Schulz bei SPD-Parteitag wiedergewählt: Verzagtes „Ja“ zur Groko
Für Martin Schulz ist das Desaster abgewendet: Er bleibt SPD-Parteichef und soll „ergebnisoffen“ über eine Große Koalition verhandeln.
So ist es nicht. Knapp 82 Prozent haben Martin Schulz wiedergewählt. Kein gutes Ergebnis. Aber es ist auch nicht das Desaster, das ihm hätte blühen können. Denn er hat die SPD in einem schwindelerregenden Zickzackkurs erst auf Anti-Groko Kurs gebracht, sie dort noch fixiert als absehbar war, dass diese Linie unhaltbar wird – und dann in Windeseile Gespräche mit Merkel und Seehofer durchgesetzt. All das nach einer schlimmen Wahlniederlage.
Rückblende: Mittags hatte Martin Schulz in der ästhetisch kühlen City Cube Halle in Berlin eine Stunde lang den neuen Kurs verteidigt. Man will mit der Union reden, auch über eine Groko, aber „ergebnisoffen“. Schulz streichelt immer wieder die wund geriebene Seele der Sozialdemokratie. Jünger, weiblicher und vielfältiger müsse die Partei werden, verspricht er erneut. Er beschwört die Rettung von Natur und Klima und gibt sich als Feminist und Anhänger der #MeToo-Kampagne.
Die EU soll bis 2025 zu einer eng verwobenen Föderation werden. Die Idee wirkt kühn, lehnt sich aber an eine alte Idee von Wolfgang Schäuble aus den 90er Jahren an: Demnach müsse sich Kerneuropa rund um Deutschland und Frankreich schneller und stärker verbinden als der Rand. CSU-Mann Alexander Dobrindt poltert trotzdem schon mal gegen den „Europaradikalen“ Schulz – ein kleiner Vorgeschmack auf den Stil möglicher Koalitionsverhandlungen.
„Ergebnisoffen“ als Fetisch
Die SPD, fordert Schulz, müsse sich auf die alte Tugend besinnen, leidenschaftlich zu streiten. Weg von gespielter Geschlossenheit, weg vom Spin, weg von Taktiererei. Manchmal klingt Schulz fast wie ein deutscher Bernie Sanders. Doch obwohl die Rede so ziemlich alle Themen umfasst, ist das Echo bescheiden, der Applaus eher nett als euphorisch.
Die Vokabel „ergebnisoffen“ hat an diesem Nachmittag etwas von einem Fetisch. Alle, auch solche, die unbedingt eine Koalition wollen, müssen erstmal „ergebnisoffen“ sagen. Fünf Stunden reden die GenossInnen über das was ihnen auf der Seele liegt. Es ist scheinbar eine offene Schlacht, wie es weitergehen soll. Die Jusos, angeführt von ihrem neuen eloquenten Chef Kevin Kühnert, wollen die SPD auf ein Nein zur Groko festlegen.
Das ist die zentrale Frage: Würden die Jusos damit eine Mehrheit bekommen, wäre Schulz, der erst entschlossen die SPD in auf jeden Fall in der Opposition sah und sie jetzt wohl in die Regierung führen will, politisch tot. Kühnert, jung, cool, selbstbewusst und rhetorisch sicher, ist der heimliche Star des Parteitags und setzt sich als Schulz' Gegenspieler in Szene.
Das Gros der Redner ist unglücklich über die Aussicht, dass die SPD schon bald wieder über ein Bündnis mit Merkel verhandeln wird. Ein Genosse aus Leverkusen rechnet vor, dass die SPD, wenn es bei Wahlen so weitergeht wie bisher, 2029 unter fünf Prozent bekommen würde.
Die Tonlage der Debatte bleibt gedämpft. Es gibt 91 Wortmeldungen. Die Argumente sind naturgemäß nicht immer neu. Aber wie in therapeutischen Sitzungen geht es auch darum, etwas immer wieder auszusprechen, um es handhabbar zu machen. Der Frust sitzt tief, aber er hat etwas Diffuses. Und es gibt an diesem Donnerstag in Berlin keinen charismatischen Machtpolitiker, keinen Oskar Lafontaine und keinen Sigmar Gabriel, der diese Enttäuschung kanalisieren und bündeln würde.
Die Revolte ist abgesagt
Den Juso-Antrag, eine Groko auszuschließen, lehnen am Abend ungefähr vier Fünftel der Delegierten ab. Die Revolte ist abgesagt. Die SPD sendet ein Zeichen, ein leises, verzagtes „Ja“ zur Groko.
Jusochef Kevin Kühnert zeigt sich vor der Halle dennoch zufrieden. Man habe mit dem zusätzlichen Parteitag vor Beginn von Koalitionsverhandlungen „die formale Hürde für eine Groko höher gelegt“. Außerdem habe der Tag gezeigt, wie mies die Stimmung an Basis in Sachen Groko ist. Kühnerts Kampf geht weiter.
Den Ärger über Wahlniederlage und Chaoskurs bekommen am Ende des Tages die Vizevorsitzenden Ralf Stegner und Olaf Scholz ab. Beide erhalten nur um die 60 Prozent Ja-Stimmen.
Irgendwo muss die Wut hin.
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