Studie zur Pflege von Angehörigen: „Die Pflege macht arm“

Wenn Angehörige pflegebedürftig werden, ist das oft auch eine finanzielle Belastung. Der Sozialverband VdK fordert mehr staatliche Unterstützung.

Die Hände einer älteren in den Händen einer jüngeren Person

Häusliche Pflege ist weniger sichtbar, aber für die Pflegenden oft belastend – auch finanziell Foto: imago

BERLIN taz | Berichte über die krasse Überarbeitung, körperliche Belastungen und den generellen Notstand des Pflegepersonals in Heimen und Krankenhäusern gibt es häufiger. Doch von rund vier Millionen pflegebedürftigen Personen in Deutschland werden rund drei Millionen Menschen Zuhause gepflegt. Diese Arbeit ist zwar weniger sichtbar, aber für die Pflegenden nicht weniger anstrengend und belastend – auch in finanzieller Hinsicht. Sie wird häufig von Angehörigen übernommen – zum überwiegenden Teil von Frauen.

Eine Erhebung des Pflegewissenschaftlers Andreas Büscher von der Hochschule Osnabrück und eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW Berlin) zeigen: Jede und jeder fünfte pflegende Angehörige ist von Armut bedroht. Bei pflegenden Frauen liegt die Zahl sogar noch höher. Da beläuft es sich auf rund jede vierte Person. Die Befragung von Angehörigen sowie die DIW-Studie wurde vom Sozialverband VdK in Auftrag gegeben und die Zahlen am Dienstag in Berlin präsentiert. Eingeflossen sind in die Online-Befragung des Pflegewissenschaftlers Andreas Büscher die Antworten von mehr als 27.000 pflegenden Angehörigen – davon 72 Prozent Frauen, 28 Prozent Männer. „Die Daten zeigen ganz klar: Die Pflege macht immer noch arm und macht vor allem Frauen arm“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele am Dienstag in Berlin.

Der „Gotteslohn“ reicht nicht

Die Zahlen zeigen, dass Menschen, die eine angehörige Person pflegen, deutlich häufiger einem Armutsrisko ausgesetzt sind als der Durchschnitt in Deutschland. Auch ist die Zahl von So­zi­al­leis­tungs­emp­fän­ge­r*in­nen in pflegenden Haushalten um sieben Prozent höher als in der Gesamtbevölkerung.

„Wir als VDK fordern eine finanzielle Absicherung für alle Pflegenden Zuhause“, so Bentele. „Diese Leistung muss deutlich höher sein als der sogenannte ‚Gotteslohn‘ also ein ‚Danke‘“. Der VdK plädiert für ein Gehalt für Pflegende, da nach der Erhebung des Sozialverbandes rund 49 Prozent aller pflegenden Angehörigen ihre Arbeitszeit reduzieren mussten. Dadurch verlieren sie nicht nur Gehalt, sondern auch Rentenpunkte.

„Die Höhe des Gehalts sollte sich nach dem Aufwand der Pflege richten“, sagte Bentele in Berlin. So ein Gehalt würde laut DIW besonders Frauen helfen, die bereits ihre Arbeit reduziert oder ganz aufgegeben haben sowie Eltern von pflegebedürftigen Kindern. Johannes Geyer vom DIW Berlin berechnete im Auftrag des VdK, dass sowohl ein Lohnersatz als auch ein fester Lohn für pflegende Angehörige das Armutsrisiko deutlich verringern können. Eine Lohnersatzleistung an pflegende Angehörige zu zahlen, wie es die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag in Anlehnung an das Elterngeld formulierte, lehnte die VdK-Präsidentin ab.

Das Elterngeld richte sich nach dem vorigen Einkommen, so Bentele. Damit würden pflegende Frauen erneut benachteiligt, weil sie weniger verdienten als Männer und häufig in Teilzeit arbeiteten. Als positiv Beispiel zum Pflegelohn nannte die VdK-Präsidentin das Modellprojekt im Burgenland in Österreich. Dort erhielten pflegende Angehörige den Mindestlohn für 20 Stunden bei Pflegegrad 3, 30 Stunden bei Pflegegrad 4 und 40 Stunden bei Pflegegrad 5. Das würde das Armutsrisiko erheblich senken.

In der Online-Befragung von Büscher wurde deutlich, dass die finanzielle Belastung eine große Rolle bei pflegenden Angehörigen spielt. Mehr als 64 Prozent aller Befragten gaben an, dass es ihnen helfen würde, „mehr Geld für die Verpflegung zur Verfügung zu haben.“ Auch wünschten sich 40,4 Prozent aller Befragten „Eine spezielle Beratung zu finanziellen Fragen der Pflege.“

Die Möglichkeit zur Freistellung von der eigenen Arbeit für die Pflege nutzen knapp 29 Prozent aller Befragten mit der Begründung nicht, weil ihr „Einkommensverlust zu groß wäre.“ Über 50 Prozent gaben an, Leistungen wie Pflegedienst, Tages-, Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege nicht weiter in Anspruch zu nehmen, weil sie zu viel dazuzahlen müssten. Bentele sagte: „Es ist schockierend zu sehen, dass aus finanzieller Sorge heraus auf professionelle Unterstützung und Entlastung verzichtet wird.“ (mit epd, dpa)

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