Schulden-Trick des Finanzministers: Lindners geboosterte Finanzen
60 Milliarden Euro Schulden sind aus dem Coronapaket übrig. Der Finanzminister will das Geld fürs Klima ausgeben – ein waghalsiges Verfahren.
C hristian Lindners Karriere als Bundesfinanzminister beginnt mit einem Trick. 60 Milliarden Euro Schulden, die 2021 nicht gebraucht werden, verschiebt der FDP-Politiker als Finanzpolster in die nächsten Jahre. So hat es das Ampelkabinett am Montag beschlossen. Und mit den Stimmen von Sozialdemokraten, Grünen und FDP wird der Bundestag den Vorschlag wohl auch annehmen. Trotzdem ist das Verfahren waghalsig.
Denn die Verschuldung auf Vorrat könnte vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Die Zweifel liegen nahe: Ist es mit der Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbar, Kredite aufzunehmen, die im laufenden Jahr gar nicht benötigt werden? Denn es geht dabei ja offensichtlich nicht mehr um die Bewältigung einer akuten Krise, für die die Schuldenbremse ausnahmsweise gelöst werden darf.
Natürlich sei das der Fall, argumentiert dagegen die neue Koalition. Das Polster stehe durchaus im Zusammenhang mit der Coronakrise. Schließlich diene es dazu, Investitionen der Wirtschaft auszulösen und nachzuholen, die dieses Jahr wegen der Pandemie nicht stattgefunden haben. Einerseits ist das ein nachvollziehbarer Punkt, denn tatsächlich liegen die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen inflationsbereinigt unter dem Niveau von 2019.
Andererseits: Das Geld soll in den Klimafonds des Bundeshaushalts fließen. Was aber hat Klimaschutz mit Corona zu tun? Da sagt die Regierung: Die Klima-Investitionen leisteten ebenfalls einen Beitrag, dass Deutschland aus der Gesundheitskrise herauskomme – ein „Booster“ für die Erholung der Konjunktur, wie Lindner erklärte. Das Bundesverfassungsgericht könnten Zweifel an dieser recht fantasievollen Begründung beschleichen. Lindner jetzt als Wendehals zu diskreditieren, wäre jedoch falsch.
Es handelt sich um einen klassischen Kompromiss dreier Parteien, von denen zwei – SPD und Grüne – viel mehr Geld ausgeben und dafür die Steuern für große Einkommen und Vermögen anheben wollten, während die dritte – die FDP – höhere Steuern ablehnte. Dass der Finanzminister das 60-Milliarden-Euro-Kunststück mit ungewissem Ausgang nun aufführen muss, ist der Preis für seine Weigerung, die Mittel anderweitig zu beschaffen. Unterm Strich ist die Verschuldung auf Vorrat eine akzeptable Lösung.
Irgendwo muss das Geld für die digitale Modernisierung und den Klimaschutz schließlich herkommen. Bei dem 60-Milliarden-Trick wird es auch nicht bleiben. Die Koalition hat sich weitere innovative Verfahren zur Geldbeschaffung ausgedacht. Beispielsweise sollen Unternehmen und Institutionen in Staatsbesitz, etwa die Bahn AG und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, später die Kredite aufnehmen, die der Bundesregierung verwehrt bleiben.
Auch das könnte vor Gericht landen. Mit etwas Glück ist das Geld dann aber schon ausgegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland