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Selfies am Holocaust-Mahnmal in BerlinMontiert für die Erinnerung

Fotoshooting am Holocaust-Mahnmal. Der israelische Satiriker Shahak Shapira legt die Bilder von Touristen vor Fotos von Vernichtungslagern.

Ist es angebracht sich in der Holocaust-Gedenkstätte zu küssen? Immerhin machen sie kein Selfie Foto: dpa

Berlin taz Wenn man ein Selfie in der Holocaust-Gedenkstätte schießt, will man damit sagen: „Ich bin in der Hauptstadt“. Die Fotos der Touristen finden sich in allen sozialen Netzwerken. Mal mit Duckface, mal mit Handstand wird im Stelenfeld der Gedenkstätte für die sechs Millionen ermordeten Juden während des Nationalsozialismus herumgeturnt. Sie springen herum, lachen und werfen Luftküsse in die Kamera. Diesen Spaß verdirbt ihnen jetzt der israelische Satiriker Shahak Shapira und widmet sein Projekt „Yolocaust“ Björn Höcke. Der Titel verbindet das Lebensmotto YOLO (You only live once) und den Holocaust.

Das Holocaust-Denkmal neben dem Brandenburger Tor als bloße Touristenattraktion zu nutzen, blendet den Charakter des Ortes als Gedenkstätte an die Ermordung der Juden aus. Shahak Shapira hat sich der Touristen-Fotos angenommen. Aus Facebook, Instagram und verschiedenen Flirt-Apps hat er sich Bilder der Nutzer rausgepickt und bearbeitet.

Er ersetzt das „Lifestyle-Foto-Objekt“, wie er es nennt, vor dem sich die Menschen ablichten, durch Archivbilder aus Konzentrationslagern. Und so finden sich zwei junge Männer, die von Stele zu Stele springen und ihr Foto mit den Worten „Jumping over dead jews @ Holocaust Memorial“ kommentierten, plötzlich wirklich mitten im Sprung über tote Juden wieder. Ein Jongleur kniet plötzlich nicht mehr zwischen den großen Steinquadern, sondern in einem Massengrab, das gerade zugeschüttet wird.

„Es wäre nicht so schlimm, wenn Leute normale Selfies gemacht hätten,“ sagt Shapira im Interview mit jetzt.de. Trotzdem stellt er auf yolocaust.de auch zwei Bilder von jungen Menschen aus, die offensichtlich ganz normale Selfies machen. Auch sie setzt er in eine KZ-Baracke und vor einen Leichenberg und stellt sie so auf eine Stufe mit den unangemessenen Beiträgen, die er eigentlich öffentlich vorführen möchte.

Shapira möchte an das Erinnern erinnern. Mit seiner Aktion betont er die Wichtigkeit der Gedenkstätte für das kollektive Gedächtnis an die Schrecken des Holocaust. Wer sich auf seinen Bildern wiederentdeckt und es gerne entfernen möchte, der darf sich bei ihm melden unter: undouche.me@yolocaust.de.

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6 Kommentare

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  • vor einigen Tagen gab es eine Pressemeldung, wo jemand verurteilt wurde, weil er Liegestütze auf einem Altar gemacht hatte.

     

    Wenn man "besondere Orte des Gedenkens" schafft, sollte man ihnen diese Besonderheit auch zugestehen. Ich finde die Aktion gut, um aufmerksam zu machen, dass das Mahnmal mehr ist als ein "Ort, wo man gewesen sein sollte" als Berlinbesucher.

  • Wenn sich Besucher meinen, dort so aufführen zu dürfen, haben wir versagt. Ich warte auf das Selfie: Klimmzug am Eingangstor von Auschwitz...

  • Warum habe ich nur hier geklickt?

    And now for something completely different.

  • Das Problem mit diesem Denkmal ist meiner Ansicht nach, dass es von Anfang an eher ein Denkmal für den Architekten und seine Auftraggeber war, als eins für die ermordeten Juden Europas.

     

    Eisenmann wurde in erster Linie deswegen ausgewählt, weil er als einer der bedeutendsten Architekten des Kontinents gilt und vielfach hoch dekoriert wurde, nicht weil sein Entwurf irgend jemanden wirklich berührt hat. Die mit den 2.711 Betonklötzen zur Schau gestellte Gigantomanie wirkt offenbar anziehend auf Leute, die die Neigung Eisenmanns und seiner Auftraggeber zur Selbstdarstellung teilen - und dabei genau so wenig zur Empathie fähig sind wie er.

     

    Sagen noch einer, Kunst spräche am Ende nicht immer für sich selbst!

     

    Übrigens: Ich finde es klasse, dass Shapira mit sich reden lassen will, und hoffe, dass sich möglichst viele Leute bei ihm melden. Auch wenn sie sich nicht erklären wollen - der Schritt einer Kontaktaufnahme könnte schon etwas bewirken. Nicht in allen Köpfen, in einigen wenigen aber schon.

    • @mowgli:

      vielleicht ist es aber auch reine auffassungssache. das eine ist die flut an besuchern, die das mahnmal als spielplatz benutzen. fuer sich genommen finde ich es mehr als gelungen, ich finde es genial.

  • Ob sich mit erhobenem Zeigefinger das Geschichtsverständnis verbessern läßt ...?

     

    Im Übrigen induzieren Ort, Größe und Ausführung des Holocaust-Denkmals nicht die gleichen Gefühle, wie der Besuch eines Kzs oder eines Soldatenfriedhofes mit 1000 weißen Kreuzen. Und das ist sicher so gewollt ...