Schwarz-grüne Koalitionen: Grüne, blühende Industrielandschaft
Die Regierungen in Kiel und Düsseldorf übertreffen sich gegenseitig mit Klimazielen. Dabei bleiben die Koalitionsverträge jedoch überwiegend vage.
H aben Sie’s gemerkt? Nordrhein-Westfalen (knapp 18 Millionen Menschen, Bruttoinlandsprodukt rund 711 Milliarden Euro) und Schleswig-Holstein (Bevölkerung 2,9 Millionen, Bruttoinlandsprodukt knapp 98 Milliarden Euro) liefern sich ein Wettrennen: Beide wollen die „erste klimaneutrale Industrieregion Europas“ beziehungsweise das „erste klimaneutrale Industrieland Deutschlands“ werden, so steht es in den Koalitionsverträgen, die CDU und Grüne in beiden Ländern parallel beschlossen haben.
Es ist allerdings ein Wettrennen mit eingebauter Entschleunigung, denn in Schleswig-Holstein soll es, falls nicht irgendwas wie Krieg, Corona oder Geldmangel dazwischenkommt, im Jahr 2040 so weit sein, in NRW bleibt die Zeitschiene mit der Formel „so schnell wie möglich“ maximal unverbindlich. Aber immerhin steht fest, wer gewinnen wird: die CDU.
Mit Schwarz-Grün haben sich in beiden Ländern die Wahlsiegerinnen zusammengetan, die zulegten, während SPD, FDP, Linke und AfD an Wählerstimmen zusetzten. Alle vier Verhandlungsgruppen traten sich also durchaus breitschultrig gegenüber, und alle betonen nun, dass die Verträge ihre Handschrift tragen. Bei der CDU meint das Wirtschaft, Sicherheit, Verkehr, bei den Grünen Klimaschutz, Klimaschutz und Klimaschutz. Mit dem Ergebnis, dass das Soziale in beiden Programmen vergleichsweise kurz kommt.
Das Versprechen der grünen, blühenden Industrielandschaften ist leider – vor allem im Vertrag aus Schleswig-Holstein – in weiten Teilen in Konjunktiven und in Sätzen formuliert à la „wir streben an“ oder „falls der Bund die rechtlichen Rahmenbedingungen schafft“. Das NRW-Papier ist konkreter, allerdings startet das Kohleland auf deutlich größerem CO2-Fuß als der Wind-Kraftmeier im Norden.
So oder so: Wenn es am Ende doch nicht so richtig super klappt mit der Klimaneutralität, dann dürften in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem die Grünen schuld daran sein. In der Zwischenzeit konnte die CDU ihre Punkte durchbringen, mehr Polizei zum Beispiel. Seit der ersten schwarz-grünen Koalition 2010 in Hamburg hat das Bündnis seinen Exotenstatus verloren.
Je länger und reibungsloser die Regierungen in Düsseldorf und Kiel zusammenarbeiten, desto denkbarer wird die Option auch für den Bund, wo die eigentlich fabrikneue Ampel dermaßen wankt und knirscht, dass schon das Zuschauen wehtut. Für die Grünen mag Schwarz-Grün da wie eine gute Alternative aussehen. Und die CDU, bei der inzwischen jede Person als kanzlertauglich gilt, die eine Wahl jenseits der Kreisliga gewinnt, freut sich über die Hoffnungsträger Hendrik Wüst und Daniel Günther.
Wer weiß, vielleicht findet dort das wahre Wettrennen statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin