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Schräge Forderungen im WahlkampfMärchen vom Fleiß

Kommentar von Svenja Bergt

Das Kapital für sich arbeiten zu lassen, ist in der Regel lukrativer, als selbst einer Arbeit nachzugehen. Das sollte sich dringend ändern.

Egal wie fleißig der Fensterputzer ist, Arbeit lohnt sich nicht Foto: Jens Jeske

E in neues, altes Wort geht um in Deutschland: Fleiß. Die 50er Jahre haben schon angerufen und es zurückgefordert, bislang leider ohne Erfolg. Und so hat es das Wort auf ein aktuelles CDU-Wahlplakat geschafft, mit der Zeile „Fleiß muss man wieder im Geldbeutel spüren“. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will „mehr Leistung, Fleiß und Pünktlichkeit“ (von anderen, na klar). FDP-Chef Christian Lindner forderte schon im vergangenen Jahr, „den Leuten Lust zu machen auf die Überstunde“.

Und auch die wiederholten Forderungen aus Unternehmen und Wirtschaftsverbänden nach Einschnitten von Ar­beitneh­me­r:in­nen­rech­ten – länger arbeiten, mehr Überstunden, kein Geld am ersten Krankheitstag – atmen den Fleiß-Geist.

Abgesehen davon, dass diese Forderungen den Ar­beit­neh­me­r:in­nen einfach mal substanzlos Faulheit unterstellen und sie für die kriselnde Wirtschaft verantwortlich machen – als gäbe es keinen Investitionsstau, kein Bremsen bei der grünen Transformation, keine unternehmerischen Fehlentscheidungen, etwa bei der Autoindustrie. Abgesehen davon also, ist der Ruf nach mehr Leistung eine arg realitätsvergessene Forderung. Denn sie blendet zwei Punkte komplett aus.

Es braucht mehr als platte Sprüche

Erstens: Wer eine gute Summe Kapital arbeiten lassen kann, hat viel mehr davon als bei Wind und Wetter Fassaden zu säubern oder Pakete auszufahren – da kann die Paketbotin noch so engagiert in den vierten Stock sprinten. Solange sich an der Ungleichbehandlung zwischen Einkünften aus Kapital und Arbeit nicht deutlich etwas ändert, klingen alle Fleiß-Forderungen hohl.

Zweitens ignorieren die Forderungen einen ganz großen Bereich: Care-Arbeit und ehrenamtliche Arbeit. Wer sich um Kinder kümmert, um Pflegebedürftige, wer für die ältere Nachbarin einkauft, am Wochenende den ehrenamtlichen Büchereidienst übernimmt oder Demos gegen Nazis organisiert – der:­die kommt in der Welt der Fleiß-Fans nicht vor. Aber klar: Hier anzusetzen, würde heißen, unser Wirtschaftssystem neu denken zu müssen. Und dafür braucht es eben mehr als platte Sprüche.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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11 Kommentare

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  • Die Lösung für die Vielen ist deutlich: Jeder packt angemessen an. Damit sich alle, die arbeiten, auch wohl damit fühlen, zahlt Arbeitseinkommen nicht mehr fast alles, sondern werden Großerbengeschenke, arbeitsloses Couponschneiden, ... eben auch mal wieder angemessen herangezogen. Als Dank dafür gibt es produktive, gut ausgebildete Fachkräfte, die Infrastruktur und keine Ausschreitungen.



    Ach ja, und diese "Leistungs"-Sülzerei von solchen wie Lindner oder Kubicki oder Merz hört bitte sofort auf. Verhöhnung der Krankenschwester, die jeden Morgen aus ihrer Mietwohnung zum Spital radelt.

  • Spricht irgendwas dagegen, Kapitalerträge mit genau den selben Steuern und Sozialabgaben zu belegen, wie Verdienste aus Erwerbsarbeit?

    • @Squirrel:

      Wenn sie auch nur ein bisschen Interesse am Thema hätten...



      Die Kapitalertragssteuer in Deutschland beträgt stolze 25%!



      +5,5% Soli!

    • @Squirrel:

      Das werden sie, am Schluss endet alles in der EKSt-Erklärung. Dort wird ein "zu versteuerndes Einkommen" und die sich daraus ergebenden Steuerschuld ermittelt. Vorauszahlungen abgezogen (Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer etc). bleibt der Rest zur Zahlung fällig.

    • @Squirrel:

      Nicht, dass ich Ihren Wunsch nicht im Grinde meines kapitalfreien Herzens teilen würde - aber es spricht schon auch eine Menge dagegen, vor allem der KAPITALismus, in dem wir leben.



      Der funktioniert eben über freies Kapital - dass man nur begrenzt schröpfen sollte.



      Denn ob es als staatliches Kapital besser wirkt - das weiß ich als ehemalige DDR-Bürgerin mit Sicherheit: Nein.



      Nicht zu reden davon, dass die Abschöpfung der steten Vermehrung im Wege stünde.



      Mein Herz, in dem möglicherweise auch Neid zu Hause ist, sagt also anderes als mein Verstand

  • Es geht nicht um Fleiß, auch nicht um Leistungen. Es geht nur um (persönlichen) Erfolg. Wer z.b. Spinnern erfolgreich nutzlose Spinner verkauft und kulturellen und ökologischen etc. Schaden anrichtet, scheffelt Geld und Anerkennung ohne Fleiß und Leistung.

  • Es ist das alte Klischee vom geldscheffelnd rumsitzenden Unternehmen, das glauben macht, der Fleiß-Appell richte sich nur an Arbeitnehmer. "Fleiß!“ kann auch - und sogar vor allem - als Aufforderung zu unternehmerischem Wagemut und Einsatz aufgefasst werden. Allein die Selbstverständlichkeit, mit der hierzulande "Arbeit" mit "Lohnarbeit" gleichgesetzt wird, ist ein gewaltiger Standortnachteil.

    DASS Arbeitgeber gerne mehr Umsatz aus ihrem Personalaufwand herausholen möchten - geschenkt. Und dass sie im aktuellen Marktgeschehen in dieser Bemühung (noch) im Hintertreffen sind, ist auch klar. Mir fällt kaum eine Branche ein, die nicht unter Fachkräftemangel leidet, und die Fachkräfte nutzen das, um an Gehalt und/oder Work-Life-Balance zu schrauben.

    Das Problem, auf das die Lobbyisten richtig hinweisen und auf das auch politische Initiativen (die wohlgemerkt Fleiß belohnen und nicht etwa obrigkeitlich einfordern wollen) im Blick haben, ist das der Schraube: Die Steigerung von "ganz fest zu" ist "ab". Natürlich KANN man alle möglichen Ansprüche für Lohn-, Care- oder Nicht-Arbeit für "berechtigt" erklären. Aber irgendwann sind die Anspruchsgegner weggezogen oder haben kein Geld mehr.

    • @Normalo:

      Warum sollte jemand in Deutschland grade bauen? Die Ungleiche Besteuerung von Kapitalerträgen übervorteilt die Investitionen in den Kapitalmarkt.



      Dann können wir uns mal den größeren indirekten Einfluss von Vermögen und dessen Zuwachs auf die Preise, im Verhältnis aufs BIP angucken.



      Steuereinnahmen sind konstant bei 22% des BIP. Dadurch fehlten dem Staat (Referenzjahr 2000) 2005 schon 50Mrd.€ jährlich. Der Kaufkraftverlust ging bis zur Ampel weiter, erst die sehr geringe Vorsteuer auf Thesaurierungen hat das ganze gestoppt.



      Das ist das Geld was angeblich für Carearbeit… fehlt, Wohnungen die nicht gebaut wurden da es günstiger war anderweitig zu investieren, Straßen die marode sind… . Und all das hat nichts mit dem faulen Arbeiter zu tun.

    • @Normalo:

      Das ist zu einfach. Eine Gegendarstellung: als Steuerfachangestellter habe ich freiberuflich gearbeitet. Meine Leistung war, daß ich etwa 250€ pro Stunde erwirtschaftete. Mein Lohn war 19.



      Nach einem Jahr wollte ich 20….ich war zu gierig…das waren nicht mal 5% mehr an Forderung.



      ich sei „zu gierig“….für den Herrn StB waren also 230 zu wenig von 250…(er musste 230,50 haben, und das bei 8 Angestellten, wo jeder für mind.200€ pro Stunde rackert…rechne den Monatsverdienst, incl. Krankheit und Urlaub…aber jammern)



      DARÜBER redet kein Steuerberater…es ist einfacher solche Leute wie mich zu bashen oder zu ignorieren…



      ich habe aufgehört und arbeite nicht mehr für diese Leute…Diskussionen darüber finden nirgens statt



      Und dass die Steuerberater mal wegziehn…geschenkt…

  • Wie immer liegt die Wahrheit eher in der Mitte. Das mit Kapital, heute vermehrt Geld, früher noch brutaler und ausbeutereischer mit Humankapital Vermögen aufgebaut wurde, wird ist eine Binse.



    Was immer wieder gerne außer Acht gelassen wird, ist das wir uns, auch wenn es uns nicht gefällt, dem internationalen Wettbewerb um die Unternehmen stellen müssen. So sind traditionelle Unternehmen von Deutschland abgewandert, von denen man es sich nie hätte vorstellen können. Nicht nur die verlängerte Werkbank wie früher, sondern gesamte Produktionen.



    Waren früher auch deutsche Unternehmen auf den deutschen Markt angewiesen, ist das mit zunehmenden, wenn auch nicht immer gerecht verteilten Wohlstand weltweit, nicht mehr unbedingt der Fall.



    Also den AN noch mehr Abzüge zu bescheren wird die Stimmung nicht unbedingt ändern, die Unternehmen zur Kasse zu bitten, wird wenn überhaupt, eher kurzfristig mehr Geld in die Sozialkassen spülen.



    Und eine aufrichtige Frage, wie soll den Care-Arbeit vergütet werden? Mit dem Mindestlohn? Wer bestimmt was dann bezahlwürdige Care-Arbeit ist?

  • Yo, leider ist das mit dem "Wirtschaftssystem neu denken" auch nur so ein platter Spruch