Bundesweites Semesterticket: Etappensieg für Studis
Bund und Länder haben sich auf ein einheitliches Semesterticket geeinigt. Der Preis steht erst einmal, Details sind noch unklar.
„Ich freue mich, dass wir endlich einen Durchbruch beim Semesterticket erreichen konnten“, sagt der Vorsitzende der Landesverkehrsministerkonferenz, NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne). Die Länder hätten schon im Frühjahr, als das 49-Euro-Ticket an den Start ging, einen Vorschlag für einen bundesweit einheitlichen Studierendenpreis gemacht. „Nun hat auch endlich der Bund seine Zustimmung gegeben“, sagt Krischer. Die Einigung kam am Montagabend im sogenannten Koordinierungsrat des Deutschlandtickets zustande.
Ausgerechnet das erfolgreiche 49-Euro-Ticket hatte preiswerte Nahverkehrsangebote für die rund 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland ins Wanken gebracht. „Viele Allgemeine Studierendenausschüsse, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, hatten in den letzten Monaten ihre bisherigen Verträge aufgrund rechtlicher Bedenken gekündigt“, erklärt Amanda Steinmaus, Koordinatorin des Landes-ASten-Treffens Nordrhein-Westfalen, nach der Einigung.
Der Hintergrund: Semestertickets funktionieren in der Regel als Solidarmodell: Alle Studierenden einer Hochschule, die es anbietet, müssen es zum gleichen Preis kaufen – unabhängig davon, wie viel oder ob sie es überhaupt nutzen. Dadurch wird das Ticket auf einen Schlag vielfach verkauft, was wiederum niedrige Preise ermöglicht. Ein Solidarticket jedoch darf, so das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nur dann eingeführt werden, wenn es deutlich günstiger ist als alle anderen Nahverkehrsangebote. Das verhältnismäßig billige 49-Euro-Ticket machte vielen Semestertickets Konkurrenz, die ASten fürchteten Klagen – und kündigten die Ticketverträge mit den Verkehrsunternehmen teils vorsorglich.
Deutschlandticket sorgte für rechtliche Unsicherheit
Wie groß die rechtliche Unsicherheit unter Studierenden war, kann Simon Roß bestätigen. Der 21-Jährige ist AStA-Vorsitzender der RWTH Aachen. Vor zwei Wochen hat das Studierendenparlament auf Empfehlung des AStA die Verträge zum Semesterticket gekündigt. „Die Kündigung war alternativlos“, sagt Roß der taz. Der Vertrag mit dem lokalen Verkehrsbetrieb AVV läuft nun mit Ende des Wintersemesters aus. Wie es dann weitergehen sollte, war lange unklar. „Wir sind sehr froh, dass es jetzt die Einigung zwischen Bund und Ländern gibt“, sagt Roß. Mitte Dezember stimmt die Hochschule über das neue Ticket ab. Roß geht davon aus, dass es angenommen wird.
Bislang konnten Studierende in Aachen für 34 Euro den Nahverkehr in ganz Nordrhein-Westfalen und teils auf der niederländischen Seite nutzen. Daneben bestand die Möglichkeit, das Semesterticket zu einem Deutschlandticket zu upgraden – eine Übergangslösung, auf die sich die Verkehrsminister:innen im März geeinigt hatten. Diese Option hätten in Aachen allerdings nur 8 Prozent der Studierenden wahrgenommen, erzählt Roß.
Grundsätzlich soll das neue Semesterticket dasselbe bieten wie das reguläre Deutschlandticket: Eine Person kann in ganz Deutschland in allen Verkehrsmitteln des ÖPNV mitfahren, übertragbar ist das Ticket nicht. Die Studierendenschaften vor Ort müssen nun entscheiden, ob sie das Angebot für aktuell 29,40 Euro im Monat annehmen wollen.
Welche Regelungen im Detail gelten, klären die Vertragspartner:innen – also die Studierendenvertretungen und die Verkehrsunternehmen – ebenfalls vor Ort. Ist die Fahrradmitnahme inklusive? Können zu bestimmten Zeiten andere Personen mitgenommen werden? Gilt das Abo auch für öffentliche Leihfahrräder? „Das ist noch auszuhandeln“, sagt Sascha Wellmann aus dem Vorstand des Freien Zusammenschlusses von Student*innenschaften (fzs). Aktuell gälten für Semestertickets in verschiedenen Regionen verschiedene Sonderkonditionen. „Es ist aus unserer Sicht sehr unwahrscheinlich, dass bald alle bundesweit übernommen werden“, schätzt Wellmann.
Semesterticket droht teurer zu werden
Außerdem ist unklar, wie lange der Preis bei monatlich 29,40 Euro gehalten werden kann. Die Finanzierung des Deutschlandtickets ist nur bis April 2024 gesichert; im Herbst 2024 droht das Ticket teurer als 49 Euro zu werden. Eine Preiserhöhung würde auch eine Verteuerung der Semestertickets bedeuten. „Die 29,40 Euro sind absolut die preisliche Oberkante“, warnt Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks.
„Das studentische Budget ist ohnehin auf Kante genäht“, hohe Energie-, Miet- und Lebensmittelpreise belasteten Studierende ohnehin stark: „Vor allem jene 37 Prozent von ihnen, die mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen müssen.“ Kund:innen des 49-Euro-Tickets könnten kündigen, wenn ihnen das Abo zu teuer wird – Studierende hingegen nicht. Solange die Fahrkarte im Solidarmodell angeboten wird, ist sie nicht individuell kündbar.
Für die Studierendenvertretungen ist die Einigung des Koordinierungsrates daher ein Etappensieg – mit „einem wesentlichen Makel“, wie Matthias Anbuhl sagt: „Sie wurde ohne die Beteiligung der Studierenden getroffen. Sie müssen künftig in die Verhandlungen mit einbezogen werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?