Security-Einsatz in Hamburgs Jugendhilfe: „Das kann nicht gewollt sein“
Hamburg setzt in der Jugendhilfe wieder verstärkt Wachleute ein. Allein 75-mal kam es seit Anfang 2022 zum Einsatz „körperlicher Mittel“.
Die zentrale Einrichtung an der Feuerbergstraße in Hamburg-Alsterdorf ist seit Monaten überlastet. Wie berichtet, wurde wegen des Zulaufs junger unbegleiteter Flüchtlinge im vergangenen Herbst sogar die Turnhalle auf dem Gelände belegt, weil die regulären 102 Plätze nicht mehr reichten. Inzwischen stehen dort Wohncontainer. Nun werden 142 Jugendliche betreut.
„Uns liegen keine Informationen vor, dass in den vergangenen Wochen vermehrt Sicherheitspersonal hinzugezogen wurde“, sagt dagegen eine Sprecherin der Sozialbehörde auf taz-Anfrage.
Laut einer Senatsantwort auf eine Große Anfrage der Hamburger Linksfraktion wurde allerdings die Zahl der Security-Mitarbeiter, die auf dem Areal physisch präsent sind, von ursprünglich drei auf fünf erhöht.
Die Linken-Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus hatte schon im September in einer Kleinen Anfrage wissen wollen, wie häufig das Security-Personal seit Jahresanfang eingegriffen hatte. Damals war der Senat ausgewichen. Die Security beim KJND dokumentiere zwar „jeden Eingriff“. Doch eine Auswertung der bis dato aus 2022 vorliegenden 235 Einzelberichte sei in der Zeit zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage nicht möglich. Deshalb stellte Boeddinghaus diese Frage in einer Großen Anfrage, für die der Senat vier Wochen Zeit hat, nochmal.
Hamburgweit haben 14 Einrichtungen Security
Und siehe da: In den nur vier Monaten, die seither verstrichen sind, war die Zahl dieser Einzelberichte auf 412 gestiegen. Und zugleich gab es dort 49 „Überlastungsanzeigen“ von Betreuern. Und stimmt es, was jene Mitarbeitenden berichten, hatte die Geschäftsführung des Landesbetriebs Erziehung (LEB), zu dem der KJND gehört, eine Aufstellung auf dem Schreibtisch, nach der sich die Zahl der Fälle, in denen ein Kind „zu Boden gebracht“ oder „festgehalten“ wurde, deutlich erhöht hat.
Der Hamburger Senat antwortet etwas allgemeiner. Zu den Anlässen, über die jene 412 Berichte geschrieben wurden, zählten etwa auch „Wegweisen nicht erwünschter Personen“ oder „Fund unerlaubter Gegenstände“ und „Schutz von Personen“.
Die Berichte enthielten „75 Hinweise auf den Einsatz von körperlichen Mitteln“. Im wesentlichen handle es sich um eine „körperliche Begrenzung“ zum Schutz von Mitarbeitenden oder anderen Bewohnern. Jene Mittel seien „defensiv“, dazu zähle zum Beispiel „ein kurzes Festhalten“ und im Einzelfall auch „Heraustragen“ aus einem Raum. Dass Jugendliche „kontrolliert auf den Boden gebracht“ werden, passiert laut Behörde nur in „extremen Situationen“, wenn diese sich oder andere gefährden und die Pädagogen sie nicht beruhigen könnten.
Bei der taz hatten sich in der Vergangenheit schon Jugendliche über einen rabiaten Einsatz der Security beschwert. So könne es schon passieren, dass ein Betreuer die Wachleute ruft, nur weil man mit ihm diskutiert. Ginge man mit denen nicht mit, „legen sie dich zu Boden“. Das Wichtigste für die Jugendlichen dort sei, sich mit der Security anzufreunden.
Ein Widerspruch zum Jugendhilfegesetz
Wie aus der Linken-Anfrage hervorgeht, setzt der Landesbetrieb den Sicherheitsdienst bei 13 weiteren Einrichtungen ein. Unter anderem in den Unterkünften für junge Geflüchtete und in zwei „Kinderschutzgruppen“ für Sechs- bis Zwölfjährige in Wilhelmsburg und Harburg. An neun Standorten ist die Security auch nachts da, in einer größeren Jugendwohnungseinrichtung ist nachts sogar nur Sicherheitspersonal vor Ort und kein pädagogisches.
„Die Auswertung der Berichte zeigt ein desolates Bild. Das kann so nicht gewollt sein“, sagt Sabine Boeddinghaus. Wichtig sei, die Jugendhilfe so auszustatten, „dass Security nicht nötig ist oder nur auf Zuruf gebraucht wird“. Dass Security in Kinderschutzgruppen eingesetzt wird, „geht gar nicht“, so die Abgeordnete.
Der Einsatz von Sicherheitskräften in der Jugendhilfe gilt als Hamburgensie und begann vor 20 Jahren, als unter der rechten Schwarz-Schill-Regierung ein geschlossenes Heim eröffnet wurde, aus dem viele Jugendliche wegliefen.
Security als Teil des Systems
Der Soziologe Michael Lindenberg und der Jugendhilfeexperte Ronald Prieß haben einen Fachartikel in der Zeitschrift „Forum für Kinder- und Jugendarbeit“ dazu verfasst. Ihrer Einschätzung nach widerspricht der Security-Einsatz dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, das nicht mehr „eingriffsorientiert“ ist und auch Kinder und junge Menschen mit eigenen Rechten ausstattet.
„Ich finde es erschreckend, wie sehr der Sicherheitsdienst schon Teil des Systems im LEB geworden ist“, sagt Prieß nach Lektüre der Großen Anfrage. Es gebe institutionalisierte Schulungen, Arbeitsanweisungen und ein Dokumentationswesen. Der Einsatz sei sofort zu beenden, und gehöre obendrein „nach 20 Jahren dringend mal wissenschaftlich evaluiert“.
Für Michael Lindenberg sind die Strukturen das Problem: „Wir sagen, der KJND ist viel zu groß. Macht ihn doch kleiner.“ Dann brauche man die Security nicht. „Dann entsteht eine Nähe und eine konkrete Lebenswelt, die das überflüssig macht.“
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