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Schüler über seine drohende Abschiebung„Erst mal hatte ich Angst“

Joel A. sollte abgeschoben werden. Eine Kampagne für sein Bleiberecht konnte das abwenden. Aber dadurch geriet er auch in den Blick von Rechten.

Hier war noch unklar, ob er bleiben darf: Anfang Juli fotografierte die taz Joel A. vor seiner Schule in Hamburg-Wilhelmsburg Foto: Jannis Große
Interview von Marta Ahmedov

taz: Joel, weil du trotz sehr guter Integration nach Ghana abgeschoben werden solltest, war dein Gesicht vor ein paar Wochen in allen großen Medien, auf Instagram und Tiktok zu sehen. Wie war das für dich?

Joel A.: Erst mal hatte ich Angst. Es war ein komisches Gefühl, mich überall zu sehen. Mir haben Freunde von meiner alten Schule geschrieben, mit denen ich in die Integrationsklasse gegangen bin. Die haben die Texte gar nicht gelesen, sondern nur mein Gesicht gesehen und mich gefragt: „Was hast du Schlimmes gemacht?“ Sie konnten sich wahrscheinlich nicht vorstellen, warum jemand wie ich sonst in der Zeitung stehen würde.

taz: Wie hast du darauf reagiert?

Joel A.: Ich habe ihnen dann meine Situation mit der Abschiebung erklärt und gesagt, dass die Artikel eigentlich etwas Gutes sind und den Menschen zeigen, dass ich in Deutschland bleiben sollte. Mit der Zeit habe ich mich an die Aufmerksamkeit gewöhnt, aber es war auch anstrengend. Bei Edeka, wo ich arbeite, haben mich öfters fremde Leute erkannt und angesprochen.

taz: Was wollten die?

Joel A.: Sie haben mich gefragt, ob ich „der Joel“ bin. Manchmal habe ich es ihnen gesagt, manchmal meinte ich aber auch nur „Nein, ich kenne keinen Joel“, weil es mir zu viel wurde.

taz: Rechtsextreme haben deinen Fall auf der Plattform Tiktok aufgegriffen und in einem Video deine Abschiebung gefordert. Auf X gab es einen Shitstorm gegen dich. Hast du das mitverfolgt?

Joel A.: Meine Freunde haben mir Screenshots von X zugeschickt. Da gab es Leute, die sich über mich lustig gemacht haben und so was geschrieben haben wie „Ich helfe ihm gerne beim Packen“ oder „Guten Flug!“. Auf Tiktok hatte ein Video gegen mich Hunderttausende Aufrufe. Es hat mich aber überhaupt nicht überrascht, weil ich wusste, dass in Deutschland viele Menschen so denken.

taz: Macht dir das Angst?

Joel A.: Eigentlich nicht. Ich möchte daran glauben, dass mir nichts passieren kann, wenn ich mich richtig verhalte. Diese Leute können mich auch nicht wütend machen, sondern ich versuche einfach, es zu akzeptieren. Ich kann es ja nicht ändern.

taz: Die Härtefallkommission in Hamburg, die in Einzelfällen über das Aufenthaltsrecht entscheidet, hat einstimmig dafür gestimmt, dass du bleiben kannst, wenn du möchtest. Wie ist der Tag der Entscheidung abgelaufen?

Joel A.: Ich bin an dem Tag ziemlich früh aufgewacht und war völlig verschwitzt, weil ich so nervös war. Frau Basboga hat mich angerufen und mich motiviert aufzustehen. Vor der Sitzung von der Kommission haben wir dem Vorsitzenden die Petition mit 100.000 Unterschriften übergeben.

taz: Deine Klassenlehrerin Elif Basboga hat gemeinsam mit Mit­schü­le­r*in­nen von dir die Petition angestoßen.

Ich möchte daran glauben, dass mir nichts passieren kann, wenn ich mich richtig verhalte

Joel A.: Ja, uns wurde dann gesagt, dass wir erst mal weggehen müssen, aber sie auf jeden Fall noch heute über meinen Fall entscheiden werden. Ich bin nach Hause gefahren und musste mich erst mal hinlegen, weil ich so ausgelaugt war. Dann hat mich Frau Basboga angerufen und mir gesagt: „Joel, du darfst bleiben“. Ich war komplett sprachlos. Sie hat mich verstanden und gesagt, dass ich nichts sagen muss und ich sie einfach anrufen kann, wenn was ist.

taz: Wie hat deine Familie in Hamburg reagiert?

Joel A.: Mein Vater ist an dem Tag zu Hause geblieben und hat die ganze Zeit gebetet. Er war die erste Person, der ich es gesagt habe. Ich habe ihn noch nie so glücklich gesehen, er ist richtig gehüpft. In den Wochen vorher dachte er, dass ich abgeschoben werden soll, weil ich etwas gemacht habe. Er hat mich ständig danach gefragt, aber ich konnte ihm nichts sagen, weil es ja nicht stimmte. Mit den Zeitungsartikeln hat er dann verstanden, dass es nicht meine Schuld war. Seine Arbeitskollegen haben sie ihm auf dem Handy gezeigt und er ist dann extra zum Kiosk gelaufen und hat die richtige Zeitung gekauft. Er ist vor allem Frau Basboga sehr dankbar für ihren Einsatz, so wie ich auch.

taz: Und deine Familie in Ghana?

Joel A.: Da hat das niemand mitbekommen. Ich habe überhaupt keinen Kontakt zu meiner Mutter. Mein Vater hat sie zusammen mit mir verlassen, als ich noch ganz klein war. Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich bei meiner Tante und meinem Onkel in Accra gelebt, aber meine Tante ist mittlerweile gestorben. Zu meinem Onkel habe ich keinen Kontakt mehr. Das war ja genau das Problem: Wenn ich abgeschoben worden wäre, hätte ich gar nicht gewusst, wo ich hingehen soll.

taz: Glaubst du, dass dein Fall nur ein Beispiel für ein größeres Problem ist?

Joel A.: Meine Anwältin hat mir erklärt, dass in Deutschland ein Gesetz geändert wurde. Sie betreut mehrere junge Menschen wie mich, die 18 geworden sind und darum kein Bleiberecht mehr haben. Obwohl sie gut integriert sind und nach dem alten Gesetz einen Aufenthaltstitel bekommen hätten.

taz: Du sprichst das Bleiberecht aus humanitären Gründen nach Paragraf 25a des Aufenthaltsgesetzes an. Diese Regelung galt für junge Volljährige, die in der Ausbildung sind oder noch zur Schule gehen. Die Voraussetzungen wurden zu deinem Nachteil geändert.

Im Interview: Joel A.

18, kam vor vier Jahren zu seinem Vater und seiner kleinen Schwester nach Deutschland. In seiner Integrationsklasse ermutigten ihn die Lehrer dazu, Abitur zu machen. So kam er in die Oberstufe der Nelson-Mandela-Schule in Hamburg-Wilhelmsburg. Er möchte nach dem Abi in Deutschland studieren.

Joel A.: Es ist also ein Problem im Gesetz, was mehr Menschen betrifft. Nicht nur mich. Ich weiß nicht, ob die Politiker das extra gemacht haben oder es einfach nicht wussten, bevor sie das Gesetz geändert haben. Aber das heißt ja, dass sie uns entweder nicht in Deutschland haben wollen oder es ihnen nicht so wichtig ist, dass sie darüber nachdenken, was das Gesetz für uns bedeutet.

taz: Könntest du dir vorstellen, selbst politisch aktiv zu werden?

Joel A.: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. In meinem Kopf passen Politik und ich gar nicht zusammen. Ich kriege auch nichts davon mit, weil ich eigentlich nur mit Schule und Arbeit beschäftigt bin.

taz: Wie hat deine drohende Abschiebung deine Sicht auf Deutschland verändert?

Joel A.: Es war eine sehr stressige Zeit für mich und ich hatte Angst. Ich finde es nicht gut, dass Politiker die Gesetze so geändert haben. Und auf Social Media hat man gesehen, wie viele Menschen gegen Ausländer wie mich hetzen – egal, wie gut wir integriert sind. Aber in meinem Fall gab es mehr als 100.000 Menschen in Deutschland, die sich dagegen gestellt haben. Und die waren stärker.

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15 Kommentare

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  • Liebe taz könntet ihr kurz erläutern wann und was genau am Paragraph 25a geändert wurde?

    • @Janna Voßnacker:

      Teil 2 meiner Antwort:

      Nach dem alten Recht hätte Joel nach seinem 18. Geburtstag einen Aufenthaltstitel nach Paragraph 25a bekommen können. Nach dem neuen war das nicht mehr möglich, weil er nicht 12 Monate vorher geduldet wurde.

      Die Reform des Paragraphen 25a hat eigentlich eine Reihe an positiven Veränderungen beinhaltet. Beispielsweise wurde das zulässige Alter für die Antragsteller deutlich hochgedreht. Das „Vorduldungserfordernis“ (also die Voraussetzung, dass man vor Antrag mindestens 12 Monate geduldet worden sein muss) ist jedoch eine deutliche Verschärfung, die von vielen Flüchtlingsräten und anderen kritisiert wird.

      Ich hoffe, dass ich Ihre Frage verständlich beantworten konnte.

      Liebe Grüße



      Marta Ahmedov

    • @Janna Voßnacker:

      Liebe Frau Vossnacker,

      vielen Dank für Ihre Frage! Der Paragraph 25a AufenthG ist ein Aufenthaltstitel, der speziell für gut integrierte Jugendliche und junge Erwachsene gedacht ist.

      Im Zuge der „Chancenaufenthaltsrecht“-Reformen wurde der Paragraph 25a geändert:

      Früher konnten junge Menschen einen Aufenthaltstitel nach diesem Paragraphen bekommen, wenn sie sich seit vier Jahren ununterbrochen in Deutschland aufgehalten haben und dazu eine Reihe an anderen Voraussetzungen erfüllten. Dabei war egal, ob die jungen Menschen sich erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis hier aufhielten.

      Zum Jahr 2023 wurde der Paragraph dann so geändert, dass er jetzt nur noch jungen Menschen einen Aufenthaltstitel gewährt, die unmittelbar vorher mindestens 12 Monate lang im Besitz einer Duldung waren.

      Dazu muss man wissen: Eine Aufenthaltsgenehmigung ist eigentlich ein „besserer“ Aufenthaltsstatus als eine Duldung. Denn hier ist der Aufenthalt aktiv erlaubt und nicht nur geduldet. Joel hatte eine solche Aufenthaltsgenehmigung, bis er 18 Jahre alt wurde. Diese wurde dann nicht mehr verlängert.

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  • Da kann man sich als deutscher Bundesbürger nur für die Menschenverachtung und dem Verlust an Lebenswirklichkeit der gewählten Volksvertreter entschuldigen. Bleibt zu hoffen das Joel ab sofort seine mediale Ruhe finden mag und sich auf seine Lebensentwicklung konzentrieren kann, zusammen mit seinem Vater. Oder wird dieser bald ausgewiesen?



    Und es bleibt zu hoffen, dass all jene die keine Petitionsunterstützung erfahren haben, ebenso von der Härtefallkommission beurteilt und unterstützt wurden und werden. Die Realität zeigt leider ein anderes Bild.

  • Die geplante Ausweisung des jungen Mannes ist das Ergebnis einer schildbürgerhaften Politik. Aus anderen Artikeln ergibt sich, daß der Mann zur Schule geht und an einem Supermarkt an der Kasse arbeitet. Deutsche Sprache, Kommunikation, Lesen, Schreiben, Rechnen, Geschäftsfähigkeit, scheinen kein Problem zu sein.

    Nicht Integrierten – darunter auch einige nicht integrierbare – wird die Einreise gestattet und in ihre Integration und ihren Spracherwerb investiert. Bereits Integrierte sollen ausreisen. Schilda!

  • Gemessen daran, dass er erst 18 Jahre alt ist, äußert er sich sich sehr differenziert und überlegt. Das wollen wir doch, dass junge Menschen sich so entwickeln. - Wenn ein Kind soviel mitgemacht hat ist das eine besondere Leistung und man kann ihm und seinem Vater für seinen weiteren Weg nur Glück und Erfolg wünschen. Hoffentlich bleibt er uns erhalten !

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Sie haben die besseren Worte gefunden als ich und möchte mich gerne allem was Sie schreiben und wünschen anschließen.

  • Ich hoffe, dass die Medien und die Öffentlichkeit bald das Interesse an Joel verlieren, damit er unbehelligt, unbelästigt und frei von den Erwartungen der Öffentlichkeit seinen eigenen Weg finden und gehen kann.

    Auf mich wirkt Joel auch nicht so, als wäre ihm Prominenz wichtig.

    Alles Gute für Dich und Deine Familie, lieber Joel.

  • Unfassbar, da wird gegen einen Einzelnen eine Kampagne gefahren, ein halbes Kind. Es wäre auch gegen einen Erwachsenen eine Sauerei, aber das macht einen vor Scham sprachlos. Es wird Zeit, die sozialen Medien wirksam Regeln zu unterwerfen, damit so ein Mist nicht mehr passieren kann.



    Die Ampel, aber auch die Union dürfen sich von diesem AfD-Mob, anders kann man es kaum nennen, nicht länger vor sich hertreiben lassen. Gegenhalten, mit klaren Worten!

    • @Bambus05:

      Warum heißt es eigentlich noch "Soziale" Medien?

      • @PartyChampignons:

        Alt hergebracht, hat mit der heutigen Realität nur noch in Hasenzüchter-Facebook-Gruppen zu tun, solange die Politik draußen bleibt.

  • Geht doch,



    Auch wenn es eine Schande ist, dass so eine Entscheidung der Härtefallkommission erst nach Petition et al revidiert wird

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Nein. Das Aufenthaltsrecht des jungen Mannes war nach dem Gesetz zu beenden. Die Härtefallkommission hat nicht die eigene Entscheidung revidiert, sondern die zuvor ergangenen Entscheidungen der Behörden und Gerichte.



      Die Petition wird sich vermutlich zugunsten des Betroffenen ausgewirkt haben. Daß die Kommission nur wegen der Petition die Entscheidungen aufgehoben hat, bleibt eine Vermutung.

      • @Donald Duck:

        Nicht alle abgelehnten Fälle landen bei der Härtefallkommision. Manch Betroffene werden sogar trotz Eilantrag, rechtswidrig außer Landes geschafft.



        Allein die Begründungen die zu Härtefällen führen erinnern stark an die zurückliegende deutsche Geschichte. Menschenrechte was war das gleich?

        • @Sonnenhaus:

          Man bräuchte weder Gesetz noch Richter, wenn die Härtefallkommission sowieso jeden Fall ohne verbindliche Regeln - nach eigenem Ermessen oder Gutdünken - entscheiden würde.

          Erst entscheidet eine Behörde nach gesetzlichen Vorgaben. Dann überprüfen Gerichte diese Entscheidung. (Hier über mehrere Instanzen.)

          Die Härtefallkommission hat sich hier über Gesetz und Gerichtsentscheidungen hinweggesetzt. In einem Rechtsstaat müssen das Ausnahmen bleiben. Wenn, dann müßten Gesetze angepaßt werden.