Schulstart in der Pandemie: Wahlfach Impfen

In den ersten Bundesländern sind die Sommerferien zu Ende. Um gegen Corona gerüstet zu sein, wird nun auch an Schulen geimpft.

Ein Mann und ein Kind mit Mundschutz und Schultüte

Einschulung wird in der Pandemie zu einer noch ernsthafteren Sache Foto: Jens Büttner/dpa

Den Start in das neue Schuljahr hat sich Manuela Schwesig vermutlich anders vorgestellt. Wegen der Rei­se­rück­keh­re­r:in­nen hat ihre Landesregierung eine strenge Masken- und Testpflicht für die ersten beiden Schulwochen angeordnet. Seit Montag halten sich die 155.000 Schü­le­r:in­nen in Mecklenburg-Vorpommern auch daran.

Doch ausgerechnet bei einer Einschulungsfeier, an der die Ministerpräsidentin teilgenommen hat, wurden die Maßnahmen missachtet. Auf den Fotos, die Schwesigs Staatskanzlei verbreitet hat, drängen sich Erst­kläss­le­r:in­nen in zwei Reihen dicht nebeneinander, Masken tragen sie nicht. Seither muss Schwesigs SPD-Parteigenossin und Bildungsministerin Bettina Martin erklären, wie das passieren konnte.

Der laxe Umgang mit der Maskenpflicht bei einer Einschulungsfeier mag eine Petitesse sein – schließlich waren die Anwesenden negativ getestet. Die Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung im Land ärgert der Vorfall dennoch. „Wir müssen die Maßnahmen schließlich vor den Eltern rechtfertigen“, sagt Heike Walter. Auch wenn die Mehrheit die neuerliche Masken- oder Testpflicht mittrage, „das ist teilweise schon heftig, was wir uns anhören müssen“. Von der Einschulungsfeier mit Schwesig gehe deshalb ein ­vollkommen falsches Signal aus, befürchtet Heike Walter: „Wenn eine Ministerpräsidentin die ­eigenen Coronaregeln nicht ernst nimmt, wie kann ich dann von anderen verlangen, dass sie sich an Testpflicht oder Quarantäneregeln halten?“

Bundesländer gehen Schulstart unterschiedlich an

Schwesigs missglückter PR-Termin zeigt, wie angespannt das neue Schuljahr anläuft.

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Auch in Schleswig-Holstein und Hamburg begann diese Woche die Schule wieder, am Montag folgen Berlin und Brandenburg. Zwar stößt das Ziel der Bildungs­minister:innen, Kindern und Jugendlichen dieses Mal einen möglichst normalen Schulalltag zu bieten, auf breite Zustimmung. Wie Präsenzunterricht jedoch auch bei steigenden Infektionszahlen gut funktioniert, ist umstritten.

In Thüringen, wo der Unterricht im September startet, irritiert Bildungsminister Helmut Holter von der Linkspartei gerade mit der Idee, an Schulen künftig gar nicht mehr testen zu lassen.

Elternverbände in fast allen Landesteilen wiederum ärgern sich, dass nur Bayern oder Hamburg alle Klassenräume mit Luftfiltern ausstatten möchten. Hinzu kommt, dass die Schulträger genervt sind, weil die Wissenschaft bei der Wirksamkeit der Filtergeräte keine einheitliche Meinung vertritt – und sie im Falle einer Anschaffung selbst in die Tasche greifen müssen.

Po­li­ti­ke­r:in­nen aber reagieren zusehends ungehalten auf das Ausbleiben der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) für Jugendliche. Anfang der Woche hat der Konflikt seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht, als die Länder beschlossen, allen Kindern ab zwölf Jahren auch ohne Stiko-Empfehlung ein Impfangebot zu machen. Und kommende Woche droht eine neuerliche Debatte um bundesweit einheitliche Regeln: Am Dienstag beraten Bund und Länder unter anderem über die Frage, welche Rolle die Inzidenzzahlen künftig spielen sollen. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Britta Ernst, stellte am Donnerstag gegenüber der taz klar, dass die Inzidenzen aus ihrer Sicht eine andere Gewichtung bekommen sollten.

Aktuell sehen nur mehr wenige Länder wie Sachsen vor, Schulen ab einem bestimmten Inzidenzwert in den Wechselunterricht zu schicken. Die meisten Ministerien teilen auf taz-Anfrage mit, den Präsenzunterricht künftig nicht mehr (allein) von den Inzidenzwerten abhängig machen zu wollen. Auch die Impfquote oder die Auslastung der Intensivstationen sollen berücksichtigt werden.

Wo sich die Länder indes einig sind: Schulschließungen soll es höchstens noch auf lokaler Ebene geben.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) äußerte sich zum Schulstart am Mittwoch zuversichtlich, dass die Schulen in diesem Schuljahr gar nicht mehr schließen müssten. Die Schulen seien so gut auf die Pandemie vorbereitet wie nie, sagt Rabe im Interview mit der taz. Ausreichende Schnelltests, weitgehend durchgeimpfte Lehrerschaft, zunehmend viele mobile Luftfilter in den Klassenräumen. All das habe es vor einem Jahr nicht gegeben. Außerdem müssten Schulen nicht mehr geschlossen werden, um Eltern und Großeltern zu schützen. Vor allem aber aus pädagogischen Gründen dürften die Schulen dieses Jahr keinesfalls flächendeckend geschlossen werden. Ähnlich äußerte sich zum Schulstart auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU).

Bereits im Juni hatten sich die Bil­dungs­mi­nis­te­r und -ministerin­nen festgelegt, dass die Schulen nach den Sommerferien möglichst ohne Einschränkungen öffnen sollen. Mit vollen Klassen, Ganztagsbetreuung, Wahlfächern, Sportfesten und Klassenfahrten. Auch jetzt, da die Deltavariante das Infektionsgeschehen dominiert und Vi­ro­lo­g:in­nen eine vierte Welle kommen sehen, bleiben die Ministerien bei ihrem Kurs: Regelunterricht und bloß keine Schulschließungen. Die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen wissen aber auch, dass ihnen die stockende Impfkampagne einen Strich durch die Rechnung zu machen droht.

Aktuell sind rund 54 Prozent der Bür­ge­r:in­nen vollständig geimpft – zu wenig für die Herdenimmunität. Deshalb mehren sich zum Schulstart die Appelle der Politiker:in­nen an alle Erwachsenen, sich solidarisch mit den Jüngsten zu zeigen – und sich impfen zu lassen.

Mehrere Länder haben zudem angekündigt, mobile Impfteams an Schulen zu schicken. Besonders eilig damit hat es Mecklenburg-Vorpommern. Bereits in der kommenden Woche sollen die ersten Impf­ärz­t:in­nen ausrücken, zunächst für Schü­le­r:in­nen ab 16 Jahren.

Dass da was auf ihn zukommt, weiß Martin Plant erst seit wenigen Tagen. Plant ist Schulleiter der Jenaplanschule Rostock und Mitglied der Bildungsgewerkschaft GEW. Vergangene Woche erhielt er die Weisung der unteren Schulaufsichtsbehörde, die Impfbereitschaft der entsprechenden Schü­le­r:in­nen abzufragen. Drei Schultage hatte Plant dafür Zeit. Das Ergebnis: 13 der 76 Zehnt- bis Zwölftkläss­le­r:in­nen wollen sich impfen lassen. „Dazu kommen die, die sich bereits auf eigene Initiative haben impfen lassen.“ Plant schätzt, dass nach dem Einsatz der mobilen Impfteams über die Hälfte der über 16-Jährigen geimpft sein wird.

20 Prozezt der Jugendlichen sind einmal geimpft

Aktuell ist deutschlandweit mehr als je­de:r Fünfte zwischen 12 und 17 Jahren einmal geimpft. Allerdings fallen die regionalen Unterschiede laut Robert-Koch-Institut deutlich aus: In Sachsen und Sachsen-Anhalt haben knapp 12 Prozent der Jugendlichen dieses Alters, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein schon fast 30 Prozent eine Impfung.

In Mecklenburg-Vorpommern liegt die Quote bei unter 14 Prozent. Schulleiter Plant begrüßt deshalb, dass die Landesregierung ein Impfangebot an Schulen machen will. Wichtig ist ihm aber: Weder die Politik noch die Schule sollten Schüler und Schülerinnen oder Eltern dazu drängen, sich impfen zu lassen. An seiner Schule sei es ein hohes Gut, Kinder und Jugendliche zu eigenverantwortlichen Menschen zu erziehen. „Dann aber müssen wir deren Entscheidungen auch respektieren.“ Dass Bildungsministerin Martin bei den 12- bis 16-Jährigen noch die Entscheidung der Stiko abwarte, findet er aber richtig.

Geimpft wird auch in Schulen

Anders Schleswig-Holstein. Dort soll ab dem 19. August allen interessierten Schü­le­r:in­nen ab zwölf Jahren ein Impfangebot gemacht werden. 250 Schulen stellen Räume zur Verfügung; die Impfungen organisiert die Kassenärztliche Vereinigung. Auch in anderen Bundesländern wird über solche Angebote nachgedacht.

Die Impfungen werfen jedoch neue Fragen auf. Wie etwa behandeln die Schulen doppelt, einfach und nicht Geimpfte im Quarantänefall? Die Impfungen sind zudem nicht unumstritten. Selbst die Stiko verweist auf die geringe Wahrscheinlichkeit für Jugendliche, schwer an Covid-19 zu erkranken.

Der Infektiologe Emil Reisinger von der Universität Rostock hält eine hohe Impfquote bei Kindern derzeit für nicht zwingend erforderlich, um Schulen geöffnet zu halten. Seit März 2020 berät Reisinger die Landesregierung von Ministerpräsidentin Schwesig zum Infektionsgeschehen. Seine Studien belegen, dass ein Großteil der Coronafälle an Schulen des Landes Einzelfälle waren, die also von außen eingeschleppt wurden. „Deshalb ist es wichtig, vor allem Erwachsene im Umfeld der Schule durchzuimpfen“, sagt Reisinger der taz.

Nach seinen Modellrechnungen könnte die Inzidenz in Deutschland wegen der Deltavariante ähnlich wie in England auf aktuell 260 steigen. „Für den Schulunterricht ist das derzeit aber kein Problem“, sagt Reisinger. Denn anders als im vergangenen Schuljahr landet bei einer Impfquote von 60 Prozent nur mehr ein Bruchteil der ursprünglichen Beatmungsfälle auf der Intensivstation.

Und Long Covid? Tritt bei Kindern nicht so häufig auf, wie zum Teil behauptet wird, sagt Reisinger. Wer ihm zuhört, bekommt das Gefühl, dass eine vierte Welle den Schulbetrieb nicht hemmen wird.

Schulleiter Plant ist da nicht so sicher. „Ich wünsche es mir natürlich.“ Aber die Pandemie habe ihn eines Besseren belehrt. Seine Hoffnung, dass die Schulen nur im Notfall schließen, wurde schon einmal enttäuscht.

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