piwik no script img

Schüsse auf Zeugen Jehovas in HamburgDie Täterwaffe und viele Fragen

Schon vor den Schüssen auf Zeugen Jehovas in Hamburg war der Täter auffällig, durfte seine Pistole aber behalten. Nun entbrennt eine Waffenrechtsdebatte.

Nach der Gewalttat bleibt die Trauer: Abgelegte Kerzen und Blumen am Tatort Foto: Daniel Bockwoldt, dpa

Hamburg/Berlin taz | In Hamburg herrscht auch am Wochenende Trauer nach den tödlichen Schüssen auf sieben Zeugen Jehovas in einer lokalen Gemeinde – und die Suche nach dem Motiv. Man sei „zutiefst bestürzt über den unvorstellbaren Akt der Gewalt und des Hasses“, teilte ein Sprecher der Zeugen Jehovas mit. „Die Motive für dieses entsetzliche Verbrechen sind uns nicht bekannt.“ Auch die Polizei ermittelte weiter zu dem Fall.

Klar ist, dass der Attentäter, der 35-jährige Philipp F., einst selbst zu den Zeugen Jehovas gehörte. Laut Polizei hatte er diese aber vor anderthalb Jahren verlassen, „nicht im Guten“. Die Zeugen Jehovas sprechen dagegen davon, F. habe „freiwillig“ die Gemeinde verlassen.

Seit Dezember war er dann Waffenbesitzer, führte als Sportschütze legal eine halbautomatische Heckler&Koch-Pistole – die spätere Tatwaffe. Noch im Januar hatte ein anonymer Hinweisgeber die Waffenbehörde um eine Überprüfung von F. gebeten, da dieser psychisch krank sei und eine besondere Wut auf die Zeugen Jehovas und seinen früheren Arbeitgeber habe. Die Waffenbehörde kontrollierte daraufhin den 35-Jährigen am 7. Februar – hatte aber außer einer herumliegenden Patrone nichts zu beanstanden. Ein Monat später erfolgte die Amoktat, an deren Ende F. auch sich selbst erschoss.

Man werde den Vorgang nun noch einmal prüfen, erklärte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Tatsächlich muss sich die Polizei nun Fragen stellen lassen. Zwar war Philipp F. strafrechtlich bisher nicht auffällig, seine Website, ein Buch von ihm und von ihm gestellte Anzeigen bestärkten aber den Verdacht einer psychischen Erkrankung.

Ein eigenes Buch mit wirren Gedanken

So bewarb sich der 35-Jährige auf seiner Homepage als angeblich erfolgreicher Unternehmensberater – indes ohne Referenzen, mit religiösen Glaubensbekenntnissen und einem irrwitzigen „Mindesttageshonorar von 250.000 Euro“. Zudem berichtet F. dort von mehreren Anzeigen, die er gegen frühere Arbeitgeber wegen „Finanzbetrugs“ eingereicht habe. Auf seiner Webseite erklärte er, er ermittle dazu „pro bono“.

Zudem veröffentlichte F. im Dezember ein Buch, in dem er auf 300 Seiten über „Gott, Jesus und Satan“ sinniert. Im Vorwort erklärt er, er selbst sei die vergangenen drei Jahre „durch die Hölle gegangen“ – ohne dies weiter auszuführen. Gewidmet sei das Buch einer „besonderen Dame“, die er ebenfalls nicht namentlich benennt. Er sei „der Erste“, der die Geheimnisse von Jesus Christus lüften könne, prahlt er stattdessen. Männer nennt F. die Krönung der Schöpfung, geißelt Prostitution und äußert Verständnis für Russlands Angriff auf die Ukraine. Manches an dem Buch wirkt wie ein Vermächtnis, einem Tatmanifest gleich.

Das alles machte die Waffenbehörde nicht stutzig? Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unterstrich inzwischen jedenfalls die Notwendigkeit ihres bereits zu Jahresbeginns vorgelegten Gesetzentwurfs, mit dem das Waffenrecht verschärft werden soll – den bisher aber die FDP blockiert. Die „furchtbare Tat“ von Hamburg habe „mal wieder gezeigt, wie notwendig Änderungen sind“, sagte Faeser der ARD. Waffenbesitzende müssten auf psychische Auffälligkeiten überprüft, Extremisten „aussortiert“ und Kontrollen verstärkt werden. Ämter sollten sich besser vernetzen.

Faeser pocht auf Waffenrechtsverschärfung

Tatsächlich enthält Faesers Gesetzentwurf gleich mehrere Verschärfungen: Ämter sollen sich künftig regelmäßiger über Erkenntnisse über Waffenbesitzende austauschen, auch über psychische Auffälligkeiten. Waffenbehörden sollen nun auch die Polizeidienststellen und Gesundheitsämter der Wohnsitze aus den vergangenen fünf Jahre abfragen – und Erstantragstellende ein psychologisches Zeugnis vorlegen. Das gilt bisher nur für Unter-25-Jährige. Zudem will Faeser „kriegswaffenähnliche halbautomatische Feuerwaffen“ verbieten.

Die Tatpistole von Philipp F. würde indes nicht darunter fallen. Allerdings hatte er weit mehr Munition besessen, als erlaubt: Bei der Tat feuerte er 135 Schüsse ab, in seiner Wohnung fanden Ermittler weitere 425 Patronen. Faeser kündigte an, sie wolle ihren Gesetzentwurf auf „Lücken“ prüfen.

Auch Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) hatte nach der Tat auf Faesers Gesetzesplan hingewiesen, der „nicht ohne Grund“ vorgelegt worden sei. Unterstützung kommt auch von den Grünen. „Das Verbrechen in Hamburg verdeutlicht auf grausame Art das große Sicherheitsrisiko, das von Schusswaffen ausgeht“, sagte ihr Innenexperte Marcel Emmerich der taz. „Es ist klar, dass weniger private Waffen für die öffentliche Sicherheit besser sind als mehr.“ Die Waffenrechtsreform müsse die Eignung und Zuverlässigkeit von Waffenbesitzenden besonders in den Blick nehmen und dürfe „nicht auf die lange Bank geschoben“ werden.

Auch die Gewerkschaft der Polizei unterstützt eine Gesetzesverschärfung. In den Behörden müsse zudem Personal verstärkt werden. Auch sei die private Aufbewahrung von Sportwaffen zu prüfen.

Die FDP blockiert das Gesetzesvorhaben

Das Problem: Justizminister Marco Buschmann (FDP) und seine Partei blockieren das Gesetz von Beginn an. Die deutschen Waffengesetze seien bereits streng und müssten nur besser durchgesetzt werden, betont die FDP unentwegt. Wenn aber schon geltendes Recht nicht angewandt werde, sei es zwecklos über Verschärfungen zu sprechen. Bis heute fehle eine Evaluation des Waffenrechts, welche die Ampel vereinbart habe. Und auch die deutschen Schützen- und Jagdverbände laufen Sturm gegen Faesers Plan.

Der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle sagte am Sonntag der taz, die Kritik seiner Partei an dem Gesetzentwurf habe Bestand. Vor übereilten Forderungen müsse der Hamburger Fall erstmal aufgearbeitet werden. Grundsätzlich bräuchten Waffenbehörden aber eine bessere Ausstattung. Ein Sprecher Buschmanns wollte sich nicht weiter äußern. Es laufe „weiterhin die Ressortabstimmung“, erklärte er nur. Faeser erklärte dagegen, sie sei zuversichtlich, dass es eine Einigung geben werde.

Der Grüne Emmerich gibt der FDP zumindest in einem Punkt recht: Im Fall Philipp F. stelle sich tatsächlich die Frage, wie konsequent die Behörden auch mit den bisherigen Möglichkeiten den 35-Jährigen überprüften. „Womöglich hätte eine intensive Internetrecherche gereicht, um an Informationen zu kommen, die einen Waffenentzug ermöglicht hätten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Immer wieder erschreckend zu sehen, wie Journalisten einen schlechten Artikel verfassen können.



    Wenn er wirklich eine Patrone unverschlossen liegen gelassen hatte, wäre die Zuverlässigkeit sofort dahin. Die Beamten hätten somit sofort handeln hätten sollen und die Waffe wäre einzuziehen. Hätten die Beamten nur 10 Minuten in ihrer Recherche investiert, so hätten sie bestimmt zumindest den kruden Internetauftritt des Täters bemerkt.

    Ich wüsste auch gerne, welche Waffe von HK nicht halbautomatisch ist. Ansonsten ist die ständige Angabe der schlimmen Halbautomaten in jeden Artikel in meinen Augen populistisch.



    Des Weiteren gibt es keine Obergrenze für Munition! Auf Grund des Preises macht es sogar Sinn, eine größere Menge mit einmal zu erwerben. Mengenrabatte greifen erst ab 40 Packungen oder aufwärts.

  • Nun wird allgemein darüber lammentiert, dass man die Tat hätte erkennen und verhindern müssen bevor sie begangen wurde, wirklich konkrete Belege dafür, dass dies wirklich hätte möglich sein können gibt es nicht. Da wird etwa die Veröffentlichung eines religiösen Pamphelets als Hinweis auf psychiatrische Auffälligkeit gewertet, aber sind Einlassungeen über Gott und Satan tatäschlich psychologisch bedenklicher als der Glaube an Auferstehung von den Toten, an Wiedergeburt oder an das Spaghettimonster? Zumal die Lebenszeitprävelenz psychiatrischer Erkrankungen je nach Erhebung bei zwischen etwa 30-45% liegt und damit als wesentliche Kategorie der Prävention ausfällt, da eben nicht mal annähernd ein Drittel der Bevölkerung Amokläufe begeht. Wer eine freie Gesellschaft will wird damit leben müssen, dass Menschen auch zu schrecklichsten Taten bereit und fähig sind, wer nach jedem schrecklichen Verbrechen nach Precrime ruft sollte das aber mit dem Wissen tun, dass diese Forderung selbst um den Preis totalitärer Sicherheitsstrukturen, gläserner Bürger sowie präventiver Sanktionierung von 'Gefährdern' ohne konkrete Straffälligkeit nur teilweise zu erreichen ist.

  • diese schreckliche bluttat ...

    hat die jehovas zeugen unweigerlich wieder in das bewußtsein gerückt.

    und die ermittlungen, soweit diese überhaupt von innen heraus unterstützt werden, könnten die fronten offenlegen, die in den strukturen der jehovas zeugen angelegt sind und womöglich dieser unfaßbaren tat vorschub geleistet haben.

    • @adagiobarber:

      Das dachte ich auch sofort!

  • Man wird solche Typen nie fassen können, weil niemand in die Köpfe gucken kann. Wie man lesen kann, war der nicht durch Gewalt oder Drohungen aufgefallen, hat seine Waffe gut verwahrt und machte keinen verwirrten Eindruck. Es ist schon schwer genug knackige mentale Störungen richtig zu diagnostizieren, wie soll man dann solche Typen treffen, ohne Unschuldige zu verdächtigen (falsch-positive Einordnung)?



    Wenn man das jetzige Recht durchsetzt, reicht das schon. 100% Sicherheit geht nur in einer Diktatur bei 100% Überwachung. Gerne die Zahl der Waffen reduzieren, denn die wenigsten Sportschützen machen das als Sport. Das sind einfach Hansel, die gerne ballern und nicht solche, die das als Sport betreiben. Da kann man die Schraube noch etwas anziehen.

  • Mir ist ein Rätsel, warum Sportschützen ihre Waffen und die Munition zuhause verwahren dürfen !



    - Warum werden diese nicht grundsätzlich am Schießstand verwahrt ?

    Warum kann ein Amokläufer 30 Magazine kaufen, ohne dass dies der Waffenerlaubnisbehörde zur Kenntnis gelangt ??



    - Zum Schiesssport braucht man doch wohl kaum 30 15-Schuss-Magazine !?



    Solange die Waffenerlaubnisbehörde nicht komplette Einsicht in alle wafentechnischen Einkäufe eines Waffenbesitzers hat, sind die "Kontrollen" eine Farce !

    Wenn sich der Pulverdampf gelegt hat, wird es bis zum nächsten Amoklauf weiter gehen wie bisher !

    • @Gerald Stolten:

      Noch einfacher wäre es, Pistolen und Revolver komplett aus dem Verkehr zu ziehen.Schützenvereine können sich mit Luftpistolen begnügen und die edle Jägerschaft braucht gar keine. Wer Langwaffen mit sich herumschleppt, fällt sehr viel leichter auf als jemand, der (versteckt) eine Pistole bei sich hat.

      • @Perkele:

        Ich frage mich immer, warum in der Schweiz nicht solche Taten verübt werden. Dort hat ja fast jeder als Reservist ein Gewehr zu Hause.

        Jeder Jäger ohne Waffe für den Fangschuss geht ein Risiko ein. Und ich dächte auch der beliebte Sport



        Biathlon, wäre ohne Gewehr nur halb so spaßig.



        Man sollte nicht immer sich so sehr auf das böse Sportschießen fokussieren. Immerhin sind manche Disziplinen älter als so manche Kommentatoren hier!

        • @Pilatus333:

          Niemand kann einen wirklich stichhaltigen (!!) Grund nennen, warum halb/automatische Waffen für's Sportschießen unverzichtbar sind. Und bei der "beliebten" Biathlonsportart lässt sich mit Sicherheit eine Lösung finden. Wie wär's mit Luftgeweheren?

          • @Perkele:

            Wie ich bereits sagte und auch jeder wissen müsstest, der wie Sie, sich darüber unterhalten möchte: In Deutschland sind Automatische Waffen nicht erlaubt! Selbst wenn man die „bösen“ Pistolen jetzt so verteufelt, würden Revolver nicht darunter fallen. Mit einem DA-Revolver schafft man auch schon etwas…

            Sie können es ja mal versuchen und zeigen dann dem DSB wie man mit einem Luftgewehr dies anstellt.

      • @Perkele:

        Die edle Jägerschaft nutzt Pistolen für Fangschüsse. Sie haben also auch dort ihre Daseinsberechtigung.

  • 1. Die NZZ schreibt das die Kontrolleure ein Projektil bei ihm gefunden haben. Ein Projektil unterliegt nicht dem Waffenrecht, weils keine komplette Patrone ist sondern eben nur ein Teilstück. Dementsprechend gabs auch keine rechtlichen Konsequenzen. Bei einer herumliegenden Patrone wäre er seine Waffenbesitzerlaubnis los gewesen.

    2. Wer eine Munitionserwerbserlaubnis besitzt darf Munition erwerben, die in Punkto Menge weit über dem liegt, was der Täter zu Hause liegen hatte. 425 Schuss entsprechen 9 Packungen a 50 Schuss...und die werden von geübten Schützen je nach Disziplin an einem Trainingstag auf dem Schießstand verschossen. 425 Schuss hört sich nach viel an, ist es im Endeffekt aber nicht.

    3. Die private Aufbewahrung von Sportwaffen wurde bei dem Täter überprüft und war ohne Beanstandungen. Auf diesem Thema nun wieder rumzureiten und auf Verschärfungen zu pochen wird langsam langweilig. Das Ganze wurde ja auch erst verschäft.

    Summa summarum sind diese ganzen Faeser-Vorschläge reiner Populismus und Quatsch. Einfach die gegebenen Gesetze anwenden und fertig.

  • Jetzt überschlagen sich wieder alle möglichen Vorschläge wegen Waffenrecht. Die weiter unteren kommunalen Behörden zittern schon welche weitere Aufgaben auf sie zukommen könnten. Eine Methode der Bundespolitik ist es nunmal alles nach unten zu schieben damit man selbst nicht zur Verantwortung genommen werden kann.

  • Na klar, die FDP blockiert wie immer - im Namen der Freiheit? Natürlich muss man geltendes Recht durchsetzen und dazu braucht es Personal und das muss bezahlt werden und dazu braucht man ein Budget, gell FDP?? Doch auch inhaltlich ist es ohne jeden Zweifel geboten, den Schützenvereinen und der Jägerschaft (auch wenn das oft FDP Klientel ist) den Zugang zu halbautomatischen Waffen zu verweigern. Wozu braucht man die? Nach Ansicht der Führung der Kriminalpolizei um zu töten. Für's Scheibenschießen ganz sicher nicht und ein Reh hat m.W. bislang noch keinen der elitären Grünröcke bedroht.

    • @Perkele:

      Für die Jagd sind halbautomatische Langwaffen zugelassen, deren Magazin maximal zwei Patronen faßt. Damit besteht auch keine Berechtigung für Jäger, Halbautomaten mit mehr Schuß im Magazin zu erwerben. Also hat man maximal mit einer Patrone im Lauf insgesamt drei Schuß zu Verfügung, wie z.B. bei einem Drilling. In Bezug auf die Jagdwaffenbesitzer ist die Aussage von Frau Faeser Stuß, und es ist bedenklich, wenn eine Innenministerin nicht mal die ihren Bereich betreffenden Gesetze nicht kennt.

      • @Wurstfinger Joe:

        Ich glaube deine Erklärung ist wie Wasser auf den heißen Stein.



        Leider gibt es Leute, die wollen bei Themen mitsprechen, lassen aber Verständliches nicht zu