denn eine Positionierung sollte nicht immer nur von Betroffenen eingenommen werden.

Diskussionsrunden oder professionell geleitete Workshops von Antidiskriminierungsbeauftragten innerhalb eines Clubs können diesen Prozess unterstützen. Eine Inklusions-Klausel im Rider je­de*r Künst­le­r*in könnte zu Denkanstößen und anschließend verändernden Maßnahmen führen. Pro­mo­te­r*in­nen und Club­be­sit­ze­r*in­nen müssen die eigenen internen Clubstrukturen stetig reflektieren und sich kritisch damit auseinandersetzen, um diese Räume entsprechend safe zu gestalten. Denn offene Räume brauchen auch Raum für Kritik.

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6 Kommentare

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  • Okay, also weil Übergriffigkeit zur unantastbaren Beschaffenheit von "Jungmännern" gehört, kann es safe(r) spaces niemals geben?? Gerade in einer solchen Einschätzung liegt doch der Kern des Problems...

    Indem du das Problemfeld von "Sexismusabbau als Voraussetzung von safe(r) spaces" zu "safe spaces sind eine Traumvorstellung" verschiebst, ist niemanden geholfen.

    Explizit geht es hier auch um safeR spaces. Bestimmt sind absolut sichere Räume illusorisch. Als ein kollektiver Versuch des guten gemeinsamen Umgangs (abseits des sowieso patriarchal und durch Diskriminierung geprägten Alltags) sind sie aber definitiv zu erschaffen und zu erhalten!

    "Diese Szene" lässt sich schwer definieren - aber wenn es um die "Szene" geht, welches eine linke Clubpolitik fährt und diese in ihren Awareness- und Bookingkonzepten zum Ausdruck bringt, dann gebe ich dir auf der einen Seite mit deiner Einschätzung der Konstitutionsmerkmale Recht, mache aber auf der anderen Seite gerade deshalb den Punkt der Autorin erneut stark.

    Hier müssen wir nämlich etwas mehr differenzieren: Enthemmung gehört sicherlich dazu und auch ein Stück Sexualisierung. Da spricht niemand dagegen, da diese Facetten (glücklicherweise) zum Nachtleben dazugehören. Die Frage ist nun aber, für wen sich diese Facetten auf welche Weise praktisch ausgestalten. Angefangen von Taxifahrten, "nein heißt nein" bis zu GBL im Drink wird klar, dass hier ein Ungleichgewicht herrscht.



    Sexualisierung und Enthemmung sind oftmals einer bestimmten Gruppe - nämlich Flinta*Personen - vorenthalten. Enthemmung wäre auch für sie schön, ist aber leider zu gefährlich.... Reziprok dazu bekommen sie also die "Enthemmung" der "Jungmänners" auf drastische Art und Weise zu spüren.

    Einerseits können wir Enthemmung und Sexualisierung nicht aus diesem Kontext wegdenken (wobei wir das auch nicht wollen oder müssen). Andererseits brauchen wir gerade deswegen (!) safe(r) spaces, damit alle an diesen "Konstitutionsmerkmalen" teilhaben können.

  • """Von anderen bekam ich anschließend Nachrichten zugeschickt, „dass wir doch mal zu zweit etwas trinken gehen könnten“ oder wir uns „privat treffen könnten, wenn ich Lust hätte“."""

    Ist das schon übergriffig? Oder ist das ein ganz normaler Versuch der Annäherung, der mit einem einfachen "Nein, danke" beendet werden kann?

    Ich kenne die Gepflogenheiten in der Szene der elektronischen Musik nicht, aber in meiner Welt gilt das als vollkommen legitim, egal ob von Mann zu Frau oder Trans zu Inter oder wie auch immer.

  • Möglicherweise ist die Clubszene mit von Drogen, Alkohol und Musik zugedröhnten und aufgepeitschten Menschen und besonders Jungmännern gerade nicht ein Ort, der sich als 'safe space' überhaupt definieren und herstellen ließe. Ist nicht vielmehr 'Enthemmung' und 'Sexualisierung' gerade ein Markenzeichen und Konstitutionsmerkmal dieser Szene. Ich fürchte, der Wunsch der Autorin ist wie der Versuch einer Quadratur des Kreises.

    • @A. Winkler:

      Ganz richtig, das habe ich auch gelesen. 1991 in der "Bunte". Da stand auch, dass laute Musik schwul macht. Ausserdem ist ja wohl jedem normalen Menschen klar, dass dieser elektronische Bummbummbummkrawall unsere Kinder früher oder später ins IRRENHAUS (*kreisch*) bringen wird.

    • @A. Winkler:

      Ich war früher in vielen verschiedenen Subkulturen unterwegs und die Clubszene ist bei allen hier zu Recht benannten Problemen immerhin noch deutlich näher an dem Ideal eines inklusiven safe space als fast alles, was ich sonst so gesehen habe. Daran ändern auch "die Drogen" wenig, Übergriffigkeit musste ich immer am ehesten bei alkoholisierten Vertretern feststellen.

      Ich sage das nicht, um irgendwas zu verharmlosen oder kleinzureden - auch, wenn ich am eigenen Leib Übergriffe nur in anderen Kontexten erlebt habe, kenne ich aus zweiter Hand immer noch viel zu viele Beispiele. Ich sage nur, dass Ihre Vorstellung von der Clubkultur nicht unbedingt der Realität hinter den Clubtüren entspricht und an den im Artikel völlig zu Recht benannten Problemen vorbeigeht - denn Drogenkonsum oder Feierlaune macht bei aller Enthemmung niemandem zum sexistischen, übergriffigen Schwein, dafür ist was ganz anderes verantwortlich, nämlich patriarchales Balz- und Territorialverständnis. Auch Enthemmung kann nur zum Vorschein bringen, was im Menschen angelegt ist. Und Sexismus ist zum Glück nicht in allen Menschen angelegt. Unter Ravern auch deutlich weniger als bei anderen Männern.

      Die von Ihnen vermutete "Quadratur des Kreises" kann aus meiner Sicht in der Clubszene viel eher gelingen als anderswo. Das ist dort kein unerreichbares Ideal, sondern ein realistisches Fernziel. Aber klar, auf dem Oktoberfest oder am Ballermann fände ich das auch utopisch.

  • Vielen Dank für die Worte und die erschütternden Beschreibungen. Es hat sich also leider nichts verändert. Viele Jahre war ich Clubbetreiberin und DJ, häufig war ich Gast auf Veranstaltungen, habe das alles beobachten können, wenn auch nicht selbst erfahren.



    Auch ist es en Problem, wenn Frauen solo Konzerte geben, also außerhalb des Partykontextes.



    Es hat sich aus meiner Sicht ein wenig am booking geändert, aber von 50:50 sind wir weit entfernt. Ich beobachte häufig nachwievor, z.B. männliche Betreiber und booker denken zuerst an männliche acts. Da muss schon was passieren, wenn es nicht so sein sollte. Natürlich werden Ausnahmen gemacht, wir machen mal einen "ladiez Abend", heißt es dann evtl. Als Musikerin habe ich mich oft gefragt, woran liegt es, bin ich nicht gut genug. Mittlerweile glaube ich es nicht mehr. Denn es lässt sich überall, in allen Kontexten, beobachten. Dazu kommt aus meiner Sicht, die Konkurrenz wird unter Frauen offenbar anders ausgetragen, die Solidarität ist eine andere als unter Männern, die natürlich auch alle Konkurrenten sind, zumindest in diesem System. Genau beschreiben kann ich es leider noch nicht. Ich bin auch nicht in der Lage, meine Worte in Bezug auf Queer, Trans usw. zu differenzieren. Vermutungen habe ich, aber nun gut.



    Natürlich gibt es andere VeranstalterInnen und natürlich gibt es männliche Taxifahrer und Gäste, die nicht sexistisch und diffamierend/übergriffig unterwegs sind, aber es sind zu wenige.



    Xyramat