Scholz vor Reise nach Kiew und Moskau: Auf schwieriger Mission
Am Montag reist Olaf Scholz nach Kiew, dann nach Moskau. Die Lage sei „sehr, sehr ernst“, sagt der Kanzler.
Scholz nannte den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine am Sonntag eine „sehr, sehr ernste Bedrohung des Friedens in Europa“. Im Fall eines militärischen Angriffs gegen die Ukraine käme es zu „harten Reaktionen und Sanktionen“, sagt der Sozialdemokrat in Berlin. Diese seien bereits von den Nato- und EU-Verbündeten vorbereitet und würden sofort wirksam.
Scholz erklärte, er wolle mit seiner Reise nach Kiew und Moskau ausloten, „wie wir den Frieden in Europa sichern können“. Die Ukraine könne sich Deutschlands Solidarität sicher sein. Auch wirtschaftlich habe die Bundesrepublik die Ukraine von allen Ländern bisher am meisten unterstützt – und werde dies auch weiterhin tun.
Hinter den Kulissen wurde am Sonntag in deutschen Regierungskreisen eingeräumt, dass die Sorge vor einem russischen Angriff größer geworden sei. Die Lage sei „sehr kritisch und sehr gefährlich“. Es sei aber nicht die Stunde der Resignation. Scholz werde in Kiew und Moskau „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ in die Gespräche gehen und versuchen einen Beitrag zur Entschärfung der Lage zu leisten.
Dass Russland zuletzt von Deeskalation redete, sei ein erster Schritt, den man nicht kleinreden wollen, erklärten Regierungskreisen. Entscheidend aber sei, was am Boden passiere. 100.000 hochgerüstete Streitkräfte an der Grenze zur Ukraine, verbunden mit entsprechenden Manövern, wirkten per se destabilisierend. Man erwarte jetzt konkrete, deeskalierende Schritte von Russland.
Bundespräsident richtet sich an Putin
Auch der am Sonntag wiedergewählte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte: „Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Osteuropa.“ Dafür trage Russland die Verantwortung. „Russlands Truppenaufmarsch kann man nicht missverstehen. Das ist eine Bedrohung der Ukraine und soll es ja auch sein.“ Steinmeier richtete sich direkt an Putin: „Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie!“ Wer den Frieden zerstören wolle, „dem werden wir entschlossen antworten“.
Scholz will am Montagmittag in Kiew Ukraines Präsident Wolodymyr Selensky treffen. Im Anschluss werden beide eine Pressekonferenz zur aktuellen Sicherheitslage geben. Am Mittwoch steht dann ein Treffen von Scholz mit Putin in Moskau an, sein erstes als Kanzler.
Beide Treffen waren ursprünglich als Antrittsbesuche geplant – nun sind sie Teil der Krisendiplomatie. Die Lage werde sich danach wohl nicht grundlegend ändern, hieß es in Regierungskreisen. Das persönliche Treffen mit Putin aber sei schon ein Erfolg an sich. Scholz werde konkrete Schritte Russlands zur Deeskalation einfordern – und unterstreichen, dass ein Angriff auf die Ukraine erhebliche Konsequenzen haben würde. Zudem will Scholz ausloten, welche Wege es zurück zum direkten Dialog mit Russland gibt, etwa über die OSZE, den Petersburger Dialog oder den Nato-Russland-Rat.
Bei seinem Besuch in der Ukraine möchte Scholz zeigen, dass Deutschland an der Seite des Landes steht. Gleichzeitig soll aber verdeutlicht werden, dass es keine deutsche Sonderrolle geben wird, sondern die Bundesrepublik in dem Konflikt abgestimmt mit den USA, Frankreich und den EU-Staaten handelt.
Reisewarnung für deutsche Bürger
Bereits am Samstag hatte nun auch die Bundesregierung deutsche Staatsbürger aufgerufen, die Ukraine zu verlassen. „Wenn Sie sich derzeit in der Ukraine aufhalten, prüfen Sie ob Ihre Anwesenheit zwingend erforderlich ist. Falls nicht, reisen Sie kurzfristig aus“, schrieb das Auswärtige Amt in einer Reisewarnung. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte, die Botschaft in Kiew werde offenbleiben, das Personal aber reduziert. Familienangehörigen des Botschaftspersonals sollten das Land verlassen. Zuvor hatten bereits die USA, Großbritannien, Dänemark, Australien, Lettland und Estland ihre Staatsbürger zur Ausreise aufgefordert.
Aus deutschen Regierungskreisen hieß es am Sonntag, man sei sich bewusst, dass diese in der Ukraine als Alarmsignal gedeutet werden könnte. Man habe aber auch eine „Riesenverantwortung“ für die in der Ukraine lebenden deutschen Staatsbürger und sich in der Abwägung und vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden nachrichtendienstlichen Erkenntnislage dafür entschieden, dass deren Sicherheit höchste Priorität habe.
Auch Baerbock warnte Russland: „Wir sind bereit zum Dialog, aber eine erneute Aggression gegen die Ukraine hätte einen drastischen Preis. Denn wir sehen auf militärischer Ebene keine Zeichen von Deeskalation, im Gegenteil.“ Auch ihr Parteikollege und Vizekanzler Robert Habeck erklärte: „Es kann sein, dass wir kurz vor einem Krieg in Europa stehen.“ Die Reise von Scholz nach Kiew und Moskau sei deshalb ein wichtiges Zeichen.
Ukraine fordert mehr Solidarität
Ukrainische Vertreter forderten vor dem Scholz-Besuch derweil mehr Unterstützung für ihr Land ein. Für die Ukraine gehe es jetzt um alles, sagte Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland, dem Deutschlandfunk. „Entweder überleben wir diesen neuen Einmarsch, diesen Angriff, oder wir gehen zugrunde.“ Melnyk forderte erneut Waffenlieferungen von Deutschland, ein milliardenschweres Hilfspaket für die ukrainische Wirscahft und eine politische Partnerschaft auf Augenhöhe. Auch Kiews Bürgermeiser Vitali Klitschko warnte in der Bild: „Der Westen sollte wissen, dass nach der Ukraine die baltischen Staaten dran sein werden. Wir sind nur der Anfang.“
Am Freitagabend hatte US-Präsident Joe Biden mit mehreren Regierungschefs, darunter Scholz, Telefonkonferenzen geführt und vor einer bevorstehenden russischen Invasion gewarnt. Berufen wurde sich auf Geheimdienstinformationen. Russland wies das als „Alarmismus“ und „Propagandakampagne“ zurück – die USA blieben Beweise für ihre Behauptungen schuldig. Auch Ukraines Präsident Selenskyj warnte vor Panikmache. „Der beste Freund für die Feinde ist Panik in unserem Land.“ Die Telefongespräche zwischen den Regierungschefs setzten sich am Wochenende fort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid