Koalitionsvertrag im Faktencheck: Wie sozial ist Schwarz-Grün?

Die Pläne für Soziales von Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein werden scharf kritisiert. Nicht alle Vorwürfe treffen zu – Luft nach oben gäbe es aber.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hilft bei der Ausgabe von Lebensmitteln bei der Husumer Tafel.

Noch kein Konzept zur Armutsbekämpfung: Ministerpräsident Daniel Günther 2021 bei der Tafelausgabe Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

BREMEN taz | Die Kritik war harsch: Im Bereich Sozialpolitik sei der Koalitionsvertrag „einfach blank“, sagte der Spitzenkandidat der schleswig-holsteinischen SPD, Thomas Losse-Müller in einem Pressegespräch. „Da ist nix. Das Soziale spielt bei Schwarz-Grün keine Rolle.“

Die Sozialverbände äußerten sich differenzierter, die Kritik bleibt trotzdem: Das, was Schwarz-Grün anzubieten habe, sei zu wenig, und vor allem: Zu unkonkret. „Es werden eine Menge wichtige Themen angeschnitten“, so Michael Saitner, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Sozialverbände in Schleswig-Holstein. „Aber uns fehlt oft, wie man diese Ziele verwirklichen will.“

Angesprochen fühlen muss sich von dieser Kritik vor allem Aminata Touré, Spitzenkandidatin der Grünen im Landtagswahlkampf, Verhandlerin für die Grünen im Team Soziales und, davon kann man ausgehen, designierte Sozialministerin. Touré widerspricht deutlich: „Sehr zufrieden“ sei sie mit dem Verhandlungsergebnis. Routiniert zählt sie einige soziale Erfolge des Koalitionsvertrags auf: mehr Frauenhausplätze, mehr frühkindliche Bildung, mehr Gleichstellung, gerechtere Gesundheitsversorgung.

Da lohnt ein Faktencheck des Koalitionsvertrags. Auf den ersten Blick ist das Thema tatsächlich dünn besetzt: die Unterpunkte „Soziales“ und „Familie, Kinder, Jugend und Senioren“ füllen nur vier Seiten – von insgesamt 244. In dem kurzen Textstück steht nur wenig Konkretes: Die soziale Balance wolle man herstellen und ausgeglichene Lebensverhältnisse in Stadt und Land schaffen. Nur wer weiterliest, sieht: Sozialpolitik findet sich als Querschnittsthema immer wieder in anderen Kapiteln des Vertrags wieder.

Die Vorwürfe sind teils falsch

Die SPD hat für den Koalitionsvertrag die Bezeichnung „Wohlfühlpopulismus“ gewählt. Populistisch ist jedoch auch die Kritik von SPD-Frakionsvorsitzendem Thomas Losse-Müller: Es gebe mehr Seiten zu „Bienen“, als zu „Behinderten“, zitiert er ungenannte Sozialverbände. Das ist schlicht falsch: Tatsächlich kommt das Wort „Behinderung“ 32 mal vor, dazu 23 mal „Inklusion“, das Wort „Bienen“ gibt es viermal.

Konkret sind etwa ein Förderprogramm für barrierefreien Wohnraum geplant, mehr Heil­päd­ago­g*in­nen in den Kitas und eine aktive Arbeitsmarktpolitik für Menschen mit Behinderung; neben Werk­stattarbeit sollen neue Arbeitsmodelle erprobt werden.

Saitner fehlen im Koalitionsvertrag Lösungsvorschläge zum Fachkräftemangel im Sozialbereich. Doch der Vorwurf trifft nicht: Es tauchen mehrere konkrete Maßnahmen auf. Die Zahl der Ausbildungsplätze an den Fachschulen für Sozialpädagogik soll erhöht werden; für Er­zie­he­r*in­nen in der Ausbildung ist eine Ausbildungsvergütung geplant; und ein Personalergänzungsfonds soll Kitas helfen, bei akutem Fachkräftemangel schnell entlastendes Personal etwa für Verwaltungsaufgaben einzustellen.

Außerdem, das hebt Touré als besonderen Erfolg hervor, sollen ausländische Berufsabschlüsse leichter anerkannt werden – die Ausländerbehörden werden außerdem explizit aufgefordert, ihren Kli­en­t*in­nen keine Arbeitsverbote aufzuerlegen.

Strukturelle Pläne gegen Armut muss man suchen

Etwas dünn bleibt der Vertrag bei der Armutsbekämpfung: Unfreiwillig hatte der CDU-Abgeordnete Werner Kalinka ein Licht darauf geworfen, als er in einem Pressestatement nur ein einziges Argument nannte, um die Sozialpolitik des Vertrags zu verteidigen: Die neue Landesregierung wolle die Tafeln unterstützen. „Es kann doch nicht die Lösung sein, einfach die Almosen-Institutionen zu verbessern“, sagt Saitner dazu.

Doch strukturelle Maßnahmen gegen Armut fehlen weitgehend. Ein großer Teil der Sozialpolitik findet auf Bundesebene statt, die Möglichkeiten sind daher beschränkt – aber auch die vorhandenen Spielräume werden nicht genutzt: 2018 hat Schleswig-Holstein seinen Landesmindestlohn abgeschafft, der Bundesmindestlohn sei hoch genug.

Das rot-grün-rot regierte Bremen im Vergleich hat anders reagiert: Mittlerweile ist der dortige Mindestlohn für Beschäftigte des Landes und assoziierter Unternehmen auf 12,29 Euro angehoben worden. Auch bei der Sozialhilfe führt der direkte Vergleich weiter: Bremen begrenzt die Sanktionen durch Jobcenter; in Schleswig-Holstein schweigt sich der Koalitionsvertrag dazu aus.

In der Wohnungspolitik fehlt ein Wahlversprechen

Und in der Wohnungspolitik? Dort fehlt die Mietpreisbremse – obwohl sich die Grünen im Wahlkampf für deren Wiedereinführung ausgesprochen hatten. „Wir haben vier von fünf möglichen wohnungspolitischen Maßnahmen aufgenommen“, verteidigt Touré den Koalitionsvertrag und zählt unter anderem die Kappungsgrenzenverordnung auf.

Das Problem: Laut einer Stellungnahme des Paritätischen funktionieren die Instrumente nur in Kombination – ohne Kappungsgrenzenverordnung, die Bestandsmieten begrenzt, wirkt eine Mietpreisbremse, die vor allem auf Neuvermietungen abzielt, nicht – und umgekehrt.

Einen echten Angriffspunkt hat sich die neue Landesregierung mit dem neuen Ministerienzuschnitt eingehandelt: Die Gesundheitspolitik spielt in Zukunft nicht mehr im Sozialressort, wo der Bereich Pflege angesiedelt ist – sondern wird mit dem Justizministerium zusammengepackt. „Da geht es offenbar mehr um Posten und Pöstchen“, kritisiert Losse-Müller.

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