Schwimmen Oben-ohne in Berlin: Gendergerechtigkeit am Beckenrand
Berliner Bäder erlauben nackte Brüste. Manche befürchten einen Kulturkampf. Blickt man auf die Genese der Bademoden, verbietet sich jede Aufregung.
N un also auch Berlin. Gemeinhin nimmt die Hauptstadt ja gern für sich in Anspruch, besonders cool und sexy zu sein, in diesem Fall waren andere Städte wie Göttingen schneller. Aber nun ist auch in den öffentlichen Bädern der Hauptstadt das Oben-ohne-Baden für alle Geschlechter erlaubt. Weder beim Schwimmen noch beim Sonnenbaden müssen Frauen ihre Brüste bedecken.
Dabei gilt die alte Hausordnung einfach weiter. Denn laut den Berliner Bäderbetrieben (BBB) war „oben ohne“ nie verboten. Der allgemein gehaltene Passus, es sei „handelsübliche Badekleidung“ zu tragen, sei vom Personal bloß falsch ausgelegt worden, heißt es jetzt – geschlechtsspezifischen Vorgaben gebe es nicht. Allerdings hat in der Vergangenheit wohl kaum weibliches Publikum auf dieses Recht gepocht. Wo kein Kläger, da kein Richter.
Die Debatte um Gendergerechtigkeit macht aber auch am Beckenrand nicht Halt. Eine 33-jährige Frau, die im Dezember ohne Oberteil in einem Hallenbad schwimmen wollte und deshalb des Hauses verwiesen wurde, hatte bei der Antidiskriminierungsstelle des Landes erfolgreich Beschwerde eingelegt. In der Folge haben die BBB ihr Personal nun angewiesen, unbekleidete Oberkörper in jeden Fall zu tolerieren.
Konflikte sind damit programmiert. In ersten Reaktionen auf Twitter wurde prognostiziert, dass es in den Schwimmbädern zum Kulturkampf kommen werde und Sicherheitspersonal Frauen mit unbedeckten Brüsten vor Gaffern schützen müsse. Ähnliches war auch in Göttingen befürchtet worden, wo die Regelung seit dem Sommer 2022 gilt. Bewahrheitet hat sich das nicht.
Nun sind Göttingens Bäder vermutlich längst nicht so multikulturell gemischt wie die der Berliner Innenstadt. In einer internen Dienstanweisung versuchen die BBB denn auch, ihr Personal auf etwaige Konflikte vorzubreiten: „Wir wissen, dass es Menschen gibt, die irritiert darauf reagieren, wenn eine Frau oder eine trans- oder intergeschlechtliche Person mit nicht-bedeckter Brust schwimmen oder baden geht“, heißt es darin.
An erster Stelle die Gleichheit
Der Grundsatz der Gleichheit stehe jedoch über anderen Rechten wie der Religionsfreiheit. Badegäste, die aus religiösen Gründen nicht in einem Bad bleiben könnten, wo „oben ohne“ praktiziert werde, hätten keinen Anspruch, die Bedeckung der Brüste zu verlangen. Man baue auf die Sensiblität und Toleranz der Kundschaft und führe intensive Gespräche mit der Belegschaft, wie damit umzugehen sei, teilte der BBB-Vorstandschef mit.
In Göttingen war es eine Person, die nicht als Frau identifiziert werden wollte, die ihren Anspruch durchgesetzt hatte. Für diesen Personenkreis mag es eine Befreiung sein, mit freiem Oberkörper schwimmen zu können. Nicht verhindern lassen wird sich indes, dass manche Menschen den Anblick nackter Brüste nicht aushalten, sich dadurch sexualisiert, provoziert oder aus religiösem Empfinden beleidigt fühlen. Das gilt es nun auszuhalten. Eine Segregation in den Bädern, Zäune oder Sichtblenden sind jedenfalls keine Lösung.
Jenseits aller kulturellen Schranken ist die Frage letztlich doch die: Wie weit ist die Gesellschaft in puncto körperliche Freiheiten? Es ist noch nicht so lange her, da war es ganz normal, sich geschlechterübergreifend mit nacktem Oberkörper auf dem Kreuzberg zu sonnen. Aber nicht nur im öffentlichen Raum hat eine neue Keuschheit Einzug gehalten, sondern auch im Privaten. War es früher in WGs selbstverständlich, nackt über den Flur zu laufen, verriegeln junge Menschen nun das Badezimmer, bevor sie sich ausziehen – und gleichzeitig wird massenhaft digitale Pornografie konsumiert.
Aber vielleicht sind die Menschen doch nicht so prüde, wie es wirkt. Blickt man zurück auf die Genese der Bademoden, verbietet sich jede Aufregung. Nach der Freikörperkultur, die in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu Synonym für Freiheit geworden war, verboten die Nazis öffentliches Nacktbaden sowie das Baden in anstößiger Badekleidung.
Auf die Präsentation des ersten Bikinis, 1946 vorgestellt von einem französischen Modedesigner, folgte ein Erdbeben der Empörung. Erst Anfang der 60er wurde der Zweiteiler durch den Auftritt des ersten Bond-Girls Ursula Andress zum modischen Must-have.
Nun fällt das Top.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen