Schule unter Corona-Bedingungen: Die Rotznasen-Frage
EIne Mutter, die ihren erkälteten Sohn auf Corona testen lassen will, wird vom Kinderarzt weggeschickt. Die Schule verlangte einen negativen Test.
Hamburg hat den Schulstart trotz Pandemie hinter sich. Für die Reiserückkehrer gab es am Flughafen und bei den Notdiensten in Farmsen und Altona kostenlose Tests. Die Schulbehörde teilte am Dienstag mit, es hätten sich 21 Schüler und drei Lehrer in den Ferien infiziert. Fast alle waren Dank der Tests gar nicht erst im Unterricht erschienen, nur in einer Klasse fiel der aus. Im Lauf der Woche kamen noch Fälle dazu. Doch offenbar gibt es Unklarheit, was mit Kindern passiert, die in der Schulzeit erkranken.
Wie bei Jonas. Nach drei Tagen war das Fieber zwar weg, „aber er schnieft noch, hört sich kratzig an und hustet“, berichtet Beate Schneider. Bis dieser Husten ganz abklingt, schätzt sie, wird es zwei Wochen dauern. Und dass ihr Sohn gleich zum Schulstart so viel Stoff verpasst, ist der berufstätigen Mutter nicht geheuer.
„Ich war Mittwoch mit Jonas bei Kinderarzt. Der weigerte sich, den Test zu machen“, sagt Schneider. „Er sagte, es wäre ein,banaler Infekt', da macht er keinen Abstrich.“ Schon am Empfang hieß es, ob getestet werde, entscheide der Arzt. Die Mutter rief dann eine Hausärztin an und hörte, dass dort ein Test 90 Euro koste.
Wer soll testen?
Beate Schneider, die wie ihr Sohn anders heißt, aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sah sich in der Zwickmühle. Zwar schrieb die Schule auf ihre Nachricht, dass der Sohn laut Kinderarzt zur Schule könne, das sei in Ordnung. „Aber ich möchte nicht Sündenbock sein, wenn es doch Corona ist und die Schule schließt“, sagt Schneider.
Dass ein Kind bei Coronaverdacht den Negativtest braucht oder zwei Tage symptomfrei sein muss, findet sich in der „Anlage 7“ eines Briefs, den Schulsenator Ties Rabe (SPD) Ende Juli an die Schulen schickte. „Die Schulbehörde hat, wenn sie Schulen öffnet, die Pflicht, Testkapazitäten zu organisieren“, findet Lars Reissmann, Elternsprecher am Struensee-Gymnasium auf St. Pauli.
Es könne nicht sein, dass die Stadt Reiserückkehrer kostenlos testen lasse, nicht aber kranke Schüler. „Und dass so ein Test 90 Euro kosten soll, geht gar nicht. Dann machen viele Eltern das nicht“, kritisiert Reissmann.
Die Schulbehörde hat zwar mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) vereinbart, dass sich Lehrer und andere Beschäftigte bis zu den Herbstferien dreimal kostenlos auf Covid-19 testen lassen können. Gefragt, was Eltern von kranken Kindern tun sollen, erklärt Sprecher Peter Albrecht, diese wendeten sich im Verdachtsfall telefonisch an den Haus- oder Kinderarzt, der weitere Schritte festlege, „insbesondere, ob eine Coronatestung und oder Quarantäne notwendig ist“. Die Frage, was Tests kosten und ob Eltern dafür zahlen müssen, beantworteten Schul- und Gesundheitsbehörde nicht.
Auskunft gab indes die Kassenärztliche Vereinigung. Eltern hätten nicht generell Anspruch auf Testung ihrer Kinder, sagt Sprecher Jochen Kriens, „bei Kindern mit Erkältungssymptomen aber schon“. Für Patienten mit Symptomen, die gesetzlich versichert sind, seien sie auch kostenfrei.
Die Ärzte entscheiden
Sollten Tests in einer Arztpraxis durchgeführt werden, empfehle es sich, „vorher dort anzurufen und das weitere Vorgehen zu besprechen“, rät Kriens. Teste der Arzt nicht, könnten Eltern unter 116 117 beim Arztruf Hamburg anrufen und den Test durch den fahrenden Notdienst machen lassen. Allerdings berichtete der NDR, dass dort am Sonntag und Montag 4.000 Menschen am Tag anriefen – viel mehr als sonst.
Annette Lingenauber, Berufsverband der Kinderärzte
Annette Lingenauber, Sprecherin des Landesberufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, sagt: „Die Durchführung eines Tests ist immer eine ärztliche Entscheidung. Die treffen nicht Lehrer oder Schüler.“ Sie verstehe die Verunsicherung, aber Ärzte seien weniger ängstlich als Lehrer und Erzieher.Die Ärztin verweist auf den Leitfaden der Sozialbehörde zum Umgang mit Erkältungssymptomen in den Kitas. „Kinder nur mit Schnupfen dürfen die Kita weiter besuchen. Mit Husten und Fieber sollten sie zu Hause bleiben“, sagt Lingenauber.
Dass Kinder symptomfrei sein sollen, bevor sie wieder in die Institutionen dürfen, sei schon immer so. Bei Husten sei es jedoch nötig abzuklären, ob der chronisch ist wie bei einem Asthma. Dann sei Husten allein kein Grund, das Kind zu Hause zu lassen. Allerdings warnt Lingenauber: „Ein Husten kann nach Abklingen des Fiebers noch zwei bis vier Wochen bleiben. Da sollte man schon früher einen Test machen, um den Kita-Besuch zu ermöglichen“.
Lars Reissmann kritisiert, es fehlten auf der Homepage der Behörde Hinweise auf kostenlose Tests für Schüler. „Und es bleibt so schwammig, was heißt denn eigentlich symptomfrei?“, sagt Schneider. Es sei ungut, „wenn Ärzte Eltern Hürden aufbauen“.
Beate Schneider ließ Jonas noch einen Tag zu Hause.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen