Schüsse auf Zeugen Jehovas in Hamburg: Offene Fragen nach den Schüssen

Nach den Schüssen auf Zeugen Jehovas in Hamburg wird über das Waffenrecht, mögliche Behördenfehler und die Einordnung der Tat gestritten.

Bestatter bringen eine abgedeckte Bahre zu ihrem Fahrzeug

Durch die Schüsse sind am Donnerstag mehrere Menschen in Hamburg getötet worden Foto: Markus Scholz/dpa

BERLIN/HAMBURG taz | Die tödlichen Schüsse auf Zeugen Jehovas in einer Hamburger Gemeinde befeuern weiter die Debatte um das Waffenrecht, um mögliche Behördenfehler und die Einordnung der Tat. SPD und Grüne stellten sich am Dienstag hinter Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die eine Verschärfung des Waffenrechts fordert. Die FDP jedoch bremst weiter.

„Niemand darf nach einer solchen Tat einfach zur Tagesordnung übergehen“, betonte Faeser nach der Gewalttat. Am Donnerstagabend hatte der 35-jährige Philipp F., ein früherer Zeuge Jehovas, sieben Gemeindemitglieder und sich selbst erschossen. „Wir wissen schon von früheren schweren Gewalttaten, dass wir striktere und regelmäßigere Überprüfungen brauchen“, so Faeser.

Die Innenministerin verwies auf ihren Gesetzentwurf für ein schärferes Waffenrecht, den sie bereits im Januar vorlegte. Darin enthalten ist eine allgemeine Pflicht zur Vorlage eines ärztlichen oder psychologischen Zeugnisses bei der erstmaligen Beantragung einer Waffenerlaubnis. Bisher gilt diese nur für unter 25-Jährige. Zudem sollen in den Austausch von Waffenbehörden, Polizei und Verfassungsschutz künftig auch die Gesundheitsämter einbezogen werden.

„Wir müssen sicherstellen, dass bei Anzeichen für eine Gefährlichkeit einer Person Waffenerlaubnisse gar nicht erst erteilt oder rechtzeitig entzogen werden“, forderte Faeser. Sie sprach von „verhältnismäßigen Lösungen“ und einem „wirksamen und ausgewogenen“ Gesetzentwurf. „Jetzt müssen wir zügig vorankommen.“

SPD und Grüne machen Druck, die FDP bremst

Der SPD-Innenexperte Dirk Wiese stellte sich am Dienstag hinter Faeser. Auch er forderte zu prüfen, ob Antragstellende für Waffenberechtigungen künftig generell ein psychologisches Gutachten zur Zuverlässigkeit vorlegen müssten – so wie es Faesers Gesetzentwurf vorsieht. Parallel müsste neben der Thematisierung von Vollzugsproblemen bei der Gesetzesanwendung auch der erleichterte Waffenentzug bei vorliegender Unzuverlässigkeit angegangen werden, sagte Wiese.

Auch die Grünen-Innenexpertin Lamya Kaddor forderte einen besseren anlassbezogenen Austausch von Waffenbehörden, Polizei und Gesundheitsämtern, unter einzuhaltendem Datenschutz. Sie plädiert ebenso für psychologische oder ärztliche Zeugnisse bei Erstantragstellenden für Waffen. Zudem müssten Kontrollen auch von Munition erfolgen und der private Waffenbesitz „auf lange Sicht reduziert“ werden. „Weniger Waffen bringen mehr Sicherheit“, so Kaddor zur taz. „Wer sie führen darf, muss bei klarem Verstand sein.“

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) unterstützte am Dienstag ebenso Faesers Gesetzesvorhaben. Der Angriff in Hamburg sei „nicht die erste Tat“, die eine Gesetzesverschärfung nötig mache. Auch für Grote wäre es „eine ganz entscheidende Änderung“, wenn bei Waffenantragstellungen ein ärztliches oder psychologisches Gutachten vorgelegt werden müsste.

Die FDP dagegen blockiert weiterhin eine Waffenrechtsverschärfung. „Die schreckliche Tat in Hamburg hat uns alle erschüttert“, sagte FDP-Innenexperte Manuel Höferlin der taz. Selbstverständlich stelle sich nun die Frage, warum die Waffenbehörde dem Täter seine Waffenerlaubnis nicht zuvor entzog. Hier brauche es vorerst aber eine „präzise Aufarbeitung der Hintergründe als Basis für Gespräche bezüglich des Waffenrechts“, so Höferlin. „In symbolpolitischen Forderungen ohne Sicherheitsgewinn sehen wir keinen Mehrwert.“

Die FDP lehnt Faesers Gesetzesvorhaben von Beginn an ab. Für sie ist eine Verschärfung überflüssig – das Gesetz müsse nur besser umgesetzt werden. In der Koalition soll sich Faeser zunehmend verärgert über die Blockade der Liberalen geäußert haben.

Kritik an der Waffenbehörde

Die Ermittlungen zu der Tat zog inzwischen die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg an sich. Laut Polizei befanden sich bis Dienstag noch sechs Zeugen Jehovas im Krankenhaus, eine Person davon in Lebensgefahr. Oberstaatsanwalt Arnold Keller sagte auf einer Pressekonferenz, die Ermittlungen zum Motiv dauerten weiter an. Es sei nicht ausgeschlossen, dass F. „aus Hass gegen diese Gemeinschaft gehandelt“ habe. Auch gebe es bisher keine weiteren Beschuldigten oder Hinweise, dass der Tatplan im Vorfeld „auch nur ansatzweise“ absehbar war.

Laut Hamburgs Staatsschutz-Vizechef Uwe Stockmann wurde bisher eine hohe zweistellige Zahl an Zeugen vernommen. Zu dem Täter gebe es bisher „ein differenziertes Bild“, das „psychische Auffälligkeiten“ aufweise.

Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer stellte sich vor die Waffenbehörde, die Philipp F. im Dezember eine Waffenerlaubnis erteilt hatte. Nach einem anonymen Hinweis im Januar, dass der 35-Jährige womöglich psychisch krank sei und eine „besondere Wut“ auf die Zeugen Jehovas habe, hatte die Behörde einen unangekündigten Besuch bei F. vorgenommen – außer einer herumliegenden Patrone aber nichts zu beanstanden. Außer einer Rüge seien die rechtlichen Möglichkeiten damals ausgeschöpft gewesen, so Meyer. Er könne den Mitarbeitern keine Vorwürfe machen. Auch die Meldung, dass F. in Bayern einen Drogenverstoß begangen habe, sei falsch.

Die Behörde steht dennoch in der Kritik, weil F. schon damals auf seiner Internetseite wirre Angaben machte und dort auch sein 300-seitiges Buch bewarb, in dem er die Geheimnisse von Jesus Christus zu lüften versprach und auch über Hitler oder Putin sinnierte. Meyer sagte, auf dieses Buch sei die Waffenbehörde damals trotz Google-Recherche nicht gestoßen. Auch bei einem Onlinehändler, wo es F. verkaufte, habe man es nicht gefunden. Wäre das Buch bekannt gewesen, hätte es die Möglichkeit gegeben, ein Gutachten zu F.s Waffentauglichkeit einzuleiten, räumte Meyer ein.

Meyer erklärte auch, dass inzwischen weitere Indizien für psychische Auffälligkeiten von Philipp W. vorlägen – ohne konkreter zu werden. Auf taz-Nachfrage gestand er zudem, dass die Zeugen Jehovas nach dem anonymen Hinweis vom Januar nicht vor einer möglichen Gefährdung gewarnt wurden.

Zweifel an einer Amoktat

Für die Grüne Lamya Kaddor ist zudem noch nicht geklärt, dass es sich wirklich um eine Amoktat handelte. „Aus meiner Sicht war das weder ein reiner Amoklauf noch ein zufälliger Racheakt“, sagte sie am Dienstag der taz. „Ich sehe hier eher die Tat eines religiös motivierten Extremisten mit psychischer Disposition und Rachemotiv, der Menschen gezielt aufgrund seiner Ansichten ermordet hat.“ Kaddor verweist dabei auf das Buch von Philipp F.: „Die geschichtsrevisionistische, antisemitische und theologische Abhandlung, die der Täter verfasst hat, weist in diese Richtung.“ Schon in der Vergangenheit hätten sich bei schweren Gewalttaten psychische Auffälligkeiten und extremistische Haltungen vermischt.

Mehrere Kirchengemeinden wollen Sonntag mit einem Gottesdienst eine Trauerfeier für die Opfer der Gewalttat begehen. Die Zeugen Jehovas beklagten, dass sie bisher nicht in die Planungen einbezogen wurden. Laut einem Senatssprecher soll an die Gemeinde noch eine Einladung erfolgen.

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