Schuldebatte in Baden-Württemberg: Virusmutation legt Schulstart lahm
23 Corona-Infektionen, darunter zwei mit Mutante, bringen die Schulöffnungspläne in Baden-Württemberg durcheinander.
Noch sei unklar, um welche Mutation es sich handle, sagte Regierungssprecher Rudi Hoogvliet. Seit Dezember wurden in Baden-Württemberg sowohl die Mutation aus Großbritannien (B.1.1.7) als auch die aus Südafrika (B.1.351) festgestellt. An der Freiburger Kita gebe es zudem 21 weitere Infektionen, die möglicherweise auf eine Mutation zurückgehen.
Fakt ist: Die Absage der geplanten Schulöffnung – ab Montag sollten alle Grundschulkinder bei geteilten Klassen wieder Präsenzunterricht erhalten – dürfte den Streit über den richtigen Umgang mit den Schulen im Ländle und darüber hinaus weiter befeuern.
Wie emotional derzeit über die Schulöffnungen debattiert wird, zeigte der Auftritt von Kretschmann am Dienstagabend bei Markus Lanz. Mit sich überschlagender Stimme hatte er die Entscheidung, Schulen und Kitas zu öffnen, verteidigt. Baden-Württemberg habe seit Dezember strenge Regeln, darunter eine abendliche Ausgangssperre. Da sei es verantwortbar, die Lockdown-Regeln für Kinder unter 10 Jahren zu lockern. Allerdings hatte Kretschmann in der Sendung auch gesagt, falls die Mutation sich in größerem Ausmaß ausbreite, wäre das eine neue Lage. Ob das Bundesland nun Kitas und Schulen zulässt, beantwortete die Landesregierung bis Redaktionsschluss nicht.
Kretschmanns Timing kam nicht gut an
Schon vergangene Woche hatte Kretschmann angekündigt, Kitas und Grundschulen ab 1. Februar öffnen zu wollen, und damit eine Kontroverse ausgelöst. Vor allem das Timing des Grünen kam nicht überall gut an. Gerade hatten sich Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsident:innen der Länder nach stundenlangem Ringen darauf geeinigt, Kitas und Schulen „grundsätzlich“ bis 14. Februar geschlossen zu halten. Gegen verbindliche, bundesweit geltende Regeln – etwa in Bezug auf das Infektionsgeschehen – hatten sich die Länder aber strikt gewehrt.
Tatsächlich lässt der Bund-Länder-Beschluss den Kultusminister:innen freie Hand. So sind etwa in Niedersachsen und Bremen, wo die Infektionszahlen am niedrigsten sind, Kitas und Schulen bereits geöffnet. Baden-Württemberg hat aktuell mit etwa 90 Infektionen pro 100.000 Einwohner:innen in den letzten 7 Tagen den drittbesten Wert. „Ich finde es richtig, wenn die Länder die Spielräume, die ihnen die Beschlüsse bieten, unterschiedlich nutzen“, verteidigte Kultusministerkonferenz-Präsidentin Britta Ernst am Montag das uneinheitliche Vorgehen.
Bei entsprechender Infektionslage seien Öffnungen ab Februar möglich, so Ernst. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hingegen warnte vor einer zu schnellen Öffnung. Ähnlich fordert die bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, Birke Bull-Bischoff, gegenüber der taz, dass sich die Entscheidung „einzig und allein an Infektionswerten orientieren“ dürfe.
Auch in Kretschmanns Partei gibt es sehr unterschiedliche Meinungen: Grünen-Chefin Annalena Baerbock bezeichnete die Schulöffnungspläne im Südwesten am Mittwoch als „absolut richtig“. Sie begrüße die „klare Fokussierung“ auf die Grundschulen, die dabei Priorität haben müssten. Baerbock forderte aber auch, parallel zu anderen Sicherheitsmaßnahmen wie geteilten Klassen ausreichend Schnelltests für Lehrer:innen und Schüler:innen bereitzustellen.
Trittin hält nichts von baldiger Schulöffnung
Weniger Verständnis zeigte Grünen-Urgestein Jürgen Trittin. Mit Blick auf Baden-Württemberg ätzte er schon vergangene Woche auf Twitter: „Die Propagandisten einer baldigen Schulöffnung müssen nur eine Frage beantworten: Wie viele Tausend Tote sind ihnen die Vermeidung später behebbarer Lerndefizite wert?“
Die Kritik zielte vor allem auf Kretschmanns Kultusministerin Susanne Eisenmann. Die CDU-Spitzenkandidatin für die anstehende Landtagswahl im März hatte sich früh für eine Öffnung von Schulen und Kitas nach den Weihnachtsferien ausgesprochen, und zwar „unabhängig von den Inzidenzzahlen“.
Anfang Januar hatte sie erneut deren Öffnung gefordert. Kretschmann widersprach damals: Keine Maßnahme solle unabhängig von den Inzidenzzahlen erfolgen. Er setze auf ein gemeinsames Vorgehen aller Ministerpräsident:innen, was ihm als Wahlkampfmanöver ausgelegt wurde. Bekanntermaßen scherte Kretschmann dann selbst aus.
Unklar ist bislang, wie ansteckend Kinder tatsächlich sind. Kretschmann stützt sich auf eine Studie der Universitätskliniken Ulm, Tübingen und Freiburg. Demnach seien Kinder seltener infektiös als ihre Eltern. Der Virologe Christian Drosten hatte diese Erkenntnisse immer wieder angezweifelt. Aus seiner Sicht gebe es keinen Grund für die Annahme, dass kleine Kinder weniger ansteckend seien.
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