Scholz stellt Vertrauensfrage: Traut mir nicht
Der Bundeskanzler bittet am Montag um das Vertrauen des Bundestags, hofft aber, es zu verlieren. So wären Neuwahlen möglich. Dafür muss allerdings auch die AfD mitspielen.
Hier hatte Scholz am 6. November das Aus der von ihm angeführten Ampelkoalition verkündet, und hier spricht er nun davon, dass er am Montag im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und damit den Weg frei machen wird für vorgezogene Neuwahlen. „Das ist mein Ziel.“
Scholz möchte, dass die Abgeordneten ihm mehrheitlich misstrauen, er will verlieren, um gewinnen zu können. Den schwierigen Weg der „unechten“ Vertrauensfrage beschritten bislang drei der vier Bundeskanzler, die sie stellten: die beiden Sozialdemokraten Willy Brandt und Gerhard Schröder und der Christdemokrat Helmut Kohl.
Bei Brandt, der am 22. September 1972 die Vertrauensfrage stellte, nachdem die sozialliberale Koalition im Streit über die Ostpolitik die absolute Mehrheit verlor, ging der Plan auf. Die SPD-FDP-Koalition ging gestärkt aus der Bundestagswahl im November. Auch bei Kohl klappte es. Der ließ am 17. Dezember 1982 per Vertrauensfrage über sich als Kanzler abstimmen, nachdem Union und FDP zwei Monate zuvor den Sozialdemokraten Helmut Schmidt per Misstrauensvotum gestürzt hatten. Die Bundestagswahl am 6. März gewann die Union klar. Gerhard Schröder wiederum stellte die Vertrauensfrage sogar zweimal – im November 2001, um die rot-grüne Koalition hinter dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu versammeln, und am 27. Juni 2005. Beim zweiten Mal verlor er wie geplant, aber die SPD verlor dann auch die Bundestagswahl am 18. September 2005. Und für 16 Jahre das Kanzleramt.
Scholz' Ultima Ratio und die AfD
Scholz, der insgesamt vierte SPD-Kanzler, greift wie schon Brandt, Schmidt (ja, auch der warb im Februar 1982 um Vertrauen) und Schröder zu diesem Mittel. Anders als seine Vorgänger hat er kaum eine Wahl. Denn Scholz regiert nur noch mit einer Minderheitsregierung. SPD und Grüne verfügen zusammen über 324 Sitze im Bundestag – 43 weniger als die erforderliche absolute Mehrheit.
Das sollte immerhin reichen, damit Scholz die Vertrauensfrage verliert. Trotzdem steht die Gefahr im Raum, dass er ungewollten Vertrauensvorschuss erhält – nämlich von der AfD-Fraktion. Die stellt 76 Abgeordnete, von denen sich einer bereits offen zu Scholz bekannt hat: der Björn-Höcke-Freund Jürgen Pohl aus Thüringen, der den Kanzler wegen seiner Haltung im Ukrainekrieg gegenüber einem möglichen CDU-Kanzler Friedrich Merz für das „kleinere Übel“ hält. Aber es soll noch mehr Wackelkandidaten geben. Unter Verdacht stehen vor allem diejenigen, die trotz des Angriffskriegs weiter nach Russland reisten oder dort sogar eine Honorarprofessur annahmen. In der Fraktion geht man von einer deutlichen Minderheit aus – von nicht mehr als fünf Abgeordneten.
Wobei Fraktionschef Tino Chrupalla noch wackelt: Auf taz-Anfrage wollte er sich nicht festlegen, ob er für oder gegen Scholz stimmen wird. Chrupalla ist für seine Russlandnähe berüchtigt und hält auch seit Putins Überfall auf die Ukraine den Kontakt zur russischen Botschaft. Seine Co-Vorsitzende Alice Weidel und die parlamentarischen Geschäftsführer Bernd Baumann und Stephan Brandner waren da klarer: Sie alle kündigten der taz gegenüber an, gegen Scholz stimmen zu wollen – wie auch weitere AfD-Abgeordnete. Ob der AfD zu trauen ist, bleibt aber fraglich, schließlich operiert man in der extrem rechten Partei gern mit Tricks: 2020 etwa, in Thüringen, hatten ihre Landtagsabgeordneten beim dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten einen eigens aufgestellten AfD-Kandidaten leer ausgehen lassen und überraschend den FDP-Mann Thomas Kemmerich gewählt. Damit löste die AfD eine Regierungskrise aus.
Die Risiken
Der Unterschied zu Thüringen: Am Montag wird über die Vertrauensfrage namentlich abgestimmt – das bringt AfD-Abgeordnete, die für Scholz stimmen, in Erklärungszwang.
Doch auch die SPD-Abgeordneten stehen unter Bekenntniszwang. Die Partei hat sich schwergetan, Scholz erneut zum Kanzlerkandidaten zu nominieren. Auch Bundestagsabgeordnete hatten ihre Bedenken öffentlich gemacht. Nachdem Scholz nun gesetzt ist, will man Geschlossenheit demonstrieren. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, Katja Mast, gibt die Parole aus: „Die SPD-Bundestagsfraktion steht fest an der Seite des Bundeskanzlers.“
Es ist nun an den Grünen, die Minderheit zu sichern und möglichen AfD-Spielchen zuvorzukommen. Die Grünen hatten ursprünglich dazu tendiert, Scholz das Vertrauen auszusprechen. Sie wollten die Ampel ja nicht platzen lassen – und das sollte sich auch in der Abstimmung widerspiegeln. Am vergangenen Mittwoch schrieben die Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge aber: „Wir schlagen der Fraktion vor, sich bei der Abstimmung zur Vertrauensfrage zu enthalten.“ Ein Nein komme dagegen nicht infrage, da man in den letzten drei Jahren „viel miteinander geschafft habe“ und die grünen Minister*innen bis zur Bildung einer neuen Regierung bleiben.
Wenn alles nach Scholz’ Plan läuft, wird er am Montag nicht die erforderlichen 367 Ja-Stimmen erhalten und den Bundespräsidenten deshalb noch am Nachmittag bitten, den Bundestag aufzulösen. Frank-Walter Steinmeier hat dann 21 Tage Bedenkzeit, hat aber bereits angedeutet, der Bitte nachkommen zu wollen. Sobald der Bundestag aufgelöst ist, muss binnen 60 Tagen neu gewählt werden. Bis der neue Bundestag zusammentritt, ist Scholz weiter regulär als Kanzler im Amt, ab dann bis zur Bildung einer neuen Regierung nur noch geschäftsführend.
Und dann? Vizekanzler will er jedenfalls nicht werden.
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