Schüler:innen in der Pandemie: Erst Nachhilfe, später Ganztag
Mit Hilfe des Bundes sollen Schüler:innen Lernlücken nach den Sommerferien aufholen. Ab 2026 kommt der Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung.
Die Kinder, die bereits jetzt Unterricht haben und zwar zurzeit vorwiegend in Schichten oder vom heimischen Tablet aus, sollen nach den Sommerferien vom Aufholpaket profitieren, welches Familienministerin Franziska Giffey, SPD, und Bildungsministerin Anja Karliczek, CDU, am Mittwoch vorstellten. Rund eine Milliarde will der Bund an Lehramtsstudierende, Stiftungen und kommerzielle Nachhilfeträger ausschütten, damit diese helfen, die pandemiebedingte Lernlücken bei Schüler:innen zu schließen.
Und zwar zunächst in den Kernfächern, also Deutsch, Mathe und meist Englisch. Man rechne damit, dass etwa jede:r vierte bis fünfte Schüler:in deutliche Lernrückstände infolge der pandemiebedingten Schulschließungen habe, sagte Bundesbildungsministerin Karliczek. Welche genau und wie viele Schüler:innen das tatsächlich betrifft, sollen die Länder nun erheben.
Eine weitere Milliarde will der Bund in die außerschulische Bildung stecken. Darunter fallen etwa Zuschüsse für Sprachkitas in sozialen Brennpunkten, für Elternkurse, Ferienfreizeiten und an Bildungsträger. Familien, die Sozialleistungen erhalten, sollen einen einmaligen Freizeitzuschlag von 100 Euro erhalten.
Lehrergewerkschaft fordert ganzheitliche Förderung
Die Länder, die ja hoheitlich eigentlich allein für Schulbildung zuständig sind, begrüßen das geplante Aufholpaket des Bundes. Das Vorhaben ergänze sich gut mit den eigenen Programmen, teilt die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst, mit. Neben Lernrückständen solle aber auch die persönliche und psychische Belastung von Schülerinnen und Schülern in den Blick genommen werden.
Dass die Pandemie und der Lockdown Spuren bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen, zeigt etwa eine Befragung des Uniklinikums Hamburg aus dem Februar. Sorgen und Ängste haben demnach bei Kindern und Jugendlichen zugenommen, jedes dritte Kind zeige psychische Auffälligkeiten.
Ilka Hoffmann, die im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft für Schulen zuständig ist, befürchtet angesichts der komplexen Folgen für Kinder und Jugendliche, dass die Politik sich zu einseitig darauf konzentriere, Lernlücken zu schließen. Stattdessen müssten Kinder und Jugendliche ganzheitlich gefördert werden.
Das bedeute auch, den Leistungsdruck im kommenden Schuljahr zu reduzieren und Kindern und Jugendlichen mehr Zeit zu geben. „Wir begrüßen, dass jetzt mehr Geld in die bestehenden Strukturen fließen soll. Das sollte auch für den Ausbau der Schulsozialarbeit genutzt werden“, sagte Hoffmann der taz. Gerade in der Schulsozialarbeit arbeiteten viele Menschen befristet und schlecht bezahlt.
Das Kinderhilfswerk, aber auch die Linkspartei kritisieren das Aufholpaket als unzureichend. „Im Endeffekt werden damit weniger als 150 Euro pro Kind in die Hand genommen“, so das Kinderhilfswerk. Die Linkspartei verweist darauf, dass allein für die Lufthansa 9 Milliarden Euro zur Verfügung standen. „Da ist ein einmaliger Bonus von 100 Euro für ärmere Familien blanker Hohn“, meint die familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfration Katrin Werner.
Geld auch für gute Beschäftigung?
Als echten Gamechanger will Franziska Giffey aber das geplante Ganztagschulprogramm verstanden wissen. Der Rechtsanspruch werde das Leben von Millionen Menschen verbessern, so die Familienministerin: Mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung, mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für den Umbau aller Grundschulen zu Ganztagsschulen investiert die Bundesregierung bis 2029 insgesamt 3,5 Milliarden Euro. Damit sollen die 800.000 zusätzlichen Plätze für Erst- bis Viertklässler geschaffen werden, die heute fehlen, damit alle Eltern, die wollen, ihre Kinder auch nachmittags und in den Ferien in der Schule betreut wissen.
Hoffmann fordert, dass die Investitionen in die Ganztagsschule auch mit einer Qualitätsdebatte verbunden werden. „Der Bund muss sicherstellen, dass nicht prekär Beschäftigte am Nachmittag Angebote machen, sondern dass das Personal gut bezahlt und qualifiziert ist.“ Außerdem brauchten die Schulen Freiräume, um pädagogische Konzepte zu entwickeln, damit Vor- und Nachmittag sinnvoll verbunden sind.
In die gleiche Richtung argumentiert die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Simone Fleischmann. Dem Fernsehsender Phoenix sagte sie, es sei entscheidend für die Qualität des Angebots, dass diejenigen, die außerhalb des Unterrichts mit Kindern und Jugendlichen arbeiteten, langfristig beschäftigt seien und nicht für einen Hungerlohn arbeiten. Außerdem forderte sie Bund und Länder auf, dafür zu sorgen, dass gerade Schulen in sozialen Brennpunkten gute Nachmittagsangebote machen könnten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten