Zwei Jahre Schwarz-Grün in Hamburg: Eiszeit - bis in den Sommer

Seit zwei Jahren regiert Schwarz-Grün in Hamburg. Nach harmonischer erster Halbzeit droht nun die Nagelprobe: An der Schulreform könnte das Bündnis zerbrechen.

Rutschgefahr vor dem Hamburger Rathaus: Der politische Winter könnte bis zum nächsten Sommer dauern. Bild: dpa

HAMBURG taz | Es wird rutschig. Zur Halbzeit der ersten deutschen schwarz-grünen Länderregierung, deren Entstehen im Stadtstaat an der Elbe vor zwei Jahren mit einer Mischung aus Neugier und Ungläubigkeit beobachtet wurde, droht der ultimative Belastungstest. Nicht gleich jetzt im Winter. Der wird, Eisesglätte und Streusalzmangel zum Trotz, politisch zu überleben sein.

Für die Nagelprobe wird der im Sommer anstehende Volksentscheid über die Schulreform sorgen: Auf dem Spiel stehen die Zukunft der schulischen Bildung, der Fortbestand der Koalition und die persönlichen Karrieren von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und seiner Stellvertreterin und Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL).

Zwar beteuern beide, in dem Referendum werde nur über eine Sachfrage entschieden - allerdings eine, an die beide sich mit ihrem persönlichen und politischen Renommee gebunden haben. Von Beust hat mit hohem Einsatz und Risiko seine Partei auf den Primarschulkurs eingeschworen, der für Goetsch und ihre Grünen unverzichtbar ist. Eine Niederlage beim Referendum gegen die großbürgerliche Volksinitiative des Rechtsanwaltes Walter Scheuerl wäre für beide auch eine persönliche.

Selbst ein von Beust, der die Hamburger Christdemokratie 2001 nach 44 Jahren wieder an die Macht führte, hätte dann alle Mühe, Grabenkämpfe in der Union zu verhindern, geschweige denn, sie unbeschadet zu überstehen. Und für Goetsch wäre das Desaster nicht nur ein politisches. Es ist mehr als zweifelhaft, dass sie für den Rest der Legislatur achselzuckend eine Schulpolitik exekutierte, die sie für grundfalsch hält. Gemeinsam ist beiden auch, dass sie unersetzbar erscheinen. In CDU wie GAL ist niemand in Sicht, der ihre Nachfolge mit der Aussicht auf kurzfristigen Erfolg antreten könnte. Die 57-jährige Lehrerin Goetsch ist in ihrer Partei als GALionsfigur so unumstritten wie noch niemand vor ihr.

Ohne diese beiden Spitzenleute wäre Schwarz-Grün nach der Bürgerschaftswahl 2008 nicht zustande gekommen, und ohne sie wäre der politische wie persönliche Umgang in der Koalition auch nicht bis heute so ungewöhnlich friedlich und nahezu freundschaftlich. Denn es ist nicht einfach der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Partei der Bürgerlichen und die Partei ihrer gut verdienenden Akademikerenkel geeinigt haben.

CDU-Finanzsenator Freytag ist der Loser

Die grüne Bau- und Umweltsenatorin plant Autobahnen und Straßen, aber auch Stadtbahn, Shared Space und Umweltzone, und der grüne Justizsenator nimmt auf seinem Weg zu einem humanen Strafvollzug sämtliche Verschärfungen seiner CDU-Vorgänger zurück. In den Unions-geführten Ressorts Soziales, Kultur oder Wissenschaft geschieht - abgesehen vom Finanzdesaster Elbphilharmonie, mit dem Schwarz-Grün zu kämpfen, dessen Ursachen aber der alte CDU-Senat zu verantworten hat - kaum etwas, was die Stimmung dämpfen könnte.

Auch die CDU-Wirtschaftsbehörde sendet friedliche Signale aus, sofern an den Planungen zur Ausbaggerung der Elbe nicht gerüttelt wird, und selbst die gelegentlichen Scharmützel zwischen der ordnungspolitisch fixierten CDU-Innenbehörde und bürgerrechtsbewegten Grünen konnten bislang die Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung nicht tief greifend belasten.

Lediglich die marode HSH Nordbank belastet die Gemütlichkeit nachdrücklich. Finanzsenator und CDU-Parteichef Michael Freytag ist bisher der einzige offensichtliche Loser in der Koalition. Wenn ihm im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Fehlverhalten oder gar Täuschung nachgewiesen werden können, wird Freytag hart fallen - oder fallen gelassen, um das Bündnis zu retten.

Denn dessen Fortbestand und Erfolg steht über allem. Ein Scheitern von Schwarz-Grün am Volksentscheid über die Schulreform würde für längere Zeit und über Hamburg hinaus zwei Optionen zumindest unwahrscheinlicher machen: ein zweites CDU-Grün-Experiment in einem anderen Bundesland und die gesellschaftliche Akzeptanz für das längere gemeinsame Lernen.

Sollte beim Volksentscheid jedoch die Primarschulrefom obsiegen, könnte Schwarz-Grün erst mal wie geplant weiter regieren. Ob die Gemeinsamkeiten dann für eine Neuauflage nach der turnusgemäßen Neuwahl Februar 2012 reichen ist offen. Und offen ist auch, ob nicht aus der unterlegenen Volksinitiative eine neue Ein-Punkt-Partei entsteht, die im CDU- und FDP-Klientel wildern dürfte: Statt, Schill, Scheuerl - der Reihe bürgerlicher Protestparteien in Hamburg droht die Fortsetzung.

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