Semesterticket der Berliner Hochschulen: „Kaufen Sie sich halt ein neues Handy“
Das Deutschlandsemesterticket in Berlin wird ab sofort von der S-Bahn GmbH ausgegeben. Dabei scheint es nicht nur technische Probleme zu geben.
Update 02.04.: Nach Angaben der S-Bahn GmbH hat sie die Studierendenschaften und Hochschulen schon Mitte Februar darüber informiert, dass die erstmalige Auslieferung des Semestertickets einen „gewissen zeitlichen Vorlauf“ benötige. Allen Studierenden, die ihr Ticket bis zum 24. März bestellt hätten, habe man es rechtzeitig zum Semesterbeginn bereitstellen können. Dass es am 1. April zu Verzögerungen gekommen sei, bedaure man. Grund sei gewesen, dass sich viele Studierende erst an diesem Tag registriert hätten.
Den Studierenden, die die Funktion nicht nutzen können, weil ihr iPhone von 2016 oder früher datiert, biete man eine Chipkarte als Alternative an, so ein Sprecher zur taz. Für das Wintersemester sei man „mit den Hochschulen auf der Suche nach einer Lösung“. Dass die S-Bahn-App während einer Kontrolle mit dem Internet verbunden sein müsse, sei nicht richtig. Lediglich zur monatlichen Aktualisierung des Tickets müsse einmal kurz eine Verbindung hergestellt werden.
Bislang hatte die BVG die vergünstigten Deutschlandtickets ausgegeben, jetzt wechselte die Zuständigkeit zur S-Bahn Berlin GmbH. Damit veränderte sich auch das Prozedere: Konnten Studierende sich bislang das Ticket als QR-Code abspeichern – etwa auf einem iPhone ins „Wallet“ –, bedarf es nun der S-Bahn-App, um sich auszuweisen. Dazu muss bei einer Kontrolle auch eine Internetverbindung bestehen.
Wie Dirk Lubien, Studierender an der Humboldt-Uni (HU), der taz erläuterte, müssen Studierende sich via S-Bahn-App auf dem HU-Server einloggen, damit das personalisierte Ticket in der App aktiviert wird. Er habe das noch am Montagabend versucht, so Lubien, nachdem er eine Mail vom Hu-RefRat erhalten hatte. Darin wurde das Prozedere erklärt, es hieß unter anderem aber auch, dass „das Ticket nicht sofort in der App angezeigt wird, sondern es ein paar Tage dauern kann, bis es ausgeliefert wird“.
Zudem muss laut RefRat der Vorgang zu jedem Monatsbeginn wiederholt werden, obwohl das Deutschlandsemesterticket ein halbes Jahr gültig ist. Als Lubien sein Ticket aktivieren wollte, bekam er erst eine Fehlermeldung, anschließend war er offensichtlich über die HU eingeloggt, auf der App prangte aber nur der Text „Keine aktuellen Tickets“. Noch am Dienstagnachmittag habe er nicht über sein Ticket verfügt, berichtet er. Und in der S-Bahn sei er prompt kontrolliert worden.
Der Kontrolleur habe freundlich reagiert, ihm sei das Problem offenbar bekannt gewesen. Ob man auch bei Kontrollen in anderen Verkehrsverbünden Kulanz erwarten könne, wollte Lubien von ihm wissen, und erhielt als Empfehlung, bei einem S-Bahn-Kundenzentrum nach einer Lösung zu fragen.
Keine Chance mit altem Smartphone
Vor den Kundenzentren sollen am Dienstag viele Studierende mit ähnlichen Problemen Schlange gestanden haben – so berichtet es Helge Haack, ebenfalls Studierender an der HU. Er war zum Schalter im Ostbahnhof gegangen, weil sein iPhone 6 – wie andere ältere Smartphones – nicht von der S-Bahn-App unterstützt wird: Damit kann er faktisch sein Semesterticket nicht vorweisen.
Die S-Bahn stellt in solchen Fällen nun Chipkarten aus. Laut Haack gab man ihm aber zu verstehen, dass es sich um eine Gefälligkeitsleistung handele, die nur im aktuellen Semester angeboten werde. Schließlich hätten die Studierendenschaften vertraglich zugestimmt, dass NutzerInnen des Tickets zwingend über die entsprechenden technischen Endgeräte verfügen müssten.
Während seiner einstündigen Wartezeit habe er an die zehn Mal von MitarbeiterInnen der S-Bahn die Frage „Sind Sie hier, weil Ihr Telefon zu alt ist?“ gehört. Auch die Aussage „Sie haben ja dann ein Vierteljahr Zeit, sich ein neues Telefon anzuschaffen“ sei gefallen – aus Haacks Sicht eine Marginalisierung „im Namen einer technischen Notwendigkeit“, die lediglich behauptet werde. Ausgeschlossen würden Personen, die sich kein neues Smartphone leisten könnten, ebenso wie solche, die etwa aus politischen oder ökologischen Beweggründen keines nutzten.
Von der S-Bahn GmbH gab es auf taz-Anfrage bis Redaktionsschluss keine Antwort.
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