Serie Fluchtpunkt: Ehrenamtliche Helfer: „Eigennutz spielt eine Rolle“
Ehrenamt kann Selbstzweck sein – schlimm ist das nicht, sagt die Sozialwissenschaftlerin Misun Han-Broich: Weil der Nutzen für die Flüchtlinge überwiegt.
taz: Frau Han-Broich, Sie beschäftigen sich als Sozialwissenschaftlerin mit dem Thema Ehrenamt. Warum helfen Menschen anderen Menschen, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen?
Misun Han-Broich: Da gibt es die verschiedensten Motive. Ich unterscheide aber grundsätzlich zwei Helfertypen: Bei den einen kommt der Antrieb aus dem Inneren heraus – etwa, weil es ihnen im Elternhaus und in ihrem privaten Umfeld vorgelebt wurde oder weil sie es im Rahmen eines christlich-religiös motivierten Wertesystems für selbstverständlich erachten. Andere werden eher durch einen konkreten, äußeren Anlass motiviert – etwa durch die aktuelle Flüchtlingskrise.
Lässt sich das denn so einfach trennen, innere Einstellung und äußere Motivation?
Nein. Natürlich kann sich jemand auch zum Beispiel durch die gesellschaftliche Dynamik, die es da in der Flüchtlingskrise gab, als plötzlich Tausende Menschen versorgt werden mussten, angesprochen fühlen.
Weil man das Gefühl hat, dabei sein zu wollen?
Ja, und dann vielleicht merkt, dass es einem aber auch ein innerer Antrieb ist, zu helfen.
Alles andere wäre ja auch weniger Hilfsbereitschaft als Eigennutz – oder?
Eigennutz spielt sicherlich eine gewisse Rolle im Ehrenamt. Die ursprüngliche Motivation ist es aber häufig nicht, sondern eher ein nützlicher Nebeneffekt. Man merkt, dass man etwas zurückbekommt, wenn man hilft. Ob das nun Dankbarkeit ist oder Anerkennung oder ein persönliches Erfolgserlebnis, weil man zum Beispiel Flüchtlingen Deutsch beibringt und ihnen damit vielleicht ein Stück Perspektive geben kann.
Ist Eigennutz aber nicht verwerflich, wenn es eigentlich darum gehen soll, anderen zu helfen?
Ich fände es bedenklich, wenn Organisationen damit werben: Kommt, weil ihr hier viele nette Leute kennenlernt oder Kontakte knüpfen könnt. Das sollte nicht im Vordergrund stehen. Aber ansonsten würde ich den Selbstzweck, aus dem heraus Menschen helfen, gar nicht so sehr verurteilen.
Die taz begleitet eine syrische Familie, denen seit ihrer Ankunft in Berlin eine deutsche Familie im Alltag hilft. Die Frau sagt, dass sie das auch für sich macht: weil sie da eine Ersatzfamilie gefunden habe, nachdem ihr Sohn nun erwachsen ist.
Ich bin sicher, dass die syrische Familie von dieser Nähe profitiert – aus welchen Gründen auch immer sie hergestellt wird. Ich habe viele Gespräche mit Flüchtlingen und Ehrenamtlichen geführt. Und immer da, wo es gelang, seelisch-emotionale Beziehungen zwischen beiden Gruppen herzustellen, konnten offizielle Strukturen wie zum Beispiel Begegnungscafés oder Begleitungen im Alltag überhaupt erst wirken.
Geben Sie mal ein Beispiel.
Ich habe in den 90er Jahren als Sozialarbeiterin in Münster mit jugoslawischen Flüchtlingen gearbeitet: Frauen, die während des Kriegs in ihrer Heimat Opfer von Vergewaltigungen wurden. Diese Frauen waren zwar alle in professioneller, therapeutischer Behandlung. Aber wirklich geöffnet haben sie sich erst den ehrenamtlichen Frauen, denen es mit der Zeit gelang, ein persönliches Verhältnis aufzubauen.
Ist ehrenamtliche Hilfe unterschiedlich wertvoll – je nachdem, aus welchem Antrieb sie kommt?
Wie gesagt: Wenn Menschen die Bereitschaft mitbringen, eine Beziehung eingehen zu wollen, ist das gut. Allerdings kann man sagen: Diejenigen, die vor allem durch einen äußeren Anlass motiviert werden, steigen zwar oft mit sehr viel Einsatz ein und sind in der Sache sehr zielstrebig. Sie können aber, auch das habe ich in vielen Interviews festgestellt, Enttäuschungen schlechter kompensieren. Wenn sie keinen Erfolg sehen oder wenn der äußere Antrieb weg fällt, reagieren sie nicht selten mit Frustration und geben das Ehrenamt auch schnell wieder auf. Diejenigen, die sich stärker aus einer inneren Motivation heraus engagieren, sind meistens frustrationstoleranter.
Das Ehrenamt als solches – die Suppenküche für Obdachlose, der Gesprächskreis im Altenheim – hat durch die Flüchtlingskrise nicht unbedingt einen Popularitätsschub erfahren, oder?
Nein, wohl nicht. Im Übrigen, was auch noch eine Erkenntnis aus der Flüchtlingskrise ist: Viele, die helfen wollen, sind gar nicht so sehr auf äußere Strukturen angewiesen. Ich habe im vergangenen Jahr Ehrenamtliche interviewt, die in einer Turnhalle der Freien Universität geholfen haben, wo man Flüchtlinge untergebracht hatte. Da gab es Helfer, die sehr schnell einfach losgelegt haben. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die etwa 20 Flüchtlinge bei Behördengängen betreut hat – noch bevor es da so etwas wie Struktur in der Halle gab.
Das klingt so, als ob es die Hauptamtlichen gar nicht braucht.
Doch natürlich braucht es die. Aber: mehr Koordination und Wertschätzung für die Ehrenamtlichen wäre schön. Häufig werden sie nämlich nur als zusätzliche Belastung von den Hauptamtlichen wahrgenommen. Deswegen ist es auch gut, dass zumindest die großen Träger in der Flüchtlingshilfe zunehmend hauptamtliche Koordinatoren für die Ehrenamtsarbeit einstellen.
Die taz begleitet neben der syrischen auch eine serbische Roma-Familie, die inzwischen ihren dritten Asylantrag gestellt hat. Dieser Familie hat nie jemand privat Hilfe angeboten. Warum erfahren einige Flüchtlingsgruppen eher Hilfe als andere?
Da sind auch die Medien nicht ganz unschuldig daran, dass die Roma und Sinti quasi keine Lobby haben. Da ist die Rede von Kriegsflüchtlingen, von einer akuten Notlage, in der wir Verantwortung übernehmen sollen. Und eben von jenen, die in der Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben kommen, was aber offenbar nicht zählt.
Die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge.
Ja, dieses Wort ist eine sprachliche Unverschämtheit. Wenn jemand aus absoluter Perspektivlosigkeit flieht oder weil er sich und seine Familie nicht mehr ernähren kann, dann ist das kein „wirtschaftlicher Grund“, sondern ganz einfach eine existenzgefährdende Bedrohung.
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