piwik no script img

Schwindende Bedeutung des SuezkanalsDas Nadelöhr liegt anderswo

Felix Lee
Kommentar von Felix Lee

Die „Ever Given“ ist freigekommen, der Suezkanal wieder offen. Dabei hat der für den Welthandel längst nicht mehr die Bedeutung wie früher.

Befreiungsaktion am Montag: Das Containerschiff „Ever Given“ blockierte tagelang den Suezkanal Foto: ap

D ie Havarie eines einzigen Containerschiffs schaffte es offenbar, die gesamte Weltwirtschaft für Tage auf Trab zu halten. Etwa 10 Prozent des globalen Handelsvolumens werden durch den Suezkanal befördert. Jede Stunde, an dem die Wasserstraße zwischen dem Roten und dem Mittelmeer blockiert war, bescherte dem Welthandel Verluste von mehreren Milliarden Dollar. Das Schiffsunglück machte deutlich, wie empfindlich die auf „Just in time“ getrimmten Lieferketten heutzutage sind. Doch gerät damit die Weltwirtschaft ins Wanken? Nein.

So schmerzhaft es für einzelne Branchen in Europa sein mag, weil sie einige wichtige Elektrokomponenten nicht geliefert bekamen – ein Kollabieren der Weltwirtschaft sieht anders aus. Anders als noch in den siebziger Jahren, als Westeuropa einen Großteil seiner Ölversorgung über den Suezkanal aus der Golfregion bezog, hat die Wasserstraße erheblich an Bedeutung verloren. Deutschland und andere EU-Länder beziehen das meiste Öl heute aus Russland und anderen Regionen.

Europa ist neben den USA zudem auch nicht mehr das Zentrum der Weltwirtschaft, sondern muss sich diese Rolle nun auch mit China und anderen Ländern in Asien teilen. Hinzu kommt, dass China um die Krisenanfälligkeit des Suezkanals weiß. Um die Abhängigkeit zu reduzieren, ist der Exportweltmeister schon seit geraumer Zeit dabei, nicht zuletzt mit seiner Seidenstraßen-Initiative viele weitere Handelswege zu schaffen. Die Güterzugstrecke zwischen Shenyang und Duisburg ist erst der Anfang.

Dass 10 Prozent des Welthandels durch den Suezkanal gehen, ist viel. Fast viermal so viel wird jedoch über das Südchinesische Meer abgewickelt. Die USA haben das erkannt und längst damit begonnen, ihren Einfluss dort auszubauen. Hierzulande wird der Konflikt zwischen China und den Anrainerstaaten hingegen so behandelt, als würde er nichts mit Europa zu tun haben. Das ist kurzsichtig. Nicht der Suez­kanal ist das Nadelöhr der Weltwirtschaft, sondern die Straße von Malakka.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Wenn man die Transsib, Baikal-Amur-Magistrale und die Route über Urumtschi zusammennimmt, gibt es drei Bahnlinien für potentiellen Bahnverkehr. "100 Züge am Tag" wären knapp ein 15-Minuten-Takt.



    An der reinen Stecke liegt es also nicht. Kosten und Energieverbrauch sind aber in der Tat höher.

  • Dass eine Güterzuglinie von China nach Europa den Schiffstransport nicht annähernd ersetzen kann, kann man eigentlich schnell abschätzen.

    Die größten Güterzüge transportieren rund 200 Container; man bräuchte also rund 100 Züge für die Ladung der Ever Given und diese ist normalerweise nur eines von vielen Schiffen dieser Größe, die pro Tag von Asien nach Europa fahren. Außerdem können auf europäischen Bahnstrecken normalerweise keine zwei Container übereinander transportiert werden, so dass sich die Bahnkapazität nochmal halbiert.

    Vermutlich ist der Transport auf See auch deutlich umweltschonender trotz des dreckigen Schweröls als Treibstoff.

  • 1G
    13566 (Profil gelöscht)

    Eine alternative Route müßte an Sumatra vorbei führen. Und diese Insel ist allein schon 1700km lang.

    Die Bedeutung für die Schifffahrt ist erheblich größer als der Suezkanal.



    Dieser mag für Europa eine Bedeutung haben, aber nicht für den Rest der Weltwirtschaft.

    Und wenn es in der Str. v. Malakka mal zu einem "Stau" (aus welchen Gründen auch immer) kommen sollte, wird Europa es heftiger merken als die Blockade des kleinen Suezkanal.



    Der Autor hat schon Recht und zeugt von der Kurzsichtigkeit der europäischen Politiker.

    • @13566 (Profil gelöscht):

      In dem einen Fall führt die Route nördlich an Sumatra vorbei, in dem anderen Fall südlich. Und „Stau“ ist aus den genannten Gründen eben ausgeschlossen, im Gegensatz zum Suezkanal. Blockade wäre möglich, wäre aber auch im Ärmelkanal möglich oder Hormus oder oder oder.

  • Danke Herr Felix Lee... sehr inspirierend ihr Text! Die Veränderungen in global economy, hin zu mehr Luxusgütertransport, anstatt? Bedarfsorientierung des "just in time"



    Transportwesens.. mag m.E. auch mehr Flexibilität in Produktionsstandorten nach sich ziehen?



    Auch dürfte die globale Herausforderung durch die Klimakrise



    Veränderungen in ihren 'Nadelören'



    bewirken?

  • Angenommen die Angabe bei Wikipedia stimmt halbwegs, dann ist die schmalste Stelle 38 km breit und eine alternative Route geschätzt zwischen 700-1000 km länger. Finde den Vergleich daher nicht ganz passend.

    • @deichmonster:

      Wassertiefe?

  • „Das ist kurzsichtig.“ Mit ähnlichen Argumenten könnte man China dazu auffordern, sich etwas eindringlicher um die Straße von Gibraltar zu kümmern.